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Gorbatschow auf dem Sprung nach London

Politische und wirtschaftliche Bedingungen für eventuelle Wirtschaftshilfe des Westens  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Nach der erfolgreichen Beendigung bei den Verhandlungen zur konventionellen Abrüstung (VKSE) in Lissabon (siehe nebenstehenden Artikel), scheint einer Teilnahme des sowjetischen Präsidenten Michael Gorbatschow am kommenden Wirtschaftsgipfel in London nichts mehr im Wege zu stehen. Die Bush-Administration erwägt nur noch, ob Gorbatschow zu, neben, oder nach dem Wirtschaftsgipfel der sieben führenden Industrienationen vom 15. bis zum 17.Juli in die britische Hauptstadt kommen soll. Mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und Großbritanniens hatten in der letzten Woche bereits alle Teilnehmer des Gipfels Gorbatschows Teilnahmewunsch zugestimmt.

Bush möchte jedoch erst sicherstellen, daß Gorbatschow in London nicht mit konkreten Geldforderungen an den Westen auftritt, und damit im westlichen Lager einen offenen Streit über Ausmaß und Bedingungen der Wirtschaftshilfe entfacht. Außerdem bemüht sich die Bush-Administration, die angeschlagenen Sowjets mit einem Maximum an politischen und wirtschaftlichen Vorbedingungen zu konfrontieren.

So hatte Außenminister Baker in Gesprächen mit den sowjetischen Gesandten Primakow und Schtscherbakow in dieser Woche in Washington ganz klare politische Konditionen gesetzt. Ehe die Sowjetunion nicht ihren Abrüstungsetat senke, bei den Start-Verhandlungen Entgegenkommen zeige, die finanzielle Unterstützung Kubas einstelle und die Rechte der nach Unabhängigkeit strebenden Staaten des Baltikums achte, könne man dem amerikanischen Steuerzahler für die Reform der Sowjetunion keinen einzigen Dollar abverlangen.

Nach seinem Gespräch mit Primakow über die Einzelheiten der sowjetischen Pläne zur Wirtschaftsreform fiel es dann Bush zu, sich optimistisch zu zeigen. „Mir hat das, was ich gehört habe, gefallen“, so Bush nach seiner Begegnung mit Gorbatschows Wirtschaftsberater.

Im Weißen Haus hatte Primakow allerdings auch nicht ausgesprochen, was er zuvor führenden Offiziellen des Internationalen Weltwährungsfonds anvertraut hatte: daß die Sowjetunion in den nächsten sechs Jahren zu ihrem wirtschaftlichen Umbau rund 250 Milliarden Dollar benötige. In der Realpolitik liegen jedoch erst einmal andere Entscheidungen an. Da wird George Bush voraussichtlich am Montag, die Verlängerung der zunächst auf sechs Monate beschränkten Jackson-Vanik-Regel verkünden. Dieses Gesetz hebt gewisse Handelsbeschränkungen auf und ist die Voraussetzung für eine eventuelle Gewährung der Meistbegünstigungsklausel des „most-favored-nation-status“, den die Bush-Administration jetzt sogar wieder den Chinesen zukommen lassen will.

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