DEBATTE: „... nicht über den bisherigen Verteidigungsauftrag hinaus“
■ Die Position der SPD-Linken zur „Blauhelmdebatte“
Die SPD—Basis hat dem kommenden Bundesparteitag in Bremen das inhaltliche Schwerpunktthema gegeben: Von 780 Seiten Antragstext sind 201 Seiten der Friedenspolitik gewidmet, davon wiederum 147 Seiten dem „Out-of-area-Einsatz der Bundeswehr“. Von den 74 Anträgen den Einsatz der Bundeswehr betreffend wenden sich 48 gegen jeglichen Einsatz, zehn stellen den Blauhelmeinsatz unter strikte Bedingungen und nur 16 Anträge akzeptieren den Blauhelmeinsatz und auch den Einsatz unter UNO-Kommando. Die Position, die den Einsatz der Bundeswehr unter Golfkriegsbedingungen akzeptieren würde, kommt im Antragspaket zum Parteitag nicht vor. Auch nach Antragsschluß tagende Bezirksparteitage, die die ganze politische Bandbreite der Partei ausmachen — von Hessen-Nord über Mittelrhein bis Hessen-Süd — lehnen eine Erweiterung des Auftrages der Bundeswehr durch Verfassungsänderung ab und halten die Beteiligung der Bundeswehr an Blauhelmeinsätzen der UNO zumindest für solange nicht vertretbar, bis in der Charta der Vereinten Nationen der Charakter friedenserhaltender Maßnahmen der UNO nicht eindeutig bestimmt ist.
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Alles klar für die Mehrheitsfindung auf dem Parteitag, mag der Betrachter angesichts der Beschlußlage der Parteigliederungen denken. Aber diese Beschlußlage hat einen Haken. Sie beschneidet die politischen Handlungsmöglichkeiten der Bundestagsfraktion bei der Debatte über die Stellung der Bundesrepublik Deutschland in der Welt, die im Gefolge des Golfkriegs der Bundesregierung und dem Bundestag aufgezwungen wurde. Die Bundesregierung versucht, den bisherigen Konsens, daß sowohl ein Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von UNO- Friedenstruppen („Blauhelme“) als auch jede andere militärische Verwendung „out of area“ — also außerhalb des sogenannten Nato-Vertragsgebietes — verfassungsrechtlich unzulässig seien, aufzukündigen. Mit der Ablehnung jeglicher Verfassungsänderung durch den Parteitag wären der Bundestagsfraktion der SPD bei der kommenden Verfassungsdebatte politisch schwer zu überwindende Schranken gesetzt. So sind Kenner der Szene nicht überrascht, daß der Parteivorstand in einem Leitantrag dem Parteitag eine Formulierung vorschlägt, die genau auf die Handlungsfähigkeit der Fraktion abzielt: „Die Bundesrepublik Deutschland wird beim Zusammenwachsen der EG zu einer politischen Union einen angemessenen Beitrag zur europäischen Verteidigung leisten. Gleichzeitig muß sie in der Lage sein, sich im Rahmen der UNO und unter UNO-Kommando an friedenserhaltenden Maßnahmen und friedenssichernden Einsätzen zu beteiligen.“ Mit dieser Formulierung aber wird die Absicht der Antragsteller für den Parteitag ins Gegenteil verkehrt. Mit der Nennung von „friedenssichernden Einsätzen“ wird — spekulierend auf die Unkenntnis der Bestimmungen der UNO-Charta bei Delegierten und in der Öffentlichkeit? — sogar das Fenster zu militärischen Zwangsmaßnahmen der UNO aufgestoßen. Der „Frankfurter Kreis“, in dem die Parteilinke locker zusammenarbeitet, hat schon im April deutlich gemacht, daß die unteren Parteigliederungen nicht bereit sind, ihre Positionen ins Gegenteil verkehren zulassen. So findet die Version des Parteivorstandes in der Antragskommission keine Mehrheit.
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Die Ablehnung der Vorstandsversion löst in der SPD-Spitze, vor allem bei den Außenpolitikern Norbert Gansel, Karsten Voigt und beim Ehrenvorsitzenden Willy Brandt, eine Fülle von Aktivitäten aus. Da werden klarstellende Formulierungen für die Verfassungsdebatte vorgeschlagen. Da wird eine angebliche Mehrheit von Staatsrechtlern herbeigeredet, die bereits jetzt „Out-of- area-Einsätze“ der Bundeswehr für rechtens erklären. Da wird die Satzungspraxis der UNO für Blauhelmeinsätze analysiert, und Blauhelmeinsätze werden zu nicht-militärischen Einsätzen uminterpretiert. Es wird mit der zwingenden 2/3-Mehrheit des Bundestages bei Einsätzen der Bundeswehr agiert: bis schließlich weder Delegierte noch Journalisten noch Bürgerinnen und Bürger die Übersicht behalten. Wird so Unübersichtlichkeit als Brücke zum Rückgewinn der Handlungsfähigkeit der Fraktion eingesetzt?
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Die Linke auf dem Parteitag wird darauf bestehen, daß über die Grundaussage der Mehrheit der Anträge abgestimmt wird. Diese lautet: „Die Bundestagsfraktion wird aufgefordert, keiner Grundgesetzänderung zuzustimmen, die einen Einsatz der Bundeswehr über ihren bisherigen Verteidigungsauftrag hinaus ermöglicht.“ Eine Modifizierung dieser Position im Hinblick auf die deutsche Beteiligung bei „friedenserhaltenden Maßnahmen“ erfordert erst eine klare Definition über die Satzungspraxis der UNO hinaus in der UN- Charta.
Warum diese klare, einen Konflikt mit der Fraktion in Kauf nehmende Linie für den Parteitag? Die Linke setzt eine Ablehnung der Blauhelmoption im Grundgesetz nicht gleich mit einer Ablehnung von friedenserhaltenden Maßnahmen der UNO. Im Gegenteil sind die weiterführenden Vorschläge zur Reform der UNO-Charta und zur näheren Bestimmung von friedenserhaltenden Maßnahmen bis hin zu eigenen übernationalen UNO-Friedenstruppen aus der Diskussion in und mit der Friedensbewegung entstanden. So löste der Einsatz des Bundesgrenzschutzes im Rahmen der UNO-Maßnahme in Namibia beispielsweise keine großen Kontroversen aus. Was aber vermieden werden muß, ist die Gefahr, daß mit einer Blauhelmoption die Tür für weltweite Eisätze der Bundeswehr geöffnet werden kann. Angesichts der Bestrebungen der Koalition, die Bundeswehr z.B. im Rahmen der WEU und von Schnellen Eingreiftruppen auch außerhalb Europas einzusetzten, oder aber mit der vagen Formulierung „Im Rahmen der UNO“ einen golfkriegsähnlichen Einsatz zu ermöglichen, ist für die SPD eine klare Positionsbestimmung politisch notwendig. Diese darf nicht zwischen dem Streben der Bundesregierung, den bisherigen Konsens über den beschränkten Einsatz der Bundeswehr aufzukündigen, und dem Mißtrauen der Friedensbewegung gegenüber interpretationsfähigen Formelkompromissen hindurchfallen.
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Diese Position wird sicherlich nicht in einer beschränkten Diskussion über Blauhelmeinsätze zu gewinnen sein. Aber die Weiterentwicklung der Aussagen des Berliner Programms über einen weltweit geltenden Sicherheitsbegriff, der Frieden, Natur, gerechte Verteilung in das Prinzip gemeinsamer Sicherheit einbezieht und die UNO diesen Erfordernissen organisatorisch anpassen will, darf nicht durch Formelkompromisse unterhöhlt werden. Auf der Grundlage des Berliner Programms hat die SPD auf dem Parteitag in Bremen die Chance, den Beitrag der Bundesrepublik in einer künftigen Weltinnenpolitik als Beitrag zu einem Entwicklungsbündnis gegen die internationalen Ausbeutungsverhältnisse und deren militärische Absicherung zu bestimmen. Horst Peter
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