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■ Die Cindy Sherman der Zwanziger Jahre — Photographien von Marta Astfalck-Vietz im Martin-Gropius-Bau
Marta-Astfalck-Vietz mußte neunzig Jahre alt werden, bis eine Ausstellung ihr photographisches Werk würdigt. Die Berlinische Galerie zeigt erstmals über hundert künstlerische Arbeiten der Berliner Künstlerin von Aktaufnahmen über Stilleben bis zu Portrait- und Tanzphotos aus den 20er und 30er Jahren.
Expressionismus, Art Deco, Surrealismus, Neue Sachlichkeit, der Ausdrucks- und Grotesktanz und vieles mehr — die Einflüsse aller Stilrichtungen und Moden der Zwanziger Jahre lassen sich auf ihren Photos finden. Resultat ist aber keine eklektizistische Melange von Zitaten, sondern Marta Astfalck- Vietz ließ sich von den Kunstrichtungen inspirieren und setzte sie stilisiert und verfremdet im Medium der Photographie zu einer inhaltlich und formal eigenen Bildsprache um.
Nach einer soliden Ausbildung, sie besuchte die Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße und absolvierte anschließend eine Lehre als Photographin, bezieht Martha Vietz 1927 eine eigene Wohnung mit Atelier. Als gefragte Gebrauchsgrafikerin machte sie z.B. die Fotomontagen für die großen Kudammkinos, mit denen diese für den Film »Sinfonie der Großstadt« von Walter Ruttmann warben. Parallel dazu begann sie, mit dem Photographen Heinz Hajek-Halke zusammenzuarbeiten. Es entstanden experimentelle Photographien in »Sandwichtechnik«, in der unterschiedliche Negative, deren düstere Stimmung an Filme von Lang oder Murnau erinnern, übereinanderkopiert und mehrfach belichtetet wurden. Auf vielen arrangierten Szenen dieser gemeinsamen »Combi-Photos«, so die eigene Bezeichnung, ist Marta Vietz als Modell zu sehen.
1929 heiratete sie den Architekten Hellmutz Astfalck und begann mit der Arbeit an eigenen Photo- Serien, in denen sie gleichzeitig Photographien, Modell, Bilderfinderin, Arrangeurin der Szene, Entwerferin der Kostüme und der Ausstattung ist. Sie schlüpft in die unterschiedlichsten Rollen, spielt mit den Identitäten und scheut auch vor der Darstellung tabubrechender erotischer Phantasien nicht zurück. Diese narzißtische Lust an der Selbstdarstellung und -inszenierung, am Verkleiden, Drapieren und Dekorieren ist aber niemals modisch glatt und unreflektiert, sondern die präzise arrangierten Bilder stecken voller kleiner Irritationen und Stilbrüche, die erst bei genauem Hinsehen zu entdecken sind. So hält sie als braves Biedermeierfräulein im Originalkostüm einen fast abgerauchten Zigarettenstummel zwischen den Fingern, oder sie sitzt in großer Abendtoilette auf einer alten Holzkiste vor dem Spiegel. Diese immer wieder auftauchenden Spiegel, Spiegelbilder, Schatten und Beobachter thematisieren die Lust und das Voyeuristische an der Enthüllung und Verhüllung zusätzlich auf den Photos selbst. Im Unterschied zu der ähnlich wandlungsfähigen amerikanischen Photographin Cindy Sherman legt Marta Astfalck-Vietz aber auch Wert auf die Darstellung von Beziehung zwischen den Personen.
Ab 1933 galt diese Art der Darstellung weiblicher Erotik als großstädtisch-dekadent: sie entsprach nicht dem Wunschbild der Nationalsozialisten von der »deutschen« Frau. Astflack-Vietz blieb in Deutschland, stellte ihre Dunkelkammer zur Reproduktion von Flugblättern gegen das Regime zur Verfügung und zog sich auf das Malen von Plfanzenaquarellen in der Tradition Sibylla Merians zurück. 1943 vernichtete ein Bombenangriff ihr Archiv mit dem größten Teil ihres Werks. Nach 1945 knüpfte sie nicht mehr an ihre Arbeiten der Zwanziger Jahre an, sondern kümmerte sich um behinderte Kinder und Jugendliche, die sie kunsttherapeutisch betreute; auf ihre Initiative geht z.B. die Gründung der Behindertenwerkstätten Mosaik e.V. in Berlin zurück.
An das auf den Photos der 20er Jahre verkörperte Lebensgefühl erinnert nur noch ihre Ende der 40er Jahre begonnene Zucht von »Salukis«, das sind persische Windhunde. Ihr ehemaliger Kollege Hajek- Halke lehrte sei Mitte der 50er an der Hochschule der Künste. Marta Astfalck-Vietz, deren Aktphotos auch einen Platz in der großen Ausstellung »Das Aktphoto« von 1985 hätten beanspruchen können, geriet dagegen für Jahrzehnte in Vergessenheit. Daß ihre Photos überhaupt wiederentdeckt wurden, ist dem kriminalistischen Eifer von Janos Frecot zu verdanken, der die Photographin letztes Jahr in Westdeutschand aufspürte. Er hat zur Ausstellung einen Katalog mit hervorragenden Reproduktionen herausgegeben, die auch die kleinsten Nuancen der Schwarz-Weiß-Aufnahmen wiedergeben. Bettina Schültke
bis 21.7.; tägl. 10 bis 22 Uhr im Martin-Gropius-Bau, Stresemannstr. 110, 1-61 (Katalog: 30.- DM)
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