: Abschied vom Abschied
■ »Zwischen den Zeiten« — ein Festival mit letzten DEFA-Dokumentarfilmen
Die DDR an sich war schon Kitsch. Vom optischen Standpunkt aus gesehen. Und nun danach das Anschlußgebiet, die FNL, erst recht: ein Dorado für frustrierte Art-Direktoren, für Bildjournalisten mit sozialkritischem Anspruch, für ARD-Beamte mit 68er-Vergangenheit. Wie wunderbar sind doch die erdigen Brauntöne der bröckelnden Hinterhofidyllen, wie ehrlich und klar gibt es hier noch jene wahre Ästhetik der Industrie der zwanziger Jahre, die bittersüße, schwere Schönheit versauter, verqualmter Umwelt. Ach ja, und dann erst die Menschen in ihrem Dialekt: einfach herrlich, wie ursprünglich deutsch die Frauen in ihren Kittelschürzen in herrlich weichem Gegenlicht an überkommenen Fließbändern stehen und berlinern. Oder die sächselnden, echt ausgemergelten Proletarier, wie sie in den urigen Eckkneipen schlicht, aber tiefsinnig in die Mollen starren, wie sie Trabis putzen, Schlangestehen, mit Transparenten die Treuhand belagern. Da kommt hautnah und authentisch human touch rüber. Seit der Wende macht das Medienmenschenleben wieder Spaß.
Früher war das Abfilmen ostelbischer Realität überwiegend Domäne der DEFA-Abteilung Dokumentarfilm. Jetzt wandeln hochbezahlte ARD- und ZDF-Teams ergriffen auf Fritz Langs Spuren. Deshalb hat man die Dok-Filmer der DEFA jetzt auch abgewickelt. Schließlich dürfen nun alle Bitterfeld-Filme drehen, Rostocker Werft-Gesichter einfangen und Marzahner Jugendgangs im Abendrot vor Hochhausschluchten und Müllkästen filmen. Und die Jungs von SAT 1, ZDF oder NDR machen's noch schöner, schlimmer und ergreifender als die Ossi-Dok- Filmer.
Vordergründig betrachtet besteht kein Bedarf mehr für die Art des spielfilmlangen Dokumentarfilms, wie ihn die DEFA in den letzten Jahren auf hohem Niveau entwickelt hat. Hatten doch viele der Filme — wie vielfach beschrieben — unter dem Deckmäntelchen der Kunst einfach die Aufgabe des nicht vorhandenen Journalismus im Honecker- Staat übernommen: Abbilden, Erläutern, Beziehungen verdeutlichen, versteckt kommentieren. Viele dieser Dokumente erreichten dabei dennoch nie ihre angepeilten ZuschauerInnen. Andere — und dies wäre im Westen undenkbar — liefen vor großem Kinopublikum: Zwangsweise vor dem Haupt(spiel)film. Insgesamt beschäftigte das DEFA-Studio für Dokumentarfilme mehr als 1.000 MitarbeiterInnen.
Seit dem 1. April gehen die Dok- Filmer nun stempeln. Die Retro Zwischen den Zeiten mit DEFA-Dokumentarfilmen aus den Jahren 1989/90, die das Babylon zeigt, ist deshalb ein doppelter Abschied: Zum einen vom künstlerischen Dokumentarfilm dieser spezifischen Identität, Machart und Schule. Auch wenn einige der Filmer in der kapitalistischen Filmwirtschaft auf die Füße fallen werden, werden dabei ganz andere Produkte entstehen müssen. Zum anderen thematisieren die Filme den Abschied von der DDR. Ausnahmsweise noch einmal gefilmt von Menschen aus der DDR. Genau darin liegt der große Reiz des kleinen Festivals. Denn neben der spezifischen, stellenweise eben klebrig-fragwürdigen Dokumentarfilm- Ästhetik gibt es in den DEFA-Dokfilmen häufig eine ganz besondere Schlüsselloch-Perspektive. Es ist jenes zähe, ruhige, ausdauernde Belagern und Belauern von Menschen mit der Kamera, das dem Zuschauer am Ende neue Informationen über seine abgefilmten Mitmenschen vermittelt. Informationen, die man sonst weder durch eigenes Beobachten der nächsten Umgebung, noch per TV- Statements bekommt.
Beispielsweise der 27-Minuten- Film Imbiß Spezial (Regie: Thomas Heise, 1989/90): Die Kamera haftet förmlich an den Mitarbeitern der Schnellgaststätte im Bahnhof Lichtenberg. Es ist die Zeit kurz vor dem 40. Geburtstag der DDR, im Oktober 90. Das Radio dudelt Schlager und verkündet sinnlos gewordene DDR-Nachrichten, die MitarbeiterInnen sind von einer merkwürdigen Lethargie befallen, die jedoch von der Alltagsroutine überdeckt wird. Penetrant verfolgt vom Kameraobjektiv, werden sie für den Zuschauer zunehmend plastischer, zunehmend Individuen, losgelöst vom sozialen Mikrokosmos der Bahnhofsgaststätte. Dieses Peepshow-Moment erzeugt ein Seherlebnis, dessen Wirkung tiefer geht als das bloße Dokumentieren einer historischen Situation.
Poesie nennen es die einen, sentimentaler Kitsch ist es für die anderen, wenn immer wieder der Untergang der kleinen DDR-Welt nachdenklich, wehmütig, pathetisch oder bürgerbewegt-verklärt kommentiert wird. Vor allem, wenn auch noch Musik die Dokumentation überlagert. Davon ist wohl kaum einer dieser Abschiedsfilme ganz frei. Daneben bieten sie aber auch diese kleinen Spanner-Erlebnisse, die so hilfreich sein können für die Einschätzung unserer neuen alten Umwelt. Komisch dabei: Alles scheint schon wieder so ewig lange her zu sein. Thomas Kuppinger
Zwischen den Zeiten läuft noch bis zum 12. Mai im Babylon-Mitte, Rosa-Luxemburg-Platz. Der zweite Teil des Festivals beginnt heute um 19.30 Uhr mit Alptraum (Al Zubadi) und Die Mauer (Böttcher). Am 11.5. folgen um 19.30 Uhr Östliche Landschaft (Schreiber) und Ich war ein glücklicher Mensch (Schreiber) und um 22 Uhr La Rotenda/Vicenca (Steiner) und Sperrmüll (Misselwitz). Letzte Vorstellung ist am 12.5. um 19.30 Uhr mit Pappesatt (Schmidt), Imbiß Spezial (Heise) und Gadini Scheusale / ‘Kolonne Links‚ im Exil (Klemke).
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