JUGENDFREIE SCHLEPPERFILME: Der Saft der Träume
■ Heute: »Nichts ist unmöglich — Baccardi«
Nicht ohne Erschaudern durchblättern der Berliner und die Berlinerin die Kinoseiten der Stadtillustrierten. Nicht ohne meine Tochter liest er/sie da und erinnert sich dabei der heftigen Diskussionen um diesen Film. Betty Mamoody hatte mit der gleichnamigen Buchvorlage den rassistischen, aber schön zu lesenden Bestseller geschaffen, zu dem auch die sonst eher zu emanzipierten Berliner Hausfrauen und Studentinnen nicht nein sagen konnten. Manch eine wartete noch tapfer das Ende des Internationalen Frauentages ab und schlich sich dann in die nächste Buchhandlung, sich den internationalen Gefühlsschocker in der neuen, gebundenen Ausgabe zu besorgen.
Bereichert wird dieser »Dolchstoß einer Frau in Frauenrücken« ('TIP‘) jetzt noch durch eine weitere, nicht weniger umstrittene Buchverfilmung. Nichts ist unmöglich — Baccardi heißt der Kurzfilm und ist den ZuschauerInnen wohlbekannt. Schon seit mehr als einem Jahr im Vorprogramm der renommiertesten Filme, entpuppte sich der 60-Sekunden-Streifen als geraffte Verfilmung Barbara Wirsings Ich kann auch weinen ohne dich. Doch die von Barbara Wirsing sehr komplex angelegte Emanzipationsgeschichte zweier Frauen, die sich auf eine Insel ohne Männer zurückziehen, ist in Nichts ist unmöglich — Baccardi auf den ersten Blick kaum wiederzuerkennen. John Dickman, hinter welchem sich niemand anderes als Margret Windsor verbirgt, hat aus dem gern und viel gelesenen Schicksalsschmöker eine sehr eigenwillige und plakative Story destilliert, die ihrem Vorbild in der Heftigkeit der Aussage in nichts nachsteht. Die Unterschiede sind beim genaueren Betrachten unwesentlich. Sind es bei Wirsing noch die zwei großstädtischen Buchhändlerinnen Tamara und Beatrice, verzichtete Erfolgsregisseurin Margret Windsor auf Name und Beruf. Kämpft Tamara im Original noch um ihren dreijährigen Sohn Patrik und Beatrice gegen ihre Orangenhaut, glättet der Film die Schicksalswucherungen und entfernt sogar unwichtige Accessoires wie Sprechen, Essen und Körperhygiene.
Der inzwischen in die 20. Auflage gehende Bestseller Ich kann auch weinen ohne dich wird entschlackt von der kreativen Beschreibungswut der Autorin und macht die Sicht frei auf die wesentliche Aussage: Du kannst ohne Mann nicht leben. Symbolisch rückt »Der Saft, aus dem die Träume sind« in den Vordergrund, Baccardi genannt, ist er der kategorisch ausgepreßte Imperativ aller Sehnsüchte.
Bei einer maximalen Aufnahmefähigkeit des Kinobesuchers von 140 Sekunden, gelingt es Windsor in intensiven 60 Sekunden die Essenz des Geschlechterkampfes in klare Bilder zu fassen. In Baccardi-Crusoe (so der Videotitel) destillieren die drei autonomen Gastinsulanerinnen einen höllischen Saft der Liebe, hochprozentig durch das lange Warten. Bei der ersten Gelegenheit beschließen die drei wortlos, den Saft, der sie so stark machte, zum Bezwingen dreier Skipper zu verwenden. Margret Windsor nennt diese Geste in einem Interview »die Botschaft der Amazone an den Mann«. Egal welchen, möchte man hinzufügen. Noch namenloser als die Frauen, erinnern sich viele Kollegen nicht an ihre Zahl. Zwei, drei, nein vier, so stereotyp sind sie gehalten worden, um die Message nicht zu unterlaufen. Eine der drei Kurzentschlossenen taucht sogar unter dem Schiff der Männer hindurch, um an der inselabgewandten Seite einen Neubeginn zu wagen. Sie ist es auch, die Minuten später als erste wieder einen Männerkörper durch ein Poloshirt liebkost.
Lange gerätselt hat man um die wahre Bedeutung des Baccarditrailers, doch nun, da sich diese eine Minute Botschaft als autorisierte Verfilmung eines beliebten Frauenbuches entpuppt, herrscht großes Geschrei, dabei propagieren auch andere Werke der anerkannten Frauenliteratur seit langem den Trend zu Heim, Herd und Herr. Vorgängerin von Ich kann auch weinen ohne dich war der Dauerbrenner Beim nächsten Mann wird alles anders; in der Aussage identisch mit dem aktuellen Hit Nicht ohne meine Tochter, der die Rückkehr zum Beschützer nur mit der Klausel schmückt: »Wenn's kein Araber ist«. Während der Orientalo-No!-Renner seine 35. Auflage erfährt, schuf Nichts ist unmöglich — Baccardi die beliebte Heyne-Serie Insel der Leidenschaft, die zyklisch von Frau zu Frau den oben genannten Trend vermittelt. Petra Niedetzki
Nichts ist unmöglich — Baccardi , Malediven 1989, 60 sec., Videotitel Baccardi Crusoe , von Margret Windsor, zur Zeit im Kino.
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