KOMMENTAR: Vom Oberlehrer zum Volkshochschullehrer
■ Die SPD vermeidet die Debatte und kehrt ihre Widersprüche unter den Teppich
Im Vergleich zum Grünen-Parteitag in Neumünster geht es auf dem der SPD in Bremen ordentlich und gesittet zu, sozialdemokratisch eben. Mit riesiger Mehrheit wählten die Delegierten gestern Björn Engholm zum Chef. Er ist der richtige für diese Partei. Der Volkshochschullehrer löst den Oberlehrer ab. Seine Antrittsrede war genauso ordentlich und gesittet wie der Parteitag, ein wenig langweilig vielleicht. Enholm holt weit aus und bringt alle zusammen. Von Helmut Schmidt über Willy Brandt bis hin zu Walter Momper und Oskar Lafontaine würdigt er einen jeden ob seiner Verdienste und erntet dafür lebhaften Beifall. Einen neuen Ton schlägt er beim Kapitel Wirtschaftspolitik an. Er schwärmt vom „agressiven Wettbewerber Japan“, von „modernsten Produktionsverfahren“, „neuesten Produkten“ und „bestem Design“. Auch Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann ist da und freut sich, daß ihn Engholm zitiert: „Marktwirtschaft ist geschmeidige Anpassung an neue Bedingungen.“ Für die Delegierten aus dem Osten muß dieser Satz wie blanker Hohn klingen. Trotzdem klatschen sie auch an dieser Stelle höflich Beifall. Engholm, der große Integrator, bietet für jeden etwas: Sozialpathos für „die kleinen Leute“, Marktwirtschaft für die Selbständigen und ein paar schöne Zitate für Belesene. Selbst sein Abrutschen in aalglatten PR-Slang, wenn er seine Partei mit dem Spruch „Beste Serviceleistungen sowie eine optimale Wahlkampffähigkeit“ anpreist, scheint niemanden zu stören.
Erfolge als Vermittler zwischen den Fronten kann er schon vorweisen. In der Kontroverse über die deutsche Beteiligung an UNO-Blauhelm-Missionen hat er die Streithähne Oskar Lafontaine und Willy Brandt auf seine Linie eingeschworen. Engholms schlagendes Argument: Er dürfe als neuer Vorsitzender nicht durch Streit auf dem Parteitag beschädigt werden. Brandt besteht nun nicht länger auf einer Beteiligung deutscher Soldaten an militärischen Einsätzen, Lafontaine hat plötzlich nichts mehr gegen eine Grundgesetzänderung. Aber die Parteitagsdelegierten könnten der großen Harmonie heute vielleicht doch ein Ende bereiten. Die Landesverbände Schleswig-Holstein, Bayern und Rheinland-Pfalz wollen sich nicht auf den Vorstandskompromiß „Grundgesetzänderung ja, aber nur für Blauhelme“ einlassen. Vielleicht lassen die Delegierten nicht zu, daß die Debatte unter den Teppich gekehrt wird. Sie brauchen sich ja nicht unbedingt — wie die Grünen — Bier über den Kopf zu schütten. Tina Stadlmayer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen