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Nur der Jaguar ist schneller

■ Windhundrennen in Deutschland: Die um den Hasen hetzen, zahlen kräftig drauf, denn im Gegensatz zu Großbritannien ist Wetten hierzulande strengstens verboten

Berlin (taz) — Nervös tänzelt Karl Louis auf der Grasnarbe auf und ab. Der Blick aus seinem langen Gesicht bleibt an seinen Mitkonkurrenten hängen. Vorsichtig beschnuppern sich die Gegner. Karl pinkelt an den Pfosten. Dann fängt er an zu weinen. Jämmerlich jault er, winselt und schreit zum Steinerweichen.

Karl zittert am ganzen Körper. Rennfieber. „Der weiß schon einen Tag vor dem Lauf Bescheid, dann bekommt er nämlich nichts zu fressen.“ Zufrieden blickt Ulrike Siegel auf den von ihr gezüchteten 34-Kilo- Modellathleten. „Nur DDR-Futter Marke Bella, das Westzeug ist zwar schön bunt, aber taugt nichts.“ Karl Louis, erst seit drei Monaten für Rennen zugelassen, kommt aus dem Märchenland und ist ein Greyhound.

An diesem Sonntag gleicht die 480 Meter lange Windhundrennbahn in Berlin-Karlshorst einem Beduinen- Zeltdorf. Wohnmobile ersetzen die Kamele, angehäufte Afghanenhunde die Teppiche. Wie ein zerzauster Flokati lungern die langhaarigen Windhunde namens Nonstop el Banjas oder Chic-el-ur-Sulaner flach wie Flundern in den Zelten. Nebenan schäkert Barsoi Baikal von der Windhundranch, der große russische Windhund, mit dem winzigen Piccolo, einem italienischen Windspiel. Whippet Ilja vom Meatloaf — die einzige Züchtung unter den Windhunden — zerrupft seine Decke. Englische Bergarbeiter hatten den Greyhound mit dem kleineren Terrier zum Whippet gekreuzt, um einen Windhund für Arme zu züchten.

Die Angst vieler Hundefans, die Tiere mit dem genialen CW-Wert müßten ständig rumrennen, ist unberechtigt. „Ein Windhund braucht weniger Auslauf als ein Jagdhund. Er ist ein Kurzstreckler“, so Frau Siegler. „Er ist schnell ausgepowert.“ Besitzerin Helga Martin: „Am Anfang dachte ich noch, der arme Hund, was soll er sich denn so abhetzen? Aber das macht ihm Spaß. Laufen ist halt seine Bestimmung.“

Heute bedarf es keiner Überredungskünste. Auf dem Sattelplatz, wo er sein farbiges Leibchen mit Startnummer angezogen bekommt, dreht er durch. Frauchen hält ihn an der Wespentaille, die Hinterbeine in die Luft, Antrieb gleich Null, Hund kann nicht ausbüchsen. Schnell bekommt er den vorgeschriebenen dünnen Maulkorb aus Drahtgeflecht übers lange Maul gezogen. Wer fleddert, wird disqualifiziert. Die Lizenz gibt's nur nach sechs rauffreien Rennen.

Endlich geht's in die hölzerne Startkiste. Der ganze Hund spannt sich wie eine Feder, dann knallen die fünf Türen auf. Doch das Opfertier, dem die Meute hinterherrennt, muß keine Todesangst mehr ausstehen. Der Hase, dessen Fell am Seil um die Rundbahn gezerrt wird, hat schon lange keine Möhre mehr gemümmelt. Den Hunden scheint's egal, es geht ums genetisch angelegte Prinzip. Mit bis zu sieben Meter langen Sätzen fetzen sie um die Bahn. Ihre in Jahrtausenden entwickelten Rennkörper bewegen sich wellenförmig über den Boden. Kraftvoll treten die Hinterbeine vor zu den Ohren, die dürren Vorderläufe drücken sich schwungvoll ab.

Nach gut 30 Sekunden hat Karl Louis seinen Vorlauf gewonnen. Zum Lohn darf er sich aufs Hasenfell stürzen, rupft und zerrt mit blutunterlaufenen Augen. Wichtig sei diese Belohnung, wegen der Hasenschärfe. Schon eilen die Besitzer herbei. Jeder zieht und zerrt an seinem Hund, bis das kläffende Knäuel sich endlich auflöst.

Glitschig wie Aale sind die kurzhaarigen Körper, und wem der Hund entwischt, der muß selber rennen. Denn gehorchen tun Windhunde nicht. „Aus dem machen sie keinen Schäferhund“, grinst Frau Martin. Windhunde, so bestätigt Barsoi- Züchter Klaus Steinborn, sind recht arrogant und kaum abzurichten. „Die müssen im Rennen selbständig Entscheidungen treffen. Man muß sie selbstbewußt erziehen.“

Sieben Borsoi und einen Whippet hält er, doch bald muß er sich von den meisten trennen. „Der bisher gepachtete Auslauf wird verkauft.“ Tierarzt, Startgelder, Futter, alles wird teuerer. Auch für Hundezüchter ist die Luft in der Ex-DDR dünner geworden. Zumal es nichts zu verdienen gibt. Windhundrennen-Wetten sind in Deutschland verboten. Pokale, Leinen und Freßnäpfe sind der Lohn für viel Aufwand.

Doch Geld scheint nicht wichtig. Durch die Hunde kamen wir viel herum, schwärmt Steinborn von seiner suchtartigem Hobby. Und bekommt glänzende Augen, wenn er an frühere Zeiten denkt: Mit drei riesigen Barsois, seiner Frau und seinem Sohn im Trabi zum Rennen nach Ungarn... Michaela Schießl

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