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Wahl '91: Was die SPD diesmal versprechen kann

■ Das neue SPD-Wahlprogramm „wünscht“ viel und hält die Partei vage offen für alle Prototypen (der Koalition)

Für eine Partei, die vier Jahre lang allein regiert hat, ist es nicht leicht, ein neues Wahlprogramm schreiben. Denn jede Forderung könnte gemessen werden an den Versprechungen des letzten Programms. Und, so formuliert die Arbeiterkammer in ihrer Stellungnahme zum Entwurf des SPD-Wahlprogramms 1991, „neue Forderungen können nur so glaubhaft sein wie die Energie, mit der die bereits zum Gesetz gewordenen bisherigen Regelungen in die Tat umgesetzt wurden“. Das Wahlprogramm rettet sich aus dieser Klemme mit Wörtchen wie „verstärkt“, „sichern und ausbauen“, „weiter“.

Der SPD-landesvorstand hat in den letzten Wochen seinen Entwurf für das Wahlprogramm 91 in den Parteigliederungen diskutiert, Änderungsanträge eingearbeitet und Stellungnahmen von Verbänden eingeholt — am 27.4. liegen den Landesdelegierten der SPD noch letzte kontroverse Änderungsbegehren vor der Schlußabstimmung vor.

Das neue SPD-Wahlprogramm, schon vom Titel her kein verbindlicher „Bremen-Plan“ mehr wie in den vergangenen Jahren, ist zudem durchsetzt mit vagen Formeln wie „Wir wünschen...“, „Wir wollen..“ und anderen Konjunktiv-Formulierungen. Aber auch dies scheint noch als zu viel empfunden worden zu sein — hinzugefügt wurde dem Programmenrtwurf im Verlaufe der Diskussion ein „Finanzteil“, der gesamte Wahlprogramm unter den Finantvorbehalt stellt: „Schwerpunktsetzungen (könnten) erforderlich werden“ und eine „Verschiebung der geplanten Maßnahmen notwendig machen“, wenn Bremen den neuen Finanzprozeß vor dem Verfassungsgericht nicht gewinnt oder wegen der Deutschen Einheit neue Einnahmeverluste für das Land entstehen. Auf den dreißig Seiten vor diesem Vorbehalt verspricht das Wahlprogramm aber einiges.

Rüstungskonversion, Förderung von Umwelttechnologie und Investitionshilfen für kleinere und mittlere Dienstleistungsunternehmen sollen die Wirtschaftsstuktur der Region weiter fördern. Während in der Beschlußvorlage des Landesvorstandes hier formuliert ist: „bleiben weiter Politikfelder“, will der Unterbezirk Bremen-Ost dazu ein „integriertes regionalpolitisches Konzept entwickelt“ haben — was den Vorwurf impliziert, bisher sei ohne Konzept gehandelt und subventioniert worden. Versteckte Kritik hat auch der Landesvorstand ins Wahlprogramm gemogelt: das Subventionsprogramm „WAP“ soll nämlich „neu strukturiert werden“. Kommentiert die Arbeiterkammer in ihrer Stellungnahme trocken: Wenn schon die bisherige Wirtschaftsförderung „implizit kritisiert“ werde, müßten die Kriterien zukünftiger staatlicher Subventionsvergabe wenigstens benannt werden.

Ein Blick ins alte Wahlprogramm für 1987-1991 zeigt, daß die Partei damals einen „Strukturbeirat“ aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Land versprach. Den hat es nie gegeben. Für 1991-1995 werden nun nur „öffentliche Tagungen und Konferenzen“ mit Kammern, Gewerkschaften und Verbänden versprochen.

Was die Rüstungskonversion angeht, so fordert der SPD-Landesvorstand von der CDU in Bonn Geld für ein „Bundesinstitut“, der Unterbezirk Ost will konkret in Bremen handeln und für ein „Landesinstitut für Rüstungskonversion“ bremisches Geld bereitgestellt wissen.

Die Arbeiterkammer, die bei weitem die schärfste und konkreteste Stellungnahme zum Programmentwurf abgegeben hat, moniert auch die Kriterien der Mittelvergabe an Unternehmen. Nur solche Unternehmen werden subventioniert, die Ausbildungsplätze bereitstellen, ökologisch verträgliche Produkte herstellen, keine Leiharbeiter beschäftigen und sparsam mit Flächen umgehen, steht im Wahlprogramm.

Der Bürgermeister hat am Wahlprogramm selbst Hand angelegtFoto: M. Bauer

In der Praxis sind solche Bedingungen selten das Papier wert, auf dem sie notiert werden. „Die Arbeiterkammer würde es allerdings auch begrüßen“, heißt es ironisch in ihrer Stellungnahme, „wenn das Land das Notwendige unternähme, um die heute bereits geltenden Vorschriften des arbeitnehmerüberlassungs-Gesetzes und des Gesetzes gegen die illegale Beschäftigung umzusetzen.“ Die zuständigen Bereiche der Kripo und der Gewerbepolizei seien schlecht ausgestattet und klnnten nicht einmal präzisen Hinweisen immer nachgehen.

Sozialpolitik: SPD guckt nur noch nach Bonn

In der Sozialpolitik haben die Programm-Autoren vorsichtshalber ihr Thema verfehlt. Kein Wort steht da über die Neuordnung der Sozialen Dienste (NOSD), ein Zehnjahresprojekt des Bürgermeisters Scherf. Stattdessen werden wohlklingende Forderungen gegen den Bund und gegen Krankenkassen aufgelistet. „Was allerdings die konkreten Probleme bremischer Sozialpolitik betrifft,

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so nehmen die Aussagen des Wahlprogramms stark die Form von „Bestrebungen“ oder „Bemühungen“ an, schreibt die Arbeiterkammer.

Bei der Sozialhilfe hat Bremen an einer Reform per Zustimmung mitgewirkt, die den Betroffenen nur 20 Mark mehr brachte und nun im Wahlprogram als unzureichend kritisiert wird. Die Betreuung von 2000 Kindern unter 3 Jahren „ist unser Ziel“, steht im Programmentwurf. Kammer-Kommentar: „Die gegenwärtige Praxis, daß etwa Eltern-Kind- Gruppe, mit etwa 17.000 Mark gefördert werden, entsprechende staatliche Einrichtunghen aber mit rd. 80.000 DM, macht die Ziellerreichung unrealistisch und sagt einiges über die Prioritätensetzung aus.“ Im Bereich der Kindererziehung gibt es überraschend konkrete Zahlen: Bei den 3-6jährigen soll das „Betreuungsangebot“ nicht nur für 65% wie derzeit, sondern für 90 Prozent ausreichen. Soll es das geben? „Wir halten fest an unserer Vorstellung“, leitet das Wahlprogramm diese Wahlaussage ein. Im November 1990 hatte der Senat das Geld für dieses Ziel nicht bewilligen wollen. Will die SPD das Betreuungsangebot für 15 statt derzeit 10 Prozent der 6-12jährigen ausweiten? „Wir streben das an“, steht im Wahlprogramm. „Insbesondere im Bereich der Sozialpolitik fällt es schwer, neue und zusätzliche Gestaltungsaufgaben im Entwurf zum Wahlprogramm zu erkennen...“, kommentiert die Arbeiterkammer.

In munterer Mischung von allgemeinen Absichtserklärungen und schönen Zielformulierungen streift das Wahlprogramm fast alle Bereiche der bremischen Politik. Das Land soll, wird es von der SPD regiert, die Einrichtung eines Mädchen hauses „unterstützen“, also keines selbst einrichten. Nahverkehrs- und Naturschutzpolitik sollen fortgeführt werden, der CO2-Ausstoß „bis zum Jahre 2005 um mindestens 30% verringert“ werden. In der Praxis haben allerdings auch die bremischen Stadtwerke die „Übergangsfristen“ etwa für Rauchgaswäsche, die die Bonner Gesetze ließen, bis zum letzten Tag ausgenutzt. Einen Passus, das die Landesbauordnung „ökologisches Bauen“ vorschreiben soll, wollte der Landesvorstand nicht von sich aus in die Beschlußvorlage aufnehmen — die Delegiertren müssen extra darüber abstimmen. Dasselbe gilt für den UB-Ost-Antrag, „z.Zt. keine planungsrelevanten Anweisungen von neuen Gebieten für den Wohnungsbau auf jetzigen Grünflächen“ vorznehmen.

„Schließung der technisch überholten Müllverbrennungsanlage (MVA) bis 1997“ steht in dem neuen Wahlprogramm. In dem alten, gültig für 1987-1991, stand: „Schließung zum frühestmöglichen Zeitpuunkt, spätestens aber 1995“.

Mehr Kultur — welche?

Dafür wird diesmal ein „Verkehrsbeirat“ ganz fest versprochen und auch die „deutliche Erhöhung“ des Kulturetats, damit Bremen „überregionalen Standards“ auf diesem Gebiet entsprechen kann. „Ärgerlich ist die Unschärfe der Gedankenführung“, kritisiert die Arbeiterkammer. Wofür dieses Geld, so es nicht dem Finanzvorbehalt zum Opfer fällt, ausgegeben werden soll, sagt das Wahlprogramm nicht. Alles nur für die oberzentrale Hochkultur? Die Kammer hätte gern „konkrete Ziele, was den Prozentsatz angeht“, gesehen. Außerdem müsse sichergestellt werden, „daß es sich nicht nur ... um eine Umschichtung zwischen Haushalt und 'Lottomitteln' handelt...“

Die Partei will der Regierung offensichtlich möglichst wenig die Hände binden. Der Landesvorstand muß dies in aller selbstkritischen Bescheidenheit gesehen haben: Wo es um „demokratische Kultur“ geht, wählte er eine Formulierung, die jede Personalabteilung als vernichtende Beurteilung verstehen muß: „Wir bemühen uns um die Weiterentwicklung der demokratischen Kultur.“ Klaus Wolschner

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