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Da, "wo Tiere aufhören"

■ Im Ostteil steigt die Gewaltbereitschaft gegen AUsländer, Frauen unnd Schwule

Lichtenberg: Auf offener Straße wurden zwei Mosambikaner bei einem Überfall von rechtsextremen Jugendlichen lebensgefährlich verletzt. S-Bahnhof Ostkreuz: Drei Ostberliner Jugendliche schlugen einen 35jährigen Namibier krankenhausreif. Mitte: Unbekannte zertrümmerten die Scheiben einer Homosexuellen-Kneipe. Marzahn: Wie das dortige Frauenhaus bekanntgab, steigt die Zahl der mißhandelten und geschlagenen Frauen rapide an. Treptow: Unbekannte zerstörten eine Telefonzelle und erbeuteten rund 50 Mark. Es entstand ein Sachschaden von etwa 6.000 Mark. Mitte: Am Alexanderplatz kam es zu einer Massenkarambolage. Als Ursache vermutet die Polizei die unüberlegte Fahrweise eines Ostberliners, der kurz zuvor von einem Westberliner Fahrzeugführer überholt worden war. Tempelhof: Landeskriminaldirektor Wolfgang Schinz empfiehlt Menschen mit dunkler Hautfarbe, im Ostteil der Stadt nachts nicht mehr allein mit der U- oder S-Bahn zu fahren.

Die Tendenz ist eindeutig: Die Gewaltbereitschaft nimmt rapide zu. »Ich habe den Eindruck, im Ostteil der Stadt gibt es ein wesentlich größeres Gewaltpotential als im Westteil«, meinte jüngst Kriminalkommissar Heinz Uth, bei der Polizei zuständig für den Bereich gleichgeschlechtliche Lebensweisen, und: »Die machen dort da weiter, wo Tiere aufhören.« Auch Landeskriminaldirektor Schinz sieht im Ostteil der Stadt eine »spezielle Art der Gewalt, vor allem in Bezirken wie Lichtenberg, Marzahn und Hellersdorf. »Skinheadähnliche Gruppierungen« würden hier wesentlich massierter auftreten, als man es in West-Berlin gewöhnt sei. Das Ausmaß der Gewalt im Osten dokumentiere sich an Fällen, wo Menschen aus oberen Stockwerken oder fahrenden Zügen geworfen werden, »Einzelfälle, die mittlerweile zur Regel geworden sind«. Ziel sei weniger die blanke Zerstörung als vielmehr die persönliche Bereicherung. »Und das Opfer darf nicht ungeschoren davonkommen, die Täter lassen erst dann von dem Menschen ab, wenn er sich nicht mehr bewegt.« Eine Kriminalstatistik für Ost-Berlin gibt es bislang noch nicht.

Natürlich hat auch West-Berlin keine weiße Weste. Doch im Ostteil der Stadt häufen sich Fälle von unglaublicher Brutalität. Für viele Menschen hier wird die Angst zum ständigen Begleiter. Frauen, Schwule, Ausländer — sie alle können sich nicht mehr ohne weiteres auf die Straße trauen. »Keine Gewalt« hieß das Motto der Demonstrationen zur Wende im November 1989. Für Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) ist die Vereinigung ein »Zusammenknall, bei dem jede Menge Energie frei wird.« Daß diese Energie sich in Form von Gewalt zunehmend auf Minderheiten richtet, bekommt vor allem das Ausländerreferat zu spüren. Wolf-Dieter Pfützenreuter, Mitarbeiter der Ausländerbeauftragten Barbara John, beobachtet bei vielen Ostberliner Jugendlichen in diesen Wochen ein »blindwütiges Vorgehen« gegenüber Ausländern. »Neulich wurde beispielsweise ein japanischer Tourist zusammengeschlagen.« Besonders groß sei der Haß auf Türken, obwohl in Ost-Berlin kaum welche leben. »Da steckt sowas dahinter wie: Das sind zwar Ausländer und trotzdem geht es ihnen besser als uns.«

Pfützenreuter sieht zwei Ursachen für die zunehmende Gewaltbereitschaft vor allem unter Jugendlichen. Zum einen fehle ihnen die ökonomische Basis und damit auch jegliche Zukunftsperspektive. »Die Folge ist verschärfter Konkurrenzneid«. Zum anderen sei die ideologische Gesinnung vieler Ostberliner Skinheads aus der Antihaltung gegenüber dem Antifaschismus propagierenden DDR-Staat erwachsen. Wachsende Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot lassen in jedem Ausländer einen potentiellen Konkurrenten erscheinen. Die Gewohnheit, mit einem »Feindbild« zu leben, so der Ausländerbeauftragte der Humboldt-Universität, Sergej Skorynin, sitze zu tief in den Köpfen, um schnell abgestreift werden zu können. Da die alten Feindbilder zerstört seien, schaffe man sich neue. Der Ruf nach lediglich verstärkter Polizeipräsenz sei nach Ansicht Pfützenreuters jedoch falsch. Den Jugendlichen müsse eine ökonomische Perspektive geboten werden. »Ich weiß nur nicht, ob man noch so gut mit denen reden kann.«

So oder so — es fehlt an kontinuierlicher Jugendarbeit. Lediglich im Bereich der Ausländerbeauftragten des Senats hat sich ein Arbeitskreis »Jugend gegen Gewalt« gebildet, in dem sich Mädchen und Jungen verschiedener Nationalitäten unter dem Motto »Waffen sind out« zusammengefunden haben und gemeinsam nach Alternativen suchen. Doch schon für die Ausländerbeauftragten in den Ostberliner Stadtbezirken ist kein Geld da.

Immerhin unterstützt die SPD- Fraktion die Forderung des Jugendsenators nach zusätzlichen Mitteln für die Jugendarbeit. Die CDU-Abgeordnete Barbara Saß-Viehweger forderte eine Initiative »Berlin gegen Gewalt«. Aber noch scheinen die Regierungsverantwortlichen angesichts der zunehmenden Gewalt hoffnungslos überfordert. Ökonomische Perspektiven lassen sich angesichts steigender Arbeitslosenzahlen schwerlich entwickeln, für den verstärkten Einsatz von Streetworkern fehlt das Geld.

Ein weiteres Problem stellt sich angesichts mangelhafter Kommunikationsmöglichkeiten. Die Polizei erscheint erst dann am Tatort, wenn es bereits zu spät ist. Schaulustige solcher Überfälle gibt es zwar genug, doch niemand greift ein. Kaum jemand zieht in der fahrenden U-Bahn die Notbremse oder kommt einem Opfer brutaler Gewalt zu Hilfe. Auf die Bitte eines schwarzen Ausländers, der kurz zuvor von deutschen Jugendlichen zusammengeschlagen worden war, die S-Bahn anzuhalten, damit er die Polizei benachrichtigen könne, antwortete die Zugabfertigerin: Dies sei nicht ihre Aufgabe und überhaupt, »so was passiert hier öfter.« maz

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