: Ein Putsch in der Waldaudämmerung
■ Schwere Angriffe auf das Ernst-Waldau-Theater: Eine Initiative fordert den Rücktritt der Leitung / Ein Hintergrundgespräch
Sinkende Besucherzahlen, miserable Kritiken und ein unerträgliches Arbeitsklima am Ernst-Waldau-Theater: solchen Kalibers sind die Vorwürfe, die eine oppositionelle „Initiative Niederdeutsches Volkstheater“ erhoben hat. Hauptforderung: das regierende Duo (Ingrid Waldau-Andersen und Rolf B. Wessels) müsse zurücktreten. Die taz sprach mit Jürgen Kropp, einem Vertreter der Initiative, über den Niedergang des Theaters. Jürgen Kropp war drei Jahre lang Dramaturg in der Waller Heerstraße.
taz: Sie fürchten ernsthaft um das Theater?
Jürgen Kropp: Ja. Es wäre schade, wenn es jetzt endgültig herunterkäme zur Dilettantenbühne.
Die Theaterleitung bestreitet, daß die Zuschauerzahl stark sinkt.
Aber konkrete Zahlen erfährt man längst nicht mehr. Die letzte bekannte Zahl stammt aus der Spielzeit 88/89. Da haben von gut 2.100 Abonnenten 500 gekündigt. Und bloß 150 sind dazugekommen. Jetzt spricht man von 200 Neu-Abos, Kündigungen sind nicht erwähnt. Dabei laufen viele Vorstellungen vor halb leeren Sälen.
Gleichzeitig hat man, zugunsten der Saal-Befüllung, die Zahl der Vorstellungen reduziert.
Ja, auch schon im letzten Jahr meiner Zeit. Das war 1987.
Warum bleiben die Leute weg?
Wir haben schon vor sechs Jahren begonnen, die Spielpläne etwas zu modernisieren, haben sehr viel auch auf Übersetzungen zurückgegriffen. Dieser Weg hat sich inzwischen als falsch herausgestellt. Aber die Theaterleitung hält daran fest. Es werden ja fast keine original plattdeutschen Stücke mehr gespielt. Wohl auch, absurderweise, wegen eines Zerwürfnisses mit dem einzigen niederdeutschen Bühnenverlag. Dabei gäbe es viele gute Stücke, die etwa im Ohnsorg-Theater mit großem Erfolg laufen. Da hat man sich einfach verrannt, zum Teil auch auch gleich in hochdeutsche Stücke oder in dieses „Studiotheater“, wofür in Bremen überhaupt kein Bedarf ist, weil das andere Bühnen wesentlich besser können!
Aber sonst fänden Sie ein gemischtes Programm prima?
Ja, wenn man Leute hätte, die für hochdeutsches Theater geeignet und ausgebildet sind. Hat man nicht. Im Gegenteil. Man macht jetzt immer mehr mit den Schauspielschülern des Theaters. Von denen kann man keine Professionalität erwarten.
Die alten Bühnengrößen hingegen klagen über Vernachlässigung.
Ja. An erster Stelle Erika Rumsfeld. Die wird seit Jahren vertröstet. Es heißt, es gäbe keine Rollen für sie. Das ist, als ob das Ohnsorg-Theater Heidi Kabel nicht mehr besetzen würde. Oder Heinz Poppe, Klaus Nowicki und viele andere. Seit die neue Leitung 1986 angefangen hat, sind 42 Leute gegangen! Darunter sogar Uwe Strohmeyer, ein Bühnenmeister, wie man keinen zweiten mehr findet. Der hat im Theater gelebt, der hat da seinen Urlaub verbracht und privates Geld reingesteckt. Mußte gehen.
Warum so viele?
Das Problem war, daß die meisten inhaltlichen Konflikte gar nicht zur Sprache kamen. Der Chefdramaturg Rolf B. Wessels, der letzlich wohl das Haus leitet, hat sich schlicht in alle Bereiche eingemischt, bis hin zur Requisite, bis hin zu selbstgefertigten Witz- Zeichnungen, die er im Programmheft unterzubringen wußte. Wobei er in vielen dieser Dinge von einer gnadenlosen Inkompetenz ist. Von so einem läßt sich doch niemand gern dreinreden. In letzter Zeit inszeniert er immer öfter selber, ziemlich seicht und mit immer den gleichen Scherzen. Und setzt auch gern, wo ihm etwas nicht paßt, renommierte Regisseure wie Hans- Helge Ott kurz vor der Premiere einfach vor die Tür.
Das Klima war bald eines aus lauter Verdächtigungen, Vorwürfen und Intrigen. Als die Presseerklärungen des Herrn Wessels lange Zeit nirgendwo abgedruckt wurden (wohl, weil er ein schauderhaftes Deutsch schreibt), da warf mir die Theaterleitung tatsächlich vor, ich hätte sie aus dem Postausgangskorb gestohlen. So kam es zu zahllosen Zerwürfnissen.
Jürgen Kropp, Ex-DramaturgFoto:Jörg Oberheide
Gibt es keine Kontrollinstanz?
Gäbe es an sich: den Vorstand des Trägervereins. Der ist allerdings einflußlos und von dauernden Rücktritten und Neuwahlen geschwächt. Auch sitzen nur Leute aus dem Theaterbetrieb drin. Die haben natürlich ihre eigenen beschränkten Interessen. Nicht umsonst forden wir, unabhängige Leute von außerhalb da reinzunehmen. Dann würde es soweit gar nicht kommen, daß einer allein ein ganzes Theater herunterwirtschaften kann.
Hier bitte das Portrait
Das Ernst-Waldau-Theater hat aber von der Stadt Bremen über die regelmäßigen 1,2 Millionen hinaus jetzt noch 2 Millionen für Umbaumaßnahmen gekriegt...
Eine Fahrlässigkeit. Gerade in Bremen, wo viele freie Gruppen von der Hand im Mund leben.
Das Gebäude in der Waller Heerstraße ist riesengroß und hat zwei zusätzliche Säle zu bieten. Ist das von einem Betrieb allein überhaupt auszulasten?
In Bremen wohl kaum. Mindestens Gastspiele wären sinnvoll. Das TAB (Theater aus Bremen) wird ja da jetzt auch spielen. Das ist schon mal ein Schritt.
Könnte man nicht ein Zentrum des Volkstheaters draus machen?
Sicher. Ich könnte mir vorstellen eine feste Sparte „Niederdeutsches Theater“ mit Stars, die das Publikum sehen will, wie Erika Rumsfeld oder Klaus Nowicki. Und mit Niveau, weil das ganz platte Niederdeutsche, wie man sieht, auch niemanden mehr anlockt. Und diese Sparte könnte die vielen Räume mit anderen Gruppen zusammen nutzen. Aber wirklich mit Schwerpunkt, da paßt das TAB schon rein, mit Schwerpunkt Volkstheater. Dazu gehören ja auch noch Autoren wie Brecht, Horvath oder auch Felix Mitterer.
Die Aufrührischen wollen, daß Köpfe rollen.
Ohne einen Führungswechsel ist das Haus auch nicht mehr zu retten. Wenn es erst zum Konkurs kommt, ist es zu spät. Das Gebäude fiele dann übrigens wieder an die Stadt.
Fragen: Manfred Dworschak
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