: Herrin und Knecht
■ „Hingerissen...“ — Ein Lina-Wertmüller-Film von 1974
Donna Raffaela ist eine Nervensäge. Sie ist reich, schön, verwöhnt und gibt ohne Unterlaß ihre Theorien zu Wirtschaft, Regierungskrise, Umwelt und Gewerkschaften zum besten. Politik ist für Raffaela reiner Zeitvertreib. Zusätzliches Amüsement bietet ihr eine teure Yacht im Mittelmeer, auf der sie mit Freunden ein elegantes Luxusleben führt. Gennarino ist Matrose auf ebendieser Yacht, Kommunist und ein süditalienischer Macho, wie er im Buche steht. Nur schwer kann er es ertragen, Raffaelas demütigenden, schikanösen Befehlen Folge zu leisten.
Bilderbuchschön ist die einsame Insel, auf der dieses disharmonische Paar dank Motorschaden und ungünstigen Windverhältnissen landet. Selbstverständlich will die schöne Raffaela auch auf der Insel Herrin bleiben, doch nur Gennarino weiß, wie man ohne den Komfort der zivilisierten Welt überleben kann. Er nutzt seine günstige Position aus und rächt sich für Raffaelas Schikanen. Sie kann auf seine Hilfe nur hoffen, wenn sie Gennarinos Anweisungen befolgt. Zunächst fügt sich Donna Raffaela nur widerstrebend, doch nach einer Weile beginnt sie, Spaß an den Demütigungen zu bekommen. Lustvoll erschaudernd wird sie zu Gennarinos Liebessklavin. Während einer leidenschaftlichen Umarmung beschimpft er sie gar im Namen der KP („Die Partei ist heilig, und du bist eine Nutte!“). Woraufhin sie ihn dankbar anhimmelt: „Liebster, du bist ein Mann, wie er erschaffen wurde, bevor alles anders wurde.“ Nichts wünscht Raffaela sich nun sehnlicher, als für immer auf der Insel zu bleiben und mit ihrem Geliebten in paradiesischem Urzustand zu leben.
Was das Kinopublikum seit Pedro Almodovars Fessle mich weiß, findet hier erneut seine Bestätigung. Frauen wollen schlecht behandelt und geschlagen werden — sie werden's den Männern danken, sie sogar lieben dafür. Wertmüller selbst versteht ihren Film allerdings keineswegs als Kommentar zum Verhältnis der Geschlechter, sondern als politische Parabel über die Machtverhältnisse zwischen den Klassen. Raffaela und Gennarino sind für sie Symbole der Beziehung zwischen geknechtetem Proletariat und Bourgeoisie. Folgerichtig ist Gennarino am Schluß des Films der Verlierer, Raffaela wieder die große Dame. Die Umkehrung der Verhältnisse war zeitlich begrenzt.
Ob Wertmüllers Parabel beim Publikum ankommt, bleibt jedoch fraglich. Trotz ironischer Brechung ist das „Inselparadies“, in dem Raffaela masochistisch-lustvoll ihr Ich aufgibt und Gennarino als herrschsüchtiger Despot auftritt, mit realistischem Ernst gezeichnet. Zwar ist die Seligkeit der Liebenden zu groß, das Mittelmeer zu blau und die Landschaft zu wunderschön, doch gleichzeitig ist Wertmüller von der Geschichte offenbar ebenfalls hingerissen. Der Faszination ihrer Inselbilder ist sie selbst erlegen. Gennarinos und Raffaelas Liebesgeschichte offeriert uns Wertmüller letztendlich als Verwirklichung eines Traums und nicht eines Traumas. Antje Kroll
Lina Wertmüller: Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer des August , mit Mariangela Melato und Giancarlo Giannini, Italien 1974, 116 Min.
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