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Marktwirtschaft, und nichts dazugelernt-betr.: "Der Bundeskanzler als Baulobbyist", taz vom 11.5.91

betr.: „Der Bundeskanzler als Baulobbyist“, taz vom 11.5.91

Die Sowjetunion schenkte der DDR die Freiheit; dafür schenken wir der Sowjetunion Hilfe für die Heimkehr ihrer Armee, das heißt Geld für den Wohnungsbau.

Nun könnten wir der Sowjetunion auch noch mit Rat und Tat dabei helfen, die erforderlichen Wohnungen zu bauen. Andererseits wäre die Regierung der Sowjetunion gut beraten, wenn sie die von der Bundesrepublik bereitgestellten 7,8 Milliarden DM so einsetzte, daß möglichst viel der erforderlichen Arbeitsleistung von den eigenen Arbeitern erbracht wird. Dazu müßte das ganze Bauwesen auf Trab gebracht werden. Das fängt bei den Baumaterialien an, geht über Tansportleistungen und Baumaschinen bis zu den erforderlichen architektonischen Entwürfen. Der Anfang wäre gewiß schwer. Und die Hilfe bei der Organisierung des ganzen Projektes, bei der Ausbildung von Fachkräften und bei der Überwindung unvermeidlicher Engpässe wäre dringend nötig. — Als Hilfe zur Selbsthilfe.

Es gibt langjährige Erfahrungen mit staatlicher Entwicklungshilfe. Fast immer gelang es den großzügigen Industrienationen, diese so zu lenken, daß die gewährte finanzielle Hilfe zum größten Teil durch den Kauf von Maschinen, Verbrauchsgütern und Arbeitsleistungen wieder in das Ursprungsland zurückfloß.

1945 war die Sowjetunion eine der Siegermächte. Bis in die letzten Jahre war sie die größte Industrienation des östlichen Lagers. Muß sie sich nun an die Regeln der „Dritten Welt“ halten? Ganz in diesem Sinne spielt sich jetzt die Bundesregierung auf: Die Bauleistungen sollen durch deutsche Firmen erbracht werden. Allen voran der Kanzler. Es scheint außerhalb seines Begriffsvermögens zu liegen, daß gerade diese fatale (weil letale) Mischung von Pochen auf Marktwirtschaft und massivem Lobbyismus zugunsten der (west-)deutschen Wirtschaft (mit der Treuhand als Vollstrecker) den Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft in jene Tiefen bewirkt hat, die wir gerade miterleben.

Gesucht wird nach wie vor die Hilfe zur Selbsthilfe gegenüber dem Osten Deutschlands wie auch der Sowjetunion und so weiter. Dr.Jörg Neumann,

(West-)Berlin

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