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Die unmögliche Bruderschaft

■ Der KP-Renegat und Kupferschmied Georg K. Glaser las und sprach in der Akademie der Künste

Niemand, der nicht jene Zeit in unseren Reihen miterlebt hat, kann sich vorstellen, was mir Berlin, die roteste aller Städte der Erde außerhalb der Räteunion, bedeutete. Die rote Festung, die Stadt der Maibarrikaden, die Stadt Spartakus'.« Mit diesen Sätzen aus seiner »verdichteten« Autobiographie Geheimnis und Gewalt eröffnete der syndikalistische Handwerker Georg K. Glaser am Mittwoch abend in der Akademie der Künste. Unter den vielleicht 100 Zuhörern befand sich wohl nur eine Handvoll von Männern, die wie er diese Zeilen zu verstehen wußten. Lebende Fossilien aus einer vollkommen anderen, fremden Zeit. »Die rote Festung, die Stadt der Maibarrikaden, die Stadt Spartakus'...«, ausgerechnet im abzuwickelnden Osten der Stadt, dem ehemaligen Zentrum des nun in Trümmern liegenden deutschen Sozialismus, erhob da einer seine Stimmme, noch einmal die gewaltige Leidenschaft und Begeisterung für den großen »Traum« zu evozieren — daß es allen Menschen bessergehen solle.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Glaser ahnte schon früh das Ende dieses Traums voraus. Geheimnis und Gewalt zeugt davon in kraftvollen Worten. Berichtet von Glasers/»Haueisens« Aufwachsen im Deutschland zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg. Flucht aus dem proletarischen Elternhaus, erste Erfahrungen unter Landstreichern und fahrenden Handwerkern vermitteln ihm die Vision eines heraufziehenden Sturms. Es folgen mehrfache Einweisungen in Erziehungsheime und langsame, stetige Politisierung, »und ich erinnere mich der Ferienschulen, Arbeiterhochschulen oder wie sie sich nannten. Der Lehrer, oft ein betagter, bekannter Mann der Wissenschaft, saß nackt bis auf ein Lendentuch unter einem Baum. Um ihn geschart, im Grase liegend, eine Gemeinde braungebrannter, nackter Jungen und Mädchen. Jeder hatte das Recht, dem Lehrer ins Wort zu fallen, zu fragen und zu berichtigen. Wie leicht hatten wir das Unmögliche besiegt, aus unseren Träumen, unserer Freundschaft, der Sonne, der Bergluft und der Gesundheit unserer Leiber eine grenzenlose Zuversicht gewinnend. Die ‘Hütten‚ waren Treffpunkt und Zuflucht unzähliger, schwärmerischer, eigensinniger Persönlichkeiten und winziger Gruppen aller Dienstverweigerer der großen, die Arbeiterbewegungen zerfleischenden Parteiheere. Gewiß waren sie auch auf den Bergen eine Minderheit, aber mit welcher Sicherheit fand ich sie aus der Menge heraus. Jeder entzündete eine neue Flamme in mir, und bald brannte ich lichterloh. Ich traf Bahnbrecher, Verkünder und Jünger vergangener und zukünftiger Glaubenslehren, verlorene und ach so ehrliche, liebenswerte Häuflein von Anhängern der Lehren aus der Vorzeit des ‘wissenschaftlichen Sozialismus‚, Nahrungs- und Kleidungserneuerer, Gottsucher und — wahrhaftig — Erneuerer des Beischlafs und der Art, die Toten zu bestatten. Seltsam jedoch war erst, daß alle felsenfest davon überzeugt waren, den einzigen Hebel zu besitzen, der die Welt aus den Angeln heben konnte. Sie wimmelten wie Samen um die große Mitte der Arbeiterbewegung, und jeder wollte derjenige sein, der das Ei befruchtete.«

Glaser selbst ließ sich, nach einem Flirt mit Anarcho-Syndikalisten, von der Partei, wie er sie nur nennt, befruchten. »Sie schien die größte Kraft zu haben, unseren Traum zu verwirklichen«, wie er in der Akademie erzählt. Er beginnt zu schreiben, für Blätter der Partei aber auch für die 'Frankfurter Zeitung‘, und arbeitet an seinem ersten Roman, Schluckebier. Um diesen zu veröffentlichen, reist er nach Berlin — siehe die Eingangssequenz. Vor der Gestapo muß Glaser nach Frankreich fliehen, nimmt am Saarkampf teil, wird verhaftet und geht erneut ins französische Exil. 1939, inzwischen französischer Staatsbürger, wird er eingezogen und gerät in der Normandie in Kriegsgefangenschaft. 1943 gelingt ihm zunächst die Flucht, er wird jedoch bei Straßburg erneut gefaßt und interniert. Während er als Roter von den Braunen gesucht wird, verbringt er die letzten anderthalb Kriegsjahre unter falschem Namen in verschiedenen Arbeitslagern. Nach Kriegsende geht er wieder nach Frankreich, wo er bis heute, in Paris, lebt. Dort erst beginnt er mit der Arbeit an der »politischen Biographie der verlorenen Hoffnungen«: Geheimnis und Gewalt. »Solange sie hinter mir her gewesen und ihr ‘Werkschutz‚ und ihre ‘Abwehr‚ zuweilen versucht hatten, mich auseinanderzunehmen, hatte ich die Angst im Keim ersticken müssen. Es ist das erste Gebot des Verfolgten. Ist die Angst erst einmal aufgestanden in dir, kannst du sie oft nicht mehr ganz bändigen, und einem begegnest du immer, der sie wie ein Hund in dir wittert. Aber nachdem es überstanden, nachdem alle, die mir nach dem Leben getrachtet hatten, gehängt oder wieder Apotheker, Milchmann oder Schreiber geworden oder auch Richter geblieben waren, danach erst, in hundert Nächten, hatte sich die jahrelang aufgestaute, die nicht ausgelebte Angst abgespult, nun Angst ohne Grund, an sich, im Reinzustand. Genauso habe ich mir von der Seele schreiben müssen, was nun nicht mehr gegolten hat. Ich hatte es gesammelt und mit mir getragen und, als Schreiben lebensgefährlich geworden war, auswendig gelernt: die Suche nach der unmöglichen Bruderschaft.«

Die unmögliche Bruderschaft. Das sollte für Glaser die KP werden. »Es war eine Zeit des großen Traums. Jeder träumte ihn. Und jeder wollte ihn auf seine Weise verwirklichen,« berichtet der KP-Renegat von der Zeit, als die Ideologien im Wettstreit miteinander liegen und sich gegen die Menschen zu wenden beginnen. Was in Geheimnis und Gewalt gelegentlich anklingt, macht er am Abend in der Akademie mehrfach deutlich; sicher habe die KP wie die Braunen einen Sicherheitsdienst gehabt, der sich gegen Abweichler wandte. Hier wird ausgesprochen, was dann in der ehemaligen DDR so obszöne, groteske Formen annahm. Und hier wird auch genannt, was Glaser schließlich zum endgültigen Brechen mit der Partei führte. Er nennt eine Reihe von »Abweichungen« und wie die kommunistischen Kader darauf reagierten. Das blutige Gemetzel an den Trotzkisten, das frühe Wissen um den Gulag, und: Spanien. Nicht von wehenden roten Fahnen und internationaler Solidarität im Kampf gegen den Faschismus spricht er, sondern von Komplotten gegen »Abweichler«, entsetzt sich über den Begriff der »Liquidierung« und nennt stolz unter seinen Freunden solche, die sich der Anweisung widersetzt hätten, spanische Anarcho- Syndikalisten abzuurteilen und deshalb vor der Partei hätten fliehen müßen. Zwischen Lesung und Gespräch mit dem Autor war Harun Farockis filmisches Porträt Glasers zu sehen. Der arbeitet heute als selbständiger Eisen- und Kupferschmied und sinnt über eine neue Definition von Arbeit nach. Es ist dies sein zentrales Anliegen. Nicht mehr die christliche Begriffsbildung von der Arbeit als Strafe und auch nicht die sozialistische von der Arbeit als Pflicht will er gelten lassen. Und kommt auf die Würde des Arbeiters zu sprechen, erinnert den Interviewer, daß er, Glaser, noch aus einer anderen Zeit stamme. Die Arbeiterschaft besaß Würde, konnte stolz sein auf ihr handwerkliches Können; im Vertrag mit der Erde den Stoffen Gestalt zu verleihen. Durch die Maschinen sei den Arbeitern Würde und Klassenverständnis genommen worden, weshalb er auch bei Renault gekündigt und sich selbständig gemacht habe. Es komme ihm so vor, als befände sich ein Großteil der Menschen im Gefängnis oder in der Irrenanstalt: und so würden sie auch ihre sogenannte Freizeit verbringen. Gegen dieses von den Maschinen geschaffene Verhältnis wolle er eben einen neuen Begriff von Arbeit entwickeln, einen, der dem Vertrag mit der Natur und dem Leib gerecht wird, einen, der dem Menschen die Würde zurückgibt: Arbeit im Herzrhythmus und nicht im allgegenwärtigen 50-Stunden-Takt unserer Epoche.

In der anschließenden Diskussion wurde denn auch schnell die Frage aufgeworfen, wie sich denn seine politische Arbeit gestalte. Gerade die Jüngeren, Hitzigeren schienen darunter die ideologische Auseinandersetzung in politischen Debattierzirkeln zu verstehen. Nicht, daß Glaser nicht auch an solchen beteiligt war/ ist, entgegnete er sehr deutlich, was es denn politischeres geben könne, als über ein neues Verständnis der Arbeit nachzusinnen und in seiner Werkstatt, dem »Laboratorium, wo die Tat vor dem Wort steht«, dahingehende Versuche anzustellen.

Es war wohl ein weiter Weg für Glaser vom »großen Traum« zu solch elementaren, menschlichen Bedürfnissen. Und der Traum scheint auch in der neuen Weltordnung noch nicht ausgeträumt. R. Stoert

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