: Ägypten: „Auch die größte Geduld ist begrenzt“
Heute soll der Ausnahmezustand in Ägypten in sein zehntes Jahr gehen/ Ein Mittel der Unterdrückung/ Während der Golfkrise wurden Tausende verhaftet — nach den geplanten IWF-Sparmaßnahmen könnte es bald wieder soweit sein ■ Aus Kairo Karim El Gawhary
Den Scharen Sonnenanbetern und „Einmal-rund-um-die-Pyramiden- Reitern“, die in den letzten Jahren das berühmte Land am Nil in ihren Augenschein genommen haben, ist eines sicherlich nicht aufgefallen: Ägypten befindet sich im Ausnahmezustand — und das ganz offiziell. Und wenn die Regierung Mubarak heute, wie allseits erwartet, den Notstand um mindestens ein weiteres Jahr verlängert, dann ist das der nahtlose Übergang in das zehnte Jahr Ausnahmezustand. Für so manchen Ägypter dürfte es bald schwer werden, sich an eine Zeit zu erinnern, in der das Land im „Normalzustand“ regiert wurde.
Angefangen hatte das Ganze, als Mubaraks Vorgänger Anwar Al Sadat von der militant-islamischen Gihad-Gruppe, während einer Militärparade erschossen wurde. Noch am gleichen Tag, am 6. Oktober 1981, verkündete der damalige Parlamentssprecher Sufa Abu Taleb den Ausnahmezustand im ganzen Land.
Die ganze Palette des Polizeistaates
Die seit dieser Zeit in Ägypten geltende Notstandsgesetzgebung repräsentiert die übliche Palette polizeistaatlicher Instrumentarien. Sie gibt dem Staat die Möglichkeit, die persönliche Bewegungsfreiheit, die freie Wahl des Wohnsitzes und die Versammlungsfreiheit seiner Bürger einzuschränken. Verdächtige Personen, die nach Meinung des Staates die Sicherheit gefährden, können jederzeit festgenommen und ihre Wohnungen durchsucht werden — das Ganze selbstverständlich ohne jegliche Beachtung der im Strafgesetz dafür vorgesehenen Prozeduren. Von einem Richter unterschriebene Durchsuchungs- und Verhaftungsbefehle sind nicht vonnöten. Das Öffnen von Briefen ist ebenso unter dem Notstand erlaubt wie das Konfiszieren von Zeitungen, Flugblättern oder anderen Druckerzeugnissen, bis hin zur vollkommenen Schließung von Druckereien oder Verlagen. Der Präsident erhält durch das Gesetz das Recht, spezielle Staatssicherheitsgerichte und Kriegsgerichte zu schaffen. Berufungen vor derartigen Gerichten sind unmöglich. Die dort ausgesprochenen Strafen müssen nur vom Präsidenten bestätigt werden.
Ägypten steht sicher nicht an der traurigen Spitze der arabischen Staaten, die systematisch die elementarsten Menschenrechte verletzen. Doch ist die Anwendung des Notstandsgesetzes eine der Hauptursachen für die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in Ägypten. „Unter dem Schirm dieses Gesetzes“, so heißt es in einem Bericht der „Ägyptischen Organisation für Menschenrechte“ vom November letzten Jahres, „wurden die letzten Jahre Zeugen willkürlicher Verhaftungswellen, die Tausende von Menschen umfaßten“. Die letzte dieser Wellen fand während der Golfkrise statt, in der Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Menschen aufgrund ihrer Opposition zur ägyptischen Beteiligung am Golfkrieg verhaftet wurden. „Folter ist in den Hauptquartieren der Staatssicherheit und Verhaftungszentren in Kairo und seinen Provinzen zur täglichen Routine geworden“, fährt der Bericht weiter fort. Und als ob der vorherige Innenminister Zaki Badri solche Vorwürfe unterstreichen wollte, erzählte er einem Journalisten, daß Schläge ins Gesicht des Verdächtigen ein notwendiger Teil des Verhörs sei. Schläge, mitunter mit schweren Gegenständen, bis hin zu Elektroschocks scheinen übliche Methoden des Verhörs zu sein.
Die den Muslimbrüdern nahestehende oppositionelle Wochenzeitung 'Al-Shaab‘ veröffentlichte in ihrer letzten Ausgabe einen Bericht über verheerende Verhältnisse in ägyptischen Gefängnissen. Sie zitiert den ehemaligen Direktor des Tora-Aiman-Gefängnisses, in dem die mit der Ermordung Sadats im Zusammenhang stehenden Mitglieder der Gruppe Gihad sitzen. „Keiner wird dieses Gefängnis verlassen, außer auf einer Bahre, und ich werde euch hier begraben“, soll er gesagt haben.
„Ich werde euch hier begraben“
Die Regierung sagt, daß Ausnahmegesetze nur gegen militante Gruppen und bei Fällen der Gefährdung der inneren Sicherheit angewendet würden. Doch Said Abu Zaid, ein freier Anwalt und Mitglied der linken Sammlungspartei weiß von ganz anderen Anwendungsgebieten zu erzählen: In einem Dorf namens Hamra etwa, als die Bauern es wagten, sich mit einem Sitzstreik vor der lokalen Moschee gegen die Wegnahme von Land durch einen örtlichen Großgrundbesitzer zu wehren, oder bei einem Streik, mit dem die privaten Busfahrer in Shubra, einem der verarmten Viertel im Nordwesten Kairos, gegen die Erhöhung der Benzinpreise protestieren wollten. Die zahlreichen Festnahmen der gegen den Golfkrieg friedlich demonstrierenden Studenten im Februar bilden wahrscheinlich nicht den Abschluß polizeilicher Notstandsexzesse. Angesichts der anstehenden Verlängerung startete die ägyptische Opposition eine Kampagne gegen den Ausnahmezustand. Die Forderung nach der sofortigen Beendigung des Ausnahmezustands scheint eine der Klammern zu sein, die die doch sehr unterschiedlichen ägyptischen Oppositionsgruppen von der linken Sammlungspartei über die liberal- bürgerliche Wafd-Partei bis hin zu den Muslimbrüdern verbindet. Ihre Kritik beginnt bereits bei der Begründung des Ausnahmezustandes nach der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Sadats. „Das war nur die Tat einiger weniger“, sagt Maher Hassan, Professor für Ingenieurwesen an der Universität Kairo und Pressesprecher der linken Sammlungspartei. In der ägyptischen Verfassung ist das Recht zur Ausrufung des Ausnahmezustandes ohnehin nur auf einen Kriegsfall, den Ausbruch einer Seuche oder auf Naturkatastrophen begrenzt. „Das war weder damals, noch in der darauf folgenden Zeit der Fall“, überschlägt Hassan die letzten 10 Jahre. Die innere Sicherheit und die Bekämpfung des Terrorismus hält er als Argument der Regierung nicht für ausreichend. Die Ermordung des Parlamentspräsidenten Mahgub im Herbst letzten Jahres hätte nach Meinung Hassans bewiesen, daß auch Ausnahmegesetze so etwas nicht verhindern.
Ökonomen der Regierung behaupten, daß der Ausnahmezustand die Stabilität schafft, die für die so dringend benötigten ausländischen Investitionen nötig sei. Für Hassan beweist die Aufrechterhaltung des Ausnahmezustands den ausländischen Investoren geradezu, das irgend etwas nicht in Ordnung ist.
In den letzten Wochen kursierten in Kairo Gerüchte, die Regierung werde vielleicht den Ausnahmezustand aufheben — die Rede des Präsidenten zum 1. Mai wäre ein günstiger Anlaß. Das würde Hassan sich zwar wünschen, aber glauben kann er nicht daran. Gerade jetzt nach dem bevorstehenden Vertragsabschluß zwischen Ägypten und dem IWF fürchtet die Regierung die Konsequenzen der damit verbundenen Sparpolitik. Schon jetzt stiegen die Preise für Strom um 50 Prozent, die für Benzin um etwas mehr. Auf der anderen Seite versucht die Regierung, die Löhne gemäß der Forderung des IWF einzufrieren.
Die berühmte ägyptische Sängerin Umm Kalthoum singt in einem bekannten Lied „Auch die größte Geduld ist begrenzt“. Eine Zeile, die sich irgendwann die sonst so geduldigen Ägypter zu Herzen nehmen könnten. Schon einmal, 1977, platzte ihnen der Kragen. Damals gingen sie nach einer Erhöhung des Brotpreises auf die Straße und es kam zu noch nie dagewesenen „Brotunruhen“ mit zahlreichen Toten, die nur mit Mühe von der damaligen Sadat- Regierung unter Kontrolle gebracht wurden. Die nächsten Jahre dürften nach Meinung fast aller Ökonomen für die ägyptische Bevölkerung hart werden.
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