GLOSSE: Gleichberechtigt abtreiben
■ Stell dir vor, es gibt ein Männerberatungsgesetz, und keiner geht hin!
Ein Mann wird an der niederländischen Grenze festgehalten. Man unterzieht ihn zunächst einer Befragung, weil man Rauschmittelschmuggel für möglich hält. Der Mann bezeichnet sich selbst als uninteressiert an diesen für ihn künstlichen Rauschmitteln. Da gebe es Besseres, sagt er. Seine Hände verschwinden in den Taschen der Jeans. Er hebt die Fersen, reckt Unterkörper und Knie nach vorne und läßt die Fersen wieder auf den Boden gleiten. Den Zöllner durchzuckt es. Die Bewegung des Mannes läuft wie in Zeitlupe vor ihm ab. Unter der Jeans zeichnet sich das Geschlecht des Mannes ab. Dem Zöllner kommt es sehr groß vor. Er traut sich nicht hinzusehen.
Szenario I
Nach dem 1992 novellierten § 218 konnten Männer bestraft werden, die schuldhaft eine ungewollte Schwangerschaft verursacht und ohne Not der Abtreibung zugestimmt hatten. Eine Verurteilung hatte es bisher aber noch nicht gegeben, da alle Männer hinterlistige Verführung durch die Frau nachweisen konnten.
Der Wagen des Mannes wurde durchsucht. Man fand einen unbenutzten Pyjama und keine Präservative. Der Zöllner verständigte den Richter, der ordnete eine Untersuchung auf Ermittlung der Zeugungsfähigkeit an.
Dieser Vorfall beschäftigte die Presse mehrere Wochen. Der Kanzler: „Die Wirklichkeit ist wieder einmal schlimmer als die Realität. So war das Gesetz aber nicht gemeint, es muß weg. Liebe Geschlechtsgenossen, auch in den neuen Bundesländern, auf das Wort des Kanzlers können Sie sich verlassen!“ Otto Graf Lambsdorff: „Der ganze Saustall muß ausgemistet werden. Die gehören alle hinter Gitter.“ Joschka Fischer: „Wir erwarten die Solidarität der Feministinnen.“ Heiner Geißler: „Gerade in einer multikulturellen Gesellschaft muß die Integrität des Mannes gewahrt bleiben. Dieser Vorfall erinnert mich an ganz andere Zeiten in Deutschland.“ Der Heilige Stuhl schwieg zunächst. Im Vatikan grübelte man gerade über einer Untersuchung, in der behauptet wurde, die Beischlaffrequenz bei Katholiken stehe derjenigen von Menschen anderer Konfessionen in nichts nach. „Das wird sich vielleicht ändern“, meinte Sänger Udo Lindenberg. „Früher ging das total easy ab, aber nach diesem Vorfall ist der Nahverkehr gestört.“
Zwei Monate gab es wie gesagt den Theaterdonner in Parlament und Presse. Dann entschied der Bundestag mit großer Mehrheit die Streichung des Gesetzes. Im Parlament war kurzfristig der Fraktionszwang aufgehoben worden. Wilhelm Schmidt, früher Kinderbeauftragter der SPD, dann zum Männerbeauftragten avanciert, schlug für zukünftige Gesetzesvorhaben die Einführung der Männerverträglichkeits- Prüfung vor.
Szenario II
Gleichzeitig mit der Novellierung des § 218 wurde ein Beratungsgesetz für Männer verabschiedet. Die Frauen hatten gleiche Rechte für alle gefordert. Weil sie das ewige Gezeter leid waren, hatten die Männer zugestimmt. Der Vorschlag von Bündnis 90/Grüne zur 50-Prozent-Quotierung zugunsten der Männer in den Beratungsstellen wurde angenommen. In Artikel 2, Absatz 3 sah das Männerberatungsgesetz vor, daß bei glaubhafter, schriftlich vorgelegter Begründung von einer Beratung abgesehen werden konnte. Frauen befürchteten hier das Einfallstor für die Umgehung der Beratung, Feministinnen tauften die Regelung nach ihrem Erfinder „Kohl-Schwänzchen“.
Einen Monat nach Inkrafttreten des Männerberatungsgesetzes führten grüne Männer ihren ersten Männerkongreß durch. Ziel war, zu einer differenzierten Einschätzung der Praxis des Männerberatungsgesetzes zu kommen. Eine namhafte Wochenzeitschrift deckte den ersten Skandal auf. In der CDU/CSU war ein Formbrief für eine Entschudligung bei der Beratungsstelle aufgetaucht. Der Kanzler auf die Frage, ob denn damit nicht der Sinn der Beratung außer Kraft gesetzt würde: „Ich weiß davon noch gar nichts. Ich lese nicht jedes Hetzblatt.“
Der größte Widerstand kam allerdings aus dem sog. linken und alternativen Spektrum. Die Lebenserotiker: „Wir Männer tragen die Verantwortung für diese Welt. Wir sind sehr wohl in der Lage, auch bei der Beteiligung an einer ungewollten Schwangerschaft verantwortlich zu entscheiden. Das ganze kommt einer Entmündigung der Männer gleich. Das Selbstbestimmungsrecht des Mannes muß erhalten bleiben. Brüder und Schwestern, schließt euch fest zusammen, leistet Widerstand, schließt euch fest zusammen.“
Oppositionsführer Vogel mahnte in einer Sitzung des Parteivorstandes die Freundinnen und Freunde, die gegen das Gesetz rebellieren, zur Ruhe. „Lebenserotiker gehören nicht zu unserer Wählerklientel. Ich habe eine Umfrage bei unseren Wählern in Auftrag gegeben. Nach deren Auswertung werden wir entscheiden, ob wir uns für Beibehaltung oder Abschaffung stark machen.“
Die Beratungsstellen klagten zur gleichen Zeit über minimalsten Männerzulauf und setzten sich an die Auswertung der Entschuldigungsschreiben. 1. Die Begründungen wären alle ausreichend. 2. Gründe für das Nichterscheinen (nach Häufigkeit): starke Beanspruchung durch Erwerbstätigkeit, Weiterbildungsmaßnamen, Kongresse (z. T. im Ausland), Symposien, ehrenamtliche Arbeit in Parteien, Verbänden etc., Verpflichtungen durch Familienarbeit.
Das Fazit der Beratungsstellen fiel überzeugend aus: Der Mann wäre unabkömmlich und in der Darlegung seiner Gründe so überzeugend, daß ihm auch eine verantwortliche Entscheidung in Schwangerschafts-Konfliktsituationen zugetraut werden könne.
Das Gesetz wurde wieder abgeschafft.
Szenario III.
§ 218, 1
Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen bestraft.
§ 218 b
Wer eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß die Schwangere 1. sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff wegen der Frage des Abbruchs ihrer Schwangerschaft an einen Berater gewandt hat... wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafen bestraft... Die Schwangere ist nicht nach Satz 1 strafbar. Waltraud Schoppe
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