: Schwarzer Schimmel und Fritten in Altöl
■ Auf Patrouille mit der Bremer Lebensmittelpolizei / Taz-Serie, 1. Lieferung
Einsamer Pommes, geknickt, über AltölFoto: Jörg Oberheide
“Was schwarz! Gehn Sie ma zu die Türken hin, die ham schwarzes Fett! Traut sich keiner, wa?“ Da muß sie sich ans Käppi fassen, die Alte, und zetert Verwünschungen und schleudert dürre Arme hinterdrein. Andererseits Herr Wüste, Lebensmittelfahnder, blickt traurig auf seine Schöpfkelle. Schwärzliches Frittenfett schwappt darin. „Wie lang braten Sie schon damit?“ — „Jetz wartense ma. Freitag. (Samstagsonntag hatten wa zu.) Montagdienstagmittwoch. Achja! Heute! Heut hätt ich's wechseln müssen! Könnse ma sehn! „
Herr Wüste aber schüttet das Altöl in ein Glas und gibt ein Reagenzwässerchen hinzu. Dieses ist der tragbare Fri-Test und tritt gleich in der Gastwirtschaft in Kraft. Das Öl im Glas färbt sich noch dunkler, als die dunkelste der drei Vergleichsfarben ist.
hier bitte das Foto: Pommes im Drahtkorb
„Ihr Öl ist noch verdorbener als verdorben“, sagt Herr Wüste. Und was für ein Fang. Mitten in Huchting, mitten in einem Alltag. Rasch noch eine Probe zur Strecke gebracht, ins Auto verladen, und weiter.
Ein paar Häuser weiter, in einem Supermarkt, erforschen wir die Gefriertruhe. Das Thermometer zeigt 32 Plusgrade und ist geeicht bis 1984, mehr ist nicht zu beklagen. Herrn Wüste ist das recht. Am liebsten hegt er, der Förster, ein ruhiges Revier; und an die edle Salmonelle pirscht er sich nur auf Antrag, beispielweise des Veterinäruntersuchungsamtes. Auch fürs Hygiene-Institut und die Staatliche Chemische Untersuchungsanstalt wird Herr Wüste tätig. Dann geht er in sein Revier und sammelt Proben ein. Lebensmittelpolizei war ein biß-
chen irreführend. Die Kleinbehörde gehört zum Stadtamt und ist eine Art Polizei, lediglich quasi. Herr Wüste darf ein wenig ermitteln, z.B. in Lieferpapieren verdorbener Ware, und er darf standrechtlich mit 20 Mark verwarnen, das ist alles. Und mehr braucht es selten.
Nächster Halt: ein Lebensmittel- Laden. Gleich ist der Besitzer zur Stelle und wedelt freudig mit dem Kittel und redet ohne Unterlaß, was ihn aber bloß verdächtig macht. Herr Wüste nickt und brummt und gibt zu bedenken, und die Zeit vergeht. Dann zeigt Herr Wüste auf die abgelaufenen Joghurts. Ein Wagen voll, verbilligt. Und ungekühlt. Abgelaufene! Ausgerechnet! Und dort die Eier? Offen? Was, 'offen'! Auch offen verkaufte Eier, gerade offen verkaufte gehören datiert! Gehn wir mal zur Wurst. Ein bißchen schlecht ausgepreist, nicht? Da muß Herr Wüste tätige Reue fordern, also bis zum nächsten Mal, aber wirklich!
Zwei Jahre lang hat sich Herr Wüste fortbilden müssen, seither ist er staatl. gepr. Lebensmittelkontrolleur. Und weiß alles über Mindestkühltemperaturen, Thermometerpflicht, über Eich- und auch Getränkeschankanlagenordnung. Und über Mindestreinlichkeit. In einer Bäckerei zeigt er mir Obstkuchen auf der Theke. „Ist verboten! Muß unters Glas.“ Hinten in der Backstube wartet schon der Meister. Und wie es jetzt ist, fragt er, mit dem Butterkuchen. Wo er ein reines Gewissen hat, hundert Prozent margarinefrei, sagt er, und die Presse aber, Stichelblick zu mir, den Kunden wildmacht! Auch diesem leiht Herr Wüste sein amtliches Ohr und sein Verständnis.
Der Förster in seinem Revier
Herr Wüste kennt in seinem Revier einen jeden Hirschen. Er ist es, vor den sie letzten Endes treten müssen, und haben dann plötzlich ganz wenig an, und wollen am liebsten alles gestehen. Er ist, sagen wir: ihr ambulantes Über-Ich.
Lebensmittelhändler, Imbißstübner, Metzger und Bäcker, alle müssen mit Herrn Wüste rechnen, zweimal pro Jahr. Sonst macht er, von bestellten Proben abgesehen, noch jede Woche seine spezielle Milchtour. Und abends auch mal Gaststätten, wo er allerhand abhaken muß: vom Druckminderer an der Schankanlage, auf daß nichts in die Luft fliege, bis zur „Handtrockeneinrichtung“ und daß sie, wie sonst alles auf'm Klo, umsonst ist.
In der nächsten Backstube blättert die Farbe von Decken und Wänden. Die Maschinen sind abgestoßen und die Regale schäbig. Auf dem Boden eine alte Dose mit Fleischresten für die Katze. Dort, wo die Sahnestücke gemacht werden, wächst schwarzer Schimmel aus der Wand. „Au“, sagt Herr Wüste, „da müssen wir aber sofort was machen!“ Wir!
„Vielleicht hier die Ecke?"
Solche Probleme haben alle Bäcker. Dieser hier hat noch mehr. „Ganze 12.000 Mark Gewinn gemacht im ganzen letzten Jahr“, sagt er und schaut, ob es jemand begreift. Und allein mit einem zehnjährigen Sohn, sagt er, und Lust hat er längst nicht mehr. Schimmel? Wird er was machen, klar. Herr Wüste aber macht seine Stimme mild: „Ich sag nicht: alles gleich. Aber einen Anfang müssen wir machen, vielleicht hier die Ecke, bis Anfang Mai?“ Der Bäcker sagt, daß er längst keine Lust mehr hat. Wir müssen dann gehen. Im Verkaufsraum hängen, das sehen wir jetzt, ein Dutzend Auszeichnungen. „Es ist oft nicht leicht, so unerledigt wieder wegzugehn“, sagt Herr Wüste. Manfred Dworschak
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen