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Keine Pressefreiheit für Lesben und Schwule

■ In Wien beginnt heute die Berufungsverhandlung um die Beschlagnahme von Zeitschriften der Homosexuellen Initiative Wien wegen angeblicher „Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht“/ Abschaffung der Paragraphen 220 und 221 in Aussicht gestellt

Berlin (taz) — Vor dem Obersten Landesgericht Wien findet heute die Berufungsverhandlung wegen der Beschlagnahme von zwei Publikationen der Homosexuellen Initiative Wien (HOSI) statt. Der HOSI wird als Herausgeberin der Zeitschrift 'Lambda-Nachrichten‘ und des Info- Blattes der HOSI-Jugend, 'Tabu‘, vorgeworfen, daß Textpassagen einiger Ausgaben gegen den Paragraphen 220 des österreichischen Strafgesetzbuches verstoßen haben. Dieser Paragraph stellt „Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht“ unter Strafe. Im September 1990 hatte das Landesgericht Wien die Beschlagnahme der beanstandeten Zeitschriften verfügt. Damit wurde zum ersten Mal in Österreich eine Verurteilung nach Paragraph 220 ausgesprochen. Die HOSI hatte gegen das Urteil aus erster Instanz Berufung eingelegt.

Falls das Urteil aus der ersetn Instanz heute bestätigt wird, bedeutet dies nicht nur die rechtsgültige Beschlagnahme von einer Ausgabe der 'Lambda-Nachrichten‘ und mehrerer Ausgaben des Info-Blattes 'Tabu‘, sondern den presserechtlich Verantwortlichen drohen außerdem eine Geldstrafe oder bis zu sechs Monaten Haft. Damit wäre auch ein Präzedenzfall geschaffen, der ein De- facto-Publikationsverbot für die Veröffentlichungen der HOSI zur Folge hätte. Darüber hinaus müßten alle Medien, die positiv über Homosexualität berichten, künftig mit einer Verfolgung nach § 220 rechnen.

Begonnen hat alles 1988, als die Jugendgruppe der HOSI Wien einen Rundbrief an SchulsprecherInnen im Land schrieb, in dem sie ihre Arbeit vorstellte. Die Gruppe bot Beratung und Information für Jugendliche an, die entdecken, daß sie lesbisch oder schwul sind. Dem Schreiben waren Ausgaben der 'Lambda-Nachrichten‘, von 'Tabu‘ sowie verschiedene Informationsbroschüren beigelegt. Der Wiener Stadtschulrat und der niederösterreichische Landesschulrat erstatteten prompt Anzeige.

Anstoß erregt hatten beispielsweise diese Sätze der 'Lambda- Nachrichten‘ Nr.2/1988: „Aus eigenem Erleben wissen wir, daß für Lesben und Schwule die Jugend eine besonders schlimme Zeit sein kann, in der man glaubt, der oder die einzige auf der Welt mit diesem ,Problem‘ zu sein. Einsamkeit, Isolation und Lebensverdruß sind die Folgen. Kontakt zu Gleichgesinnten wirkt da oft Wunder.“ Diese Aussage war in den Augen von Doris Trieb, Richterin am Landesgericht Wien, Werbung für Homosexualität.

Nach ihrer Logik ist auch das Abdrucken von Kleinanzeigen zur PartnerInnen- oder Wohnungssuche „Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht“. Bereits die Ankündigung dieses LeserInnenservice in 'Tabu‘ führte zur Beschlagnahme des Heftes. Mißfallen erregte auch die folgende Textpassage in einer anderen Ausgabe von 'Tabu‘: „Wußtest du, ... daß die bedeutendsten österreichischen Feldherren (Prinz Eugen, Tegetthoff, Radetzky) schwul waren?“

Durch die Verurteilung im September ist in Österreich die Diskussion um die Abschaffung der Paragraphen 220, 221 und 209 wieder in Gang gekommen. Diese Gesetze lösten 1971 im Zuge einer Strafrechtsreform den Paragraphen 129 ab, der sexuelle Beziehungen sowohl zwischen Frauen als auch zwischen Männern mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestrafte. Seit 1971 ist es nicht nur verboten, „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts oder mit Tieren“ (§ 220) zu betreiben, sondern auch, Lesben- und Schwulenvereine zu gründen oder Mitglied in solchen Vereinen zu sein (§ 221). Wer gegen diese Gesetze verstößt, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten bestraft werden. Paragraph 209 sieht — analog zum bundesdeutschen Paragraphen 175 — ein höheres Schutzalter für homosexuelle Handlungen zwischen Männern vor, nämlich 18 Jahre statt 14 für Heterosexuelle.

Diese Paragraphen haben jedoch nicht verhindern können, daß sich in Österreich eine Lesben- und Schwulenbewegung organisiert hat. Die Gründung der HOSI Wien wurde 1979 geduldet, obwohl sie an sich gesetzwidrig war. Die Paragraphen hängen aber wie ein Damoklesschwert über den AktivistInnen. Für Waltraud Riegler, Vorstandsfrau der HOSI Wien, zeigt die Verurteilung vom September vergangenen Jahres, „daß die als ,totes Recht‘ bezeichneten Paragraphen durchaus lebendig sind und je nach Bedarf aktiviert werden können, um Emanzipationsbestrebungen zu stoppen und die Diskriminierung von Lesben und Schwulen aufrechtzu erhalten“.

Frauenministerin Johanna Dohnal (SPÖ) sah anläßlich des Urteils „eklatanten Handlungsbedarf“ und legte eine Vorlage zur Gesetzesänderung vor. Mitte März stellte Justizminister Michalek (parteilos) die Abschaffung der Paragraphen 220 und 221 in Aussicht. Eine ersatzlose Streichung des Paragraphen 209 ist jedoch nicht zu erwarten, da hier mit starkem Widerstand von seiten der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zu rechnen ist. Nach dem politischen Signal für die Abschaffung der Paragraphen 220 und 221 darf man gespannt sein, wie das Oberste Landesgericht Wien diese Paragraphen heute anwendet. Dorothee Winden

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