: »In letzter Minute die Verflachung kaschieren«
■ Thomas Thimme (Radio 2000) und Werner Voigt (Neue Radio 100 GmbH) streiten über Konzepte für 103,4 und den Konkurs von Radio 100
Am Montag wird der Kabelrat vermutlich über die Neuvergabe der Radio-100-Lizenz 103,4 Megahertz entscheiden. Es bewerben sich die Kreuzberger Mediengruppe Schmidt & Partner, die die MitarbeiterInnen des ehemaligen Radio 100 und den Lesben und Schwulenfunk Eldoradio im Schlepptau hat (Neue Radio 100 GmbH) und der französische Medienkonzern Nouvelle Radio Jeunesse (NRJ), der zusammen mit Teilen der alten GmbH-Konstruktion agiert (Radio 2000). Die taz sprach mit Thomas Thimme, dem alten Radio-100-Geschäftsführer, nun bei Radio 2000 und Werner Voigt, dem designierten Chefredakteur der Gegenseite.
taz: Herr Thimme, Herr Voigt, auf der Frequenz 103,4 ist kein Programm zu hören. Welche Sender hören Sie momentan?
Thimme: Ich komme kaum dazu, Radio zu hören und kann nur feststellen was bei uns zu Hause eingeschaltet ist, das ist SFB 2.
Voigt: Ich lese hauptsächlich Zeitung, in erster Linie die 'Berliner Zeitung‘.
Dazu sage ich erst mal nichts. Herr Thimme, nennen Sie einen, nämlich den wichtigsten Grund, warum sich der Kabelrat Anfang der Woche für das Konzept von Radio 2000 entscheiden soll.
Thimme: Es wird ein handwerklich gut gemachtes, fortschrittliches Wortprogramm gemacht werden. Und ein Musikprogramm, das auf viele Hörer angelegt ist und nicht auf wenige, wie früher.
Auf Musik setzen ja auch andere, ihre Konkurrenten, Rias 2, 100,6, Radio 4 U, DT 64. Herr Thimme, wo ist da die Marktlücke?
Thimme: Die Chance, neue Hörer zu gewinnen, war noch nie so groß wie in diesem Jahr. Die Zukunft von Rias 2 und DT 64 ist unbekannt, Radio 4 U ist noch nicht etabliert, hat dem alten Radio 100 aber schon erheblich Hörer abgenommen. Neue, private Bewerber werden hinzukommen. Der Markt befindet sich jetzt im Umbruch. Musikalisch werden wir zwischen Rias 2 und DT 64 liegen.
Viel Musik und möglichst wenig Wort muß auch die Neue Radio 100 GmbH machen, Herr Voigt.
Voigt: Gegen störendes Wort bin ich auch. Aber im Gegensatz zu Thomas denke ich, daß das Radio nur eine Chance hat, wenn es gegen den musikalischen Mainstream und gegen immer weniger und flachere Wortbeiträge anstinkt. Aber dieses in Maßen und professionell gemacht. Tagsüber darf es keine heterogenen Programmstrukturen geben.
Thimme: Es geht um ein pointiertes aggressives Wortprogramm und das Abstellen der Qualitätsschwankungen.
Wie soll das Aussehen bei vier Minuten News-Flash, Hörerumfragen und Hörerspielen, so wie NRJ das vorhat?
Thimme: Wir wollen gar keine Hörerspiele machen. Es wird zwischen 10 und 14 Minuten Wort geben pro Stunde. Werbung extra. Da sind pro Tag hintereinandergeschnitten mehr als zwei Stunden Wort. Wenn man das gut macht, kann man kaum soviel produzieren.
Herr Thimme, wer ist denn von den alten Leuten bei Ihnen dabei?
Thimme: Das Entscheidende ist die klare Struktur der Redaktion. Es gibt nur noch zwei Redaktionen, Musik und Wort. Die Leiterin der Wortredaktion ist eine der GründerInnen, Ilona Mahrenbach. Die wird diese ganze Sache aufbauen. Die haben wir bewußt benannt, ihr zur Seite als professioneller Hintergrund Hanns Werner Schwarze, ehemals Kennzeichen D. Der soll sich mit der notwendigen Autorität auch gegen Gesellschafter durchsetzen können.
Voigt: Hanns Werner Schwarze schön und gut. Das ist bestimmt ein seriöser Mann. Aber es ist unfair, den herzunehmen, um einen existenziellen Mangel von Radio 2000 zu überdecken. Ihr habt die klare Auflage, daß bei ausgeschöpften Werbezeiten und Nachrichten maximal fünf bis sechs Minuten Wort pro Stunde bleiben. Da könnt ihr drei Neunzig-Sekunden-Beiträge senden. Da kann auch ein Hanns Werner Schwarze kein intelligentes Radio — wie du das gern nennst — machen.
Thimme: Die Zahlen, die Werner Voigt angibt, stimmen nicht.
Voigt: Über das Schwulenprogramm von Herrn Klotzbach lacht sich die Szene tot. Als Radio 2000 und die Neue Radio 100 GmbH mit den meisten ehemaligen MitarbeiterInnen sich gründeten, hat Thomas Thimme versucht, alles nachzuschieben, was dann nicht mehr da war. Er hat versucht, die Fremdsprachenprogramme rüberzuziehen, ist in der ganzen Stadt rumgelaufen und hat Schwule, Lesben und Frauen fürs Programm gesucht. Da wurde in letzter Minute versucht, die Verflachung zu kaschieren.
Thimme: Wir haben nichts nachgeschoben. Mit Hunderten von Soligruppen erreicht man keine gesellschaftliche Relevanz.
Voigt: Die publizistische Legitimation von Radio 2000 besteht in erster Linie aus viel Geld.
Herr Thimme, hatten Sie eigentlich moralische Probleme damit, im März, als sie Konkurs angemeldet haben, die eigenen MitarbeiterInnen auszusperren?
Thimme: Das ist keine Frage von Moral, sondern von rechtlichen Erfordernissen. Die Bank hat sich die technischen Geräte übereignet und die mußten geschützt werden, das war der Grund.
Voigt: Der Grund war, das eine Radio 2000 GmbH gegründet werden sollte, weil die MitarbeiterInnen nicht mit NRJ zusammengehen wollten und die ursprüngliche GmbH auseinanderbrach. Die einzige Chance für Thomas Thimme, mit NRJ einen Vertrag zu machen und beim Kabelrat einen Antrag zu stellen, war das Einleiten des Konkurses.
War der Konkurs wirklich notwendig, Herr Thimme? Herr Voigt sagt, man habe genug Geld gehabt, um die Außenstände auszugleichen.
Thimme: Irgendwo war sicher genug Geld, aber nicht bei mir in der Kasse. Ich habe allen Gesellschaftern mitgeteilt, daß die Grenze ereicht ist. Wann ein Laden nicht mehr wirtschaftsfähig ist, bestimmen die Gesetze.
Voigt: Die Mitarbeiter aussperren, das kann man vor allen Dingen dann, wenn man einen Arbeitsvertrag über 12.000 Mark pro Monat in der Tasche hat. Die Forderungen, die auf dem Tisch lagen, hätten sofort von mir beglichen werden können, mit Geld aus weiteren stillen Einlagen aus dem Umkreis der MitarbeiterInnen und Tolleranz e.V., und das wußte Herr Thimme. Aber er hat sich zwei Tage lang eingeigelt und sich nicht treffen und nicht sprechen lassen. Die Bank wußte Bescheid und Thomas Thimme auch.
Thimme: Das ist nicht wahr. Die Gesellschafter sind diejenigen, die die Geschicke einer Firma in der Hand haben. Und wenn die Firma Konkurs geht, dann sind die Gesellschafter dafür verantwortlich. Die Wirtschaftsunfähigkeit wurde durch mangelnde Investitionen der Gesellschafter ausgelöst. Die Gesellschafter haben sich gegenseitig blockiert. Und es ist ein Jammer, das das alte Radio kaputtgegangen ist.
Voigt: Es gab keine Mehrheit mehr für das NRJ-Konzept, und die einzige Möglichkeit für Thimme, diesen Knoten zu lösen, war der Konkurs.
Thimme: Auch das ist nicht wahr. Interview: Hans-H. Kotte
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