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In Marmelade Badende wollen nicht nach Zwolle

Er liebte die Kokotten, die TänzerInnen, die Artisten, seine Nervenärzte und lebenslang die „Badenden“: Ernst Ludwig Kirchner, Expressionist, Alkoholist, Drogenesser und Fremdling. Ein Zerrütteter, ein „Nervöser“, der sich 1938 das Leben nahm. Kirchners druckgraphische Arbeiten waren streckenweise wichtiger als seine Gemälde, mit unglaublicher Energie brachte er ein OEuvre von 2.000 Arbeiten zustande. 158 davon zeigt jetzt die Kunsthalle Bremen in einer Ausstellung, die das „Brücke“-Museum zusammengestellt hat und die außerdem im Folkwang-Museum gezeigt worden ist.

Von Schülerbeinen an interessierte Kirchner (1880 geboren, ein Jahr vor Picasso) an Holz vor allem die Verwendbarkeit als Druckstock. Obwohl er viel lithographisch und mit Radierung gearbeitet hat, ist der Holzschnitt zeitlebens die wichtigere Ausdrucksform gewesen. Der Zwang zur Organisation, die Möglichkeit klarer (strenger) Aussagen, das Eigenleben des Holzes sind Aspekte dieser Technik, die auch heute wieder viele Kunstfreunde begeistern können. Die Ausstellung zeigt teils sehr seltene Arbeiten aus Kirchners Jugendstil-Zeit, Beispiele von ornamentaler Behandlung der schwarzen bzw. weißen Flächen oder des Bildrandes, es gibt zauberhafte Liebende oder Badende als Farbholzschnitt zu sehen, Charakterstudien von Freunden wie Schmidt- Rottluff, ebenfalls „Brücke“-Mitbegründer, Stadtansichten von Dresden, Berlin, Frankfurt, Urlaubsansichten von Fehmarn oder den Alpen. Wer sich mit Kirchner etwas auskennt, entdeckt unmittelbare Bezüge zu seinen großen Gemälden. Wer sich nicht auskennt, kauft sich einen opulenten Katalog (45 DM), der unter anderem einen Aufsatz „Über Kirchners Grafik“ enthält. Autor: Louis de Marsalle (= E.L.Kirchner). (Bis 7.Juli, Sponsor Beck & Co.)

Die Hochschule für Künste hier am Ort hat Kooperationsverträge mit verschiedenen Hochschulen, Riga etwa, Gdansk, und der “Chr. Hoogeschool voor de Kunsten 'Constantijn Huygens'“ in Zwolle/Kampel (NL). „Chr.“ ist christlich. Zur Kooperation gehört Studentenaustausch. Der funktioniert nicht. Aus Riga kommen nur „Touristen“; und nach Zwolle z.B. will niemand. Ändern soll das eine Ausstellung Am Wandrahm, in der sich die niederländischen Lehrkräfte präsentieren, um für sich zu werben. Zu sehen: Monochromes, regenbogne Farbstudien, expressiv Farbenfrohes, kleine floral-grafische Zartheiten und große Holzschnitte mit bißchen bunt. Der Architekturprofessor Jan Lambeck zeigt bunte Hollandgassen in aubergine/mint, was aber schon bis Buxtehude vorgedrungen ist. Nichts neues, geschweige Aufregendes, diese Ausstellung wird wieder niemand nach Zwolle locken. (bis 30. Mai, 14-20 Uhr).

Burkhard Straßmann

„Marmelade“: Name und Programm einer Ausstellung der Portal Gallery Am Dobben 105. Süß und zusammengekocht reihen sich Ölbilder und Gouachen britischer „primitiver Fantasten“ aneinander, wo nicht der Kaufrausch Lücken hinterlassen hat: Viele der bunten, naiven, aber hintersinnigen Bilder und Bildchen — richtig, da lutscht ein nicht gar so naiver Gaul an den Brüsten einer nicht gar so naiven Dame — wurden bereits von besonders Naivophilen abgeholt.

Noch komplett vorhanden: die Bilder von Pfiffikus „Patrick“, gestandener Absolvent der Glasgower School of Art und v.a. eines: Sohn. Weil die Portal Gallery in London, mit der die Bremer „Gallery“ seit Bestehen kooperiert, auf „authentische“ Amateure erpicht ist, gab Patrick alias John Byrne seine Bilder als die seines unverbildeten Vaters aus - und hatte Erfolg. Er gehört dabei zu den langweiligsten unter den Portal Painters: penibel, halbgar naiv-naturalistisch und wahrscheinlich ebendrum erfolgreich. (Bis 8.Juni)

Susanne Hagemann

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