: Grausige Geschichten von Untieren
In der Sächsischen Schweiz wurde am Sonntag der zehnte deutsche Nationalpark eröffnet/ Für die einmalige Kulturlandschaft des Elbsandsteingebirges reicht jedoch eine geschützte Insel nicht aus ■ Von Detlef Krell
„Tritt man nun aus dem Gehölze auf die hervorstehende Spitze, so hat man eine Aussicht, die alle Erwartungen übertrifft. Ist der Himmel heiter, und man hat die helle Sonne hinter sich, so ist das Gemälde entzückend. Die Elbe sieht man, tief unten, als einen Silberstreifen. Die Schiffe darauf erscheinen als Kähne, welche die Kinder aus Baumrinden zu machen pflegen. Gerade vor sich hin sieht man in die Gebäude der Festung Königstein. Neben diesem täuscht der noch größere Lilienstein, wenn man zum ersten Mal hier heraustritt, so, daß man die Hand nach ihm ausstrecken möchte, und er liegt noch eine Stunde weit davon.“
So erinnerte sich der Wanderer Nikolei vor 170 Jahren an den Blick von der Bastei auf die Sächsische Schweiz. Damals war es noch recht neu und abenteuerlich, in die Bergwelt an der Elbe zu reisen, wo sich die Schiffer, Waldarbeiter, Bauern und Steinbrecher allerlei Geschichten von Räubern, grausigen Untieren und Zauberern erzählten, die zwischen den Felsen, in den Schluchten, Gründen und Höhlen hausen sollten. Doch längst hatten auch die Romantiker diese einzigartige Welt entdeckt. Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert waren der Porträtmaler Anton Graff und der Kupferstecher Adrian Zingg, von Dresden aus, wo sie an der Akademie lehrten, mit ihren Skizzenbüchern durch die Felslandschaft gewandert, und diese beiden hatten wohl auch den schwärmerischen Namen geprägt: Sächsische Schweiz. Heute bringt die Doppelstock-S-Bahn aus Meißen über Dresden, Heidenau, Pirna die Ausflügler, Wanderer, Bergsteiger nach Wehlen, Rathen, Königstein, nach Schmilka oder Bad Schandau. Keine Dreiviertelstunde, und der Wanderer steigt in Rathen aus der Bahn. An Fachwerkhäusern, Obstbäumen und Wiesen vorbei endet der schmale Weg bald an der Fährstelle. Während der kleine Kahn über den Fluß treibt, streift der Blick weiße Felswände, die sich Büsche und Bäume wie Mützen übergestülpt haben, steigt hinauf zum dunklen, zerklüfteten Sandsteinriff der Bastei, schweift hinüber zum Massiv des Liliensteins und findet zurück zum kleinen, bunten, quirligen Ort, der hinter dem Fels zu verschwinden scheint.
Die grüne Wegmarkierung führt aus dem alten Kurort hinaus in die Schluchten des Amselgrundes, weiter über Hunderte Stufen durch die Schwedenlöcher zur Bastei, wo sich die Touristen an den Plattformen um Weitsicht drängeln, am Steinernen Tisch vorbei, wieder hinunter in den Höllengrund und den noch düstereren Teufelsgrund. Bald ist Wehlen erreicht und der wohl bekannteste von unzähligen Wanderwegen durch die Sächsischen Schweiz durchlaufen. Hier finden sich nicht nur überraschende Ausblicke, malerisch bizarre Formen im Sandstein, manch seltene Pflanze und Tiere; hier hat eine jahrhundertelange Touristenflut ihre nachhaltigen Spuren hinterlassen: eine pompöse Gaststätte, befestigte Pfade, Straßen, Müll.
Ein Nachlaß der Modrow-Regierung
Seit Sonntag liegt eine neue, schützende Hand auf dieser Landschaft. Das Basteigebiet mit dem Polenztal, Brandgebiet, Liliensteingebiet und die verschwiegenere Hintere Sächsische Schweiz mit dem Schrammsteingebiet und dem Großen Winterberg, rund 93 Quadratkilometer Landschaft wurden zum Nationalpark erklärt, der zehnte in Deutschland. Dieser Status, ein Projekt aus den letzten Tagen der Modrow-Regierung, soll den für Europa einmaligen Naturraum des Elbsandsteingebietes bewahren, die natürlichen Lebensgemeinschaften erhalten und Erholung wie Bildung fördern, soweit es der Schutzzweck erlaubt. Eine Insel im Elbsandsteingebirge bleibt so in ihrer weitgehend unberührten Natürlichkeit bewahrt. Doch zur Kulturlandschaft Sächsische Schweiz gehört nicht nur dieses geschützte Viertel. Das Umweltministerium hat die Bürde der kommunalen Probleme in dieser Gegend aufgelistet und wirbt für das Modell einer erweiterten „Nationalparkregion“. Bisher „gehört“ die Sächsische Schweiz zwei Landratsämtern, die, jedes für sich, ihre Konzepte für Wirtschaft und Landschaft schreiben. Forsche Investoren fanden längst Gefallen an diesem Fleckchen im Beitrittsgebiet. In Leupoldishain öffnete Bürgermeisterin Bärbel Schilter ihr Herz für einen 53 Hektar großen Gewerbepark, 30 Firmen aus West und Ost wollen dieses „Pilotprojekt“ aufpäppeln. Eine sichere Bank, scheint es, für die Gemeinde und ihre Nachbarinnen. So sicher wie der Abschied der Leupoldishainer Bauern von der Landwirtschaft.
„Die Sächsische Schweiz“, erklärt Nationalpark-Verwalter Jürgen Stein, „ist eine Kulturlandschaft. Sie ist durch den Menschen geprägt, lebt von diesem Wechsel zwischen unberührter Natur, Feldern, Dörfern. Eine Glocke aufzusetzen wäre genauso gefährlich wie diese Vermarktung, die mit dem Charakter der Sächsischen Schweiz nichts zu tun hat. Die schnelle Mark bringt das ökologische und ökonomische Aus für diese Landschaft.“ Nach Jürgen Steins Vorstellungen sollten sich die Gemeinden keinen Edeltourismus mit Golfplätzen und Sommerrodelbahn aufdrücken lassen, sondern auf eine ökologische Landwirtschaft setzen, auf sanften Tourismus und traditionelles Handwerk und Kleingewerbe. Mit seiner Landschaftsschutz-Inspektion war er in den vergangenen Monaten wie die Feuerwehr unterwegs. „Wir sind keine grünen Spinner. Keiner hat etwas gegen einen Penny-Markt in Bad Schandau, der in den Ort eingepaßt wird. Aber manche der kommunalen Verwaltungen haben nicht begriffen, daß die Besucher in die Sächsische Schweiz nicht wegen eines beliebigen Golfplatzes kommen werden, sondern wegen dieser einmaligen Landschaft.“
Aus den Schubladen der DDR-Politokratie
Anträge für die „gewerbemäßige Erschließung“ von 120 Hektar geschützter Fläche liegen inzwischen bereit. Eine schwedische Hotelkette will mit einem 300-Betten-Bau in die 250-Seelen-Gemeinde Waltersdorf einsteigen, und rund um den Zirkelstein soll „einer der zehn schönsten und größten Golfplätze Deutschlands“ hingeplättet werden.
Aber auch die Schubladen der DDR-Politokratie lassen sich ausramschen. Nachdem vor Jahren schon der alte Weg der Bomätscher, wie hier die Schiffszieher genannt wurden, in Königstein betoniert wurde und nun wie eine Rollbahn auf der Uferwiese aussieht, bekommt der alte, brüchige Königsteiner Eisenbahn-Viadukt eine Beton-Prothese. Wo sich hundert Jahre lang zwischen den Pfeilern reizvolle Durchblicke von der Stadt zur Elbe öffneten, zieht dann eine Betonmauer einen harten Schnitt. Um das Autobahnprojekt Dresden-Prag ist es still geworden, seit auch Ministerpräsident Biedenkopf erklärt hat, man müsse darüber noch einmal reden. Aber noch sind die Pläne nicht endgültig vom Tisch, den Highway von den Dresdner Südhöhen über die südlichen Täler der Sächsischen Schweiz, mitten durch dichte Wälder nach Böhmen zu führen. „Alternative“ Planerhirne halten sogar einen Tunnel durch diese Randlagen der Sächsischen Schweiz für möglich.
Aus dem sächsischen Landwirtschaftsministerium kam jetzt ein Regionalprogramm Sächsische Schweiz an die Öffentlichkeit. Vorzeigemodell darin ist die Entwicklung des Kurortes Gohrisch. EG- Mittel stehen in Aussicht, „wichtigste Entwicklungsziele“ sind die „Landbewirtschaftung, die Erzeugung regionaler Spezialitäten, der ökologische Landbau als Instrument für Marktnischen und die Dorfentwicklung unter Ausnutzung vorhandener Bausubstanz“. Auf die gegenläufige und teils irreversible Vermarktung der Sächsischen Schweiz angesprochen, konterte der Landwirtschaftsminister nach einem klassischen DDR-Argumentationsmuster: Genauso ist es, und deshalb machen wir ja das Programm.
Peter Hildebrand, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Sächsische Schweiz, hat hingegen den Eindruck, daß hier etwas „pauschal aufgesetzt und nicht aus dem Dorf heraus, das in einer ganz konkreten Landschaft liegt, entwickelt werden soll“. Deshalb überreichte seine Schutzgemeinschaft zur Eröffnung des Nationalparks dem Ministerpräsidenten einen Offenen Brief, worin auf den „Konflikt zwischen fragwürdigen Nutzungsinteressen und einem übergreifenden, komplexen Verantwortungsgefühl“ hingewiesen wird. „Die Sächsische Schweiz ist eine Ganzheit, und es gibt in ihr keine Teile, die weniger wertvoll und weniger erhaltungswürdig sind.“ Die Deklarierung zweier Regionen zum Nationalpark ziehe die Gefahr einer Übernutzung und Verfremdung der anderen Gebiete nach sich. Also fordert die BürgerInneninitiative einen neuen Schutzstatus für die Sächsische Schweiz, worin sie „als Naturraum und Kulturlandschaft insgesamt“ erhalten wird, dazu kurzfristige Konzepte für Schutz, Sanierung, Pflege und Nutzung, eingeschlossen eine Wirtschaftsförderung, „die der Spezifik der Sächsischen Schweiz gerecht wird und zur Existenzsicherung der in dem Gebiet lebenden Menschen sinnvolle und zum Teil schon vorgeschlagene Alternativen in Angriff nimmt“. 50.000 Unterschriften hat der Sächsische Bergsteigerbund gegen die drohende Vermarktung des Elbsandsteingebirges gesammelt. Auch der Arbeitskreis Umwelt der CDU- Landtagsfraktion will eine Tourismuskonzeption, die der „Erhaltung der natürlichen Schönheiten und landschaftstypischer Ortsbilder Vorrang gibt“. So denken auch die meisten BewohnerInnen und UrlauberInnen, wie eine soziologische Studie der Interessengemeinschaft Tourismussoziologie e.V. an der Verkehrshochschule Dresden belegt. Wer letztlich „an den Fels faßt“, die Bergsteiger, Wanderer und Einheimischen oder die Golfplatzplanierer und Hotelarchitekten, ist mit der Eröffnung des Nationaparks nicht entschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen