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Kaum ein Senator fiel mit Zukunftskonzepten auf

■ Der schwarz-rote Senat wird morgen 100 Tage alt: Eine Bilanz/ Die Große Koalition agierte geräuschlos/ Manche Kröte von SPD geschluckt

Berlin. Die »Vernunftehe« aus CDU und SPD wird morgen 100 Tage alt — im politischen Geschäft ist damit die Schonfrist nach einem Regierungswechsel abgelaufen. Das Ergebnis der Wahlen zum ersten Gesamtberliner Parlament und die riesigen Probleme, die die Stadt nach der Einheit zu bewältigen haben werde, waren den großen Parteien Begründung genug, eine Große Koalition einzugehen. Der Erwartungsdruck, der auf dem schwarz-roten Bündnis lastet, ist enorm. Beide Seiten betonten die »Vernunftehe« und dementierten eine »Liebesbeziehung«. 100 Tage nach der Wahl der acht CDU- und sieben SPD-SenatorInnen ist der Druck auf die Vernunftehe eher größer geworden. Zuviel Zeit, so kritisieren viele, vertrödelte sie mit Personalkungeleien. Weil sich die neue Mannschaft trotz angespannter Haushaltslage gleich sechs zusätzliche Staatssekretäre — von denen der letzte bis heute nicht gefunden ist — genehmigte, lastete auf ihr schnell der Vorwurf der Selbstbedienung.

Bisher agiert die schwarz-rote Koalition geräuschlos — nicht nur wegen innerer Reibungsarmut, sondern auch, um die Ehe vor der Öffentlichkeit als solider auszugeben als die Vorgängerkoalition. Das Klima zwischen den Koalitionspartnern wird mit politischen Allgemeinplätzen als »konstruktiv und sachlich« beschrieben — etwa von CDU- Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky bei seiner 100-Tage-Bilanz. »Der Rückstand von 20 Monaten Rot-Grün ist aufgeholt«, behauptet er, während die Opposition scharfe Angriffe fährt: »Völlige Konzeptionslosigkeit« konstatiert FDP- Chefin Carola von Braun, »100 Tage Schaumschlägerei« wirft Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der gemeinsamen Fraktion von Bündnis 90 und Grünen/AL dem Senat vor. Die PDS bemängelt die Vernachlässigung des Ostens. Die Koalitionäre versuchen indes, sowohl im Senat als auch zwischen den Fraktionen pfleglicher miteinander umzugehen als die gescheiterten Partner SPD und AL. »Noch nicht ein Mal mußten wir den Koalitionsausschuß einberufen« brüstet sich Landowsky. Doch das wird manchem Genossen schon unheimlich. Ein führender Sozialdemokrat äußerte hinter vorgehaltener Hand die Befürchtung: »Der Schmusekurs von Diepgen gibt uns den Rest.« Er meint die Angst vor dem Verlust von politischem Profil als Juniorpartner. Die wird etwa dann genährt, wenn Scharfmacher Landowsky den Partner generös in der Öffentlichkeit lobt. Während zumindest die Zweifler innerhalb der SPD auf den Termin der Bezirkswahlen im Sommer nächsten Jahres schielen — mit der Hoffnung, daß dann eine Gelegenheit zum begründeten Ausstieg kommen könnte —, verkündet Landowsky süffisant, »Teile in der Union können es sich vorstellen, das Bündnis über die jetzige Legislaturperiode hinaus fortzuführen«.

Die Bevölkerung der Stadt wird indessen ungeduldig. Zwar hat nun der Kanzler sein erlösendes Wort in der Hauptstadtfrage gesprochen. Das jedoch als Erfolg der Berliner Politik zu verkaufen, trauten sich nicht einmal seine Berliner Parteifreunde. Dem Senat wird allenthalben vorgeworfen, »nicht richtig in die Gänge« zu kommen. Das ist nicht nur der von vielen als mittelmäßig empfundenen Senatsriege zu verdanken, sondern auch den höchst schwerfälligen Verwaltungen. Sie haben immer noch nicht begriffen, daß die rosigen Zeiten des Mauerdaseins vorbei sind. Die CDU-Fraktion schnürte dem Senat schon im März ein Maßnahmenpaket. Viel ist davon bisher nicht geschafft worden. Letzte Woche wurde es dann Landowsky zu bunt: Öffentlich forderte er mehr Chefentscheidungen, notfalls auch gegen deren eigene Verwaltungen. Staffelt zog in dieser Woche nach und forderte in einem taz- Gespräch, die SenatorInnen müßten endlich Prioritäten setzen. Viel Zeit verschwendete man bisher mit ideologisch aufgeheizten Themen wie der Verkehrspolitik: So gab man die Havelchaussee für die eigene CDU- Basis Ostern wieder frei — was danach als gewaltiger Erfolg verkauft wurde. Die Sozis nahmen es zähneknirschend hin. Die Verkehrspolitik ist auch der erste Bereich, in dem es zwischen den Partnern ernsthafte Konflikte gibt: Immer wieder geht der zuständige CDU-Senator Herwig Haase unabgesprochen an die Öffentlichkeit, zuletzt diese Woche mit dem Vorschlag drastischer Tariferhöhungen bei der BVG. Zum ersten Mal distanzierte sich die SPD öffentlich von der CDU, zumindest von deren Senator. Kein Fall für den Koalitionsausschuß? Andere »Kröten« wurden dagegen von der SPD klaglos geschluckt: der umstrittene »Maulkorb-Erlaß« gegen Araber während des Golfkriegs oder die Ausnahme der Polizei von den allgemeinen Sparmaßnahmen.

Fast traumatisiert ist die Berliner Politik angesichts der Haushaltslage. CDU-Finanzsenator Elmar Pieroth versucht trotz des Milliarden-Lochs im Stadtsäckel Optimismus zu verbreiten, glänzt aber wie zu seiner Amtszeit als Wirtschaftsstadtrat von Ost-Berlin durch häufige Abwesenheit. Wo das Geld herkommen soll, weiß bis heute niemand. Wenn das Parlament in diesem Monat den Nachtragshaushalt verabschiedet, ist in Bonn noch unklar, wieviel Geld über das bisher Bewilligte hinaus fließen wird. Denn: Der Bundeshaushalt steht erst im Juni auf der Tagesordnung. An den finanzpolitischen Unstimmigkeiten zwischen Bonn und Berlin hat auch der hiesige Regierungswechsel nichts geändert. Besonders betroffen sind davon neben Pieroth die SPD-SenatorInnen Stahmer, Krüger und Bergmann, die für die sozialen, traditionell sozialdemokratischen Ressorts zuständig sind. Der Regierende hat bereits angekündigt, gerade in diesem Bereich »Leistungsvorsprünge« gegenüber den alten Bundesländern abzubauen. »Bei den Sozialleistungen wird die SPD nicht mit sich reden lassen«, drohte Staffelt jedoch schon gegenüber der taz. Nach seiner Vorstellung sollte vielmehr in den Bereichen Verwaltung und Polizei gespart werden, doch da läßt die CDU nicht mit sich reden. Immerhin hob der Senat als eine seiner ersten Amtshandlungen die Sozialhilfesätze im Osten auf Westniveau.

In den ersten 100 Tagen fiel kaum ein Senator durch große Zukunftskonzeptionen auf. Insbesondere die »Ostler« Bergmann (Arbeit und Frauen, SPD), Krüger (Jugend und Familie, SPD) und Luther (Gesundheit, CDU) sind in der Öffentlichkeit kaum wahrzunehmen. Sehr viel eitler sind hingegen die Senatoren Volker Hassemer (Stadtentwicklung und Umweltschutz), der mit seinem Stadtforum für internationale Medienpäsenz sorgte und Wolfgang Nagel (Bau), der seine altbekannte Ankündigungspolitik fortsetzt. Immerhin hat Hassemer, progressiver Vorzeigesenator der CDU, mit dem Stadtforum Initiative gezeigt, die allerdings nur zu gut in das sattsam bekannte CDU-Konzept der Prestigepolitik paßt. Für die SPD dagegen rächt sich der Verzicht, ihre besten Leute in den Senat zu schicken. Der ehemalige Regierende Momper wurde aus parteiarithmetischen Gründen auf den Landesvorsitz verbannt, Staffelt als Ausgleich wieder zum Fraktionsvorsitzenden gekürt. Die CDU hatte ebenfalls Personalprobleme, da sie auf die Regierungsübernahme kaum vorbereitet war. Ihre Glanzlichter sind nur Hassemer und Bundessenator Peter Radunski, der in Berlin allerdings kaum in Erscheinung tritt. Auf SPD-Seite ist vor allem Kultursenator Ulrich Roloff- Momin positiv aufgefallen — etwa durch das von ihm initiierte Gutachten zur künftigen Theaterlandschaft.

Wenn die Opposition beklagt, daß die Regierung zuviel Zeit mit Kleinigkeiten vertut, während die großen Probleme der Stadt weiter brachliegen, so ist das mehr als nur die Pflichtübung der drei kleinen Fraktionen, die unter der Übermacht der Großen Koalition im Parlament regelmäßig plattgewalzt werden. Es war schon das Gewicht eines Edzard Reuter notwendig, um den Regierungskoalitionen Dampf zu machen. Die Rettung sieht man im Regierungs- und Parlamentssitz sowie in der Austragung der Olympischen Spiele. Doch ein innerstädtisches Verkehrskonzept fehlt bislang. Im Osten steigen die Arbeitslosenzahlen, die Straßen und Häuser verrotten weiter, weil die Verwaltungen träge vor sich hin dösen. Die CDU hängt währenddessen ihr Herz daran, die sozialistische Vergangenheit durch Straßenumbenennung zu entsorgen. Berlin wird vom Senat unablässig als Drehscheibe zwischen Ost und West gepriesen und beansprucht seinen Platz in der Reihe der Weltmetropolen. Doch die Äußerungen von Innensenator Heckelmann vor der Visafreiheit für Polen und der Maulkorberlaß geben eine Vorgeschmack auf die Toleranz und Weltoffenheit der »Metropole«. AL- Fraktionschefin Renate Künast warf der Regierung bei ihrer Bilanz eine »die Stadt lähmende Politik« und der SPD »hunderttägigen Dauerschlaf« vor. Der einsame Rufer Harry Ristock hat mit seiner Warnung vor dem Mehltau der Großen Koalition bisher recht behalten. Kordula Doerfler

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