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»Wir haben den geizigsten Verleger«

■ Wie sich der linke Kreuzberger Kleinverlag Elefanten Press zur »Mediengruppe Schmidt und Partner« mauserte/ Zeitschriften, Druckereien und Verlage: Eine Übernahme jagt die andere/ Das nötige Geld liefert nicht der Käufer, sondern die Gekauften

Berlin. Jeden Monat müssen Stefan Lüdtke und seine Kollegen von der Ausbildungswerkstatt AG Bethanien zwei Stockwerke tiefer steigen und beim Hausnachbarn anklopfen. Dort, in der ersten Etage der Oranienstraße 25, residiert die Mediengruppe Schmidt und Partner (MSP), dort werden die Geschäfte von Verlag und Galerie »Elefanten Press« geführt, die Zeitschriften 'Titanic‘ und 'Freitag‘ verwaltet, und dort wurden die Übernahmen des Druckhauses Tribüne und der Tageszeitung 'Junge Welt‘ organisiert.

Über die Konten von MSP läuft in letzter Zeit viel Geld, doch Lüdtke und seine Kollegen müssen jeden Monat bei Maruta Schmidt (46) und Erik Weihönig (40) betteln gehen. Sie hatten der AG Bethanien im Herbst 1989 einen Mietzuschuß zugesagt — zum Ausgleich der Mieterhöhung, die der Weihönig-Freund und MSP-Geschäftspartner Paul- Georg Herrmann der Lehrlingswerkstatt aufgebrummt hatte, nachdem er zusammen mit MSP das Haus Oranienstraße 25 gekauft hatte. Eigentlich wollte sich Elefanten Press damals nicht für die Mieterhöhung verantwortlich machen lassen, weil die Verwaltung der Bethanien-Etage allein in den Händen von Herrmann liege. Den Mietzuschuß — jeden Monat 630 Mark — hatten Schmidt und Weihönig der AG Bethanien dann doch noch gnädig gewährt, um aus den negativen Schlagzeilen herauszukommen. Doch zur Einrichtung eines Dauerauftrags konnten sie sich bisher nicht durchringen.

Schlagzeilen machen Schmidt und Partner inzwischen immer häufiger — allerdings nicht wegen ihrer Knausrigkeit, sondern ob der Millionen, mit denen die Kreuzberger Verleger neuerdings hausieren gehen. 2,6 Millionen Mark beispielsweise wollen sie in die eben mit dem Segen der Treuhandanstalt erworbene Ostberliner Tageszeitung 'Junge Welt‘ stecken. Als Käufer fungierten das Druckhaus Tribüne und das Treptower Verlagshaus, die beide ebenfalls erst seit kurzem zum MSP-Imperium gehören. Ein Drittel der Anteile dort gehört MSP bereits seit einigen Wochen. Noch nicht genehmigt, aber fest vereinbart ist der Kauf aller restlichen Anteile mitsamt des wertvollen Grundstücks Am Treptower Park 28, direkt benachbart dem Wohnhaus von Lothar de Maizière.

Allein für den Treptower Komplex müßten MSP insgesamt acht Millionen Mark hinlegen, schätzen Branchenkenner. 360 Arbeitsplätze im Druckhaus und der 'Jungen Welt‘ will Weihönig auf 24 Monate sichern. Und als ob all das nicht staunenswert genug wäre für einen linken Kreuzberger Kleinverlag, hat Weihönig darüber hinaus über zwei Millionen für die Sanierung des in Konkurs gegangenen Alternativsenders Radio 100 versprochen. Am 6.Mai entscheidet der Kabelrat, ob das Angebot der MSP-dominierten »Neue Radio 100 GmbH« den Zuschlag erhält.

Die Berliner Verlags- und Medienszene wundert sich. Ihm sei das alles »nicht ganz geheuer«, sagt der Chef der Buchhandelskette Wohlthat, Ulrich Daniels, der seit Jahren mit Weihönig Geschäfte macht. Bis vor wenigen Jahren waren die Leute von Elefanten Press bekannt als zwar ideenreiche, aber zuschußbedürftige Galeristen und kleine Buchverleger, die mehr schlecht als recht über die Runden kamen. Für größere Buchprojekte und aufwendigere Ausstellungen mußten die »Elefanten« oft private Kredite zu Hilfe nehmen, die bei Freunden und Bekannten aufgenommen wurden. Einige Verlage verhängten für die MSP-Büchertische, die Mitte der 80er Jahre in vier Ikea-Märkten betrieben wurden, sogar Liefersperren, weil die Rechnungen erst lange nach der dritten Mahnung bezahlt wurden. »Wir haben den geizigsten Verleger«, annoncierten die 'Titanic‘-Redakteure im Oktober 1989 in ihrem eigenen Blatt. »Würde man den 'Titanic‘-Verleger an den Füßen aufhängen«, höhnten die Satiriker, »es würde nicht eine müde Mark aus seinen Taschen fallen.«

Die Zeiten haben sich geändert, und es scheint, als seien den ehemaligen Kleinverlegern die Millionen in den Schoß gefallen, wie weiland dem kleinen Mädchen im Märchen vom »Sterntaler«. Kein Wunder, daß allerlei Spekulationen über die Quelle des plötzlichen Reichtums kursieren: Unverhoffte Erbschaften hätten geholfen, PDS-Geld stecke in dem Unternehmen von Weihönig und Schmidt — Vermutungen, die die beiden stets vehement dementieren, die sie aber auch dadurch anheizten, daß sie sich gegenüber der Geschäftsführung von Radio 100 weigerten, ihre Bücher offenzulegen.

Den selbstgewählten Titel als »erfolgreiche Sanierer« begründet das Verlegerpärchen mit den Übernahmen von 'Titanic‘, 'Volkszeitung‘ und 'Sonntag‘. Mit 1,1 Millionen Mark Schulden und einer verkauften Auflage von 60.000 Exemplaren übernahm MSP 1988 die 'Titanic‘ — und kriegte das sinkende Schiff wieder flott. Heute verkaufen sich manche Ausgaben bis zu 80.000mal, die Zeitschrift ist aus der Verlustzone heraus. Der 'Freitag‘ hingegen, als Zusammenschluß der westdeutschen 'Volkszeitung‘ und des Ostberliner 'Sonntag‘, ist mit wöchentlich nur 30.000 verkauften Exemplaren bis heute defizitär.

»Weihönigs Geheimnis war bisher, daß er seine Übernahmen von den übernommenen Firmen finanzieren ließ«, lästern ehemalige MSP- Mitarbeiter, und dafür sind 'Titanic‘, 'Volkszeitung‘ und 'Sonntag‘ in der Tat gute Beispiele. Im Fall 'Titanic‘ sorgten prominente Freunde der Satiriker, wie Otto Waalkes und dessen Filmproduzent Horst Wendlandt, für eine Kapitalzufuhr von insgesamt 600.000 Mark. Die ehemals DKP-nahe 'Volkszeitung‘, die mit dem Ende des von der DDR gestützten Pahl-Rugenstein-Verlags ihr Erscheinen im Herbst 1989 einstellen mußte, brachte 1,3 Millionen Mark mit, die stille Gesellschafter zugeschossen hatten. Die 'Sonntag‘-Mitarbeiter hatten sogar ein Konto mit 2,5 Millionen DM in der Tasche, als sie vom DDR-Kulturbund in die ökonomische Selbständigkeit entlassen wurden und unter das Dach in der Oranienstraße 25 zogen.

Wäre das nicht ein gutes Startkapital für die jüngsten Übernahmen gewesen? Nein, sagt Maruta Schmidt, »niemals« habe man aus einem Unternehmen der Gruppe Geld herausgezogen, um es an anderer Stelle »risikomäßig« zu investieren.

Weihönig und Schmidt bieten eine andere Erklärung an. All die spektakulären »Deals« der letzten Zeit seien »nur gelaufen«, so Weihönig, dank der langjährigen Zusammenarbeit mit der Hausbank des Unternehmens. Die Grundkreditbank soll es auch gewesen sein, die den entscheidenden Einkauf — bei Tribüne- Druck und damit verbunden bei der 'Jungen Welt‘ — mit »Krediten begleitet« habe. Möglich sei das, weil der Firmenverbund den »Wert des Gesamtobjektes« deutlich steigern könne. Grund: Die 'Junge Welt‘ mit ihrer derzeitigen Druckauflage von 180.000 sorgt — neben 'Freitag‘, 'Morgen‘ und 'Kicker‘ — für die nötige Auslastung der Druckerei. Die Druckerei wiederum bringt ihr Grundstück ein, das als Sicherheit für Kredite fungieren kann.

Ob die Hoffnung auf Wertzuwachs trägt, ob es in der Tat gelingt, die sinkende Auflage der ehemaligen FDJ-Zeitung 'Junge Welt‘ als jugendorientiertes Blatt auf dem hartumkämpften Berliner Markt zu stabilisieren, halten Fachleute freilich für zweifelhaft — das räumt selbst 'JW‘-Chefredakteur Jens König ein. Weihönig engagiere sich in zu vielen Projekten, befürchtet Wohlthat- Chef Ulrich Daniels. Er hat deshalb seinen 15.000-Mark-Anteil an der 'Titanic‘ gekündigt.

Schmidt und Weihönig dagegen streichen den altruistischen Charakter ihrer Projekte heraus. Angesichts der Übermacht des »konservativen Mainstreams« sei es »für alle Medien im alternativen Bereich wichtig«, daß neben ihnen weitere linke Projekte überleben könnten.

Spätestens an diesem Punkt melden ehemalige Weihönig-Angestellte starke Zweifel an. Schon im Hause von Elefanten Press habe eine Kluft geherrscht zwischen dem alternativen Anspruch und der stinknormalen Wirklichkeit, sagt Ex-Mitarbeiterin Martina Tittel. »Wir mußten unseren Löhnen immer hinterherrennen«, erinnert sich ihre Kollegin Regina Deter. Zeitweise hätten die Mitarbeiter regelrechte Aufstände inszenieren müssen — allein um akzeptable Pausenregelungen durchzusetzen. Einerseits habe die Firma allen Mitarbeitern um die 2.000 Mark Einheitslohn gezahlt, andererseits habe unter dem alternativen Mäntelchen eine kaum verhüllte Ausbeutung stattgefunden, die — anders als bei der klassischen Selbstausbeutung in alternativen Projekten— dann doch nur einigen wenigen zugute gekommen sei. Weihönig selbst etwa habe sein vom Einheitslohn bestimmtes Budget dadurch entlastet, daß er sich auf Firmenkosten ein Auto zur persönlichen Verfügung finanzieren ließ: Alle zwei Jahre habe sich der MSP-Chef hinter das Steuer eines neuen Golf GTI setzen können, ärgern sich Ex-Mitarbeiter.

Die Liebe zum Volkswagen verbanden die Elefanten ganz zwanglos mit dem Engagement für den Klassenkampf. Bis zum unrühmlichen Ende der Splitterpartei behielten Maruta Schmidt und Partner Erik Weihönig ihre SEW-Parteibücher. Mit Belustigung berichten ehemalige Angestellte von einer SEW-Delegationsreise nach Cottbus im Mai 1986, auf der Weihönig und Schmidt ihren Mitarbeitern die sozialistische Realität näherzubringen versuchten und bei der es Weihönig zu diesem Zweck sogar gelang, drei AL-Mitglieder über die Grenze zu bringen, die vorher wie nachher ein Einreiseverbot erdulden mußten.

Stets habe Weihönig die Mauer als »antifaschistischen Schutzwall« verteidigt, sagt Martina Tittel. Die Mauer ist weg, der Verleger hat heute dazugelernt. Vom Einheitslohn nehmen sich die MSP-Geschäftsführer selbst mittlerweile aus. Auch von seinen früheren Ansichten zum Thema »Mauer« will Weihönig heute nichts mehr wissen. Immer schon will er gesagt haben, daß eine Gesellschaft »nicht machbar« sei, die »auf der Verhinderung von Kulturaustausch« und »auf Verhinderung von Diskussion mit verschiedenen Ansätzen« aufbaue. Ein Wendehals? In eine Partei möchte Weihönig jedenfalls nicht noch einmal eintreten. Wenn man heutzutage »im Medienbereich tätig« sei, meint er, sei es wohl »sinnvoll, sich parteipolitisch nicht zu binden«. Hans-Martin Tillack

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