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Ewige Wiederkehr

Alexej Jawlensky in Wiesbaden  ■ Von Martina Kirfel

Lange galt er als Mystiker, als Maler der menschlichen Seele. Später wurde er zum Neuerer, zum Miterfinder der Serienmalerei, der Albers, Newman, Rothko und Warhol den Weg wies. Alexej Jawlensky schuf ein herausragendes Oeuvre, das ästhetische Perfektion mit Sinnlichkeit und meditativer Innerlichkeit verband. Jahrzehntelang verkannt und später vernachlässigt, feiert Jawlensky heute eine Renaissance. Auf die letzte große Ausstellung in Locarno/Emden 1989/90, die sich hauptsächlich auf Bestände aus Museen konzentrierte, folgt nun im Museum Wiesbaden eine sensibel zusammengestelle Werkübersicht mit 150 Ölgemälden und 40 Zeichnungen zum 50. Todesjahr des Künstlers. Die Ausstellung zeigt den Wiesbadener Bestand (50 Werke) zusammen mit Arbeiten aus Privatbesitz aus der Schweiz, dem Rheinland und dem Rhein-Main-Gebiet und akzentuiert in ihrem Aufbau vor allem die Serienarbeit Jawlenskys.

„Die ersten und einzigen ernsthaften Vertreter der neuen Ideen waren in München zwei Russen die seit vielen Jahren hier lebten und in aller Stille wirkten, bis einige Deutsche sich ihnen anschlossen“, notierte Franz Marc 1905 und erklärte weiter, daß es sich bei diesen neuen Ideen nicht um formale Konzepte, sondern um „eine Neugeburt des Denkens überhaupt“ handle. Gemeint waren Kandinsky und Jawlensky, deren zentrales Problem das „Geistige in der Kunst“ darstellte. Kandinsky näherte sich ihm schließlich unter vollständiger Abstraktion vom Gegenständlichen und mit Hilfe eines theoretischen Konzeptes, Jawlensky unter fortschreitender, aber niemals vollständiger Abstraktion vom Gegenstand, pragmatisch, getrieben von einer spirituellen Vision der menschlichen Seele.

Jawlensky stellte sich selber in die Tradition der russischen Ikonenmalerei. Nach der teilweisen Aufhebung des Bilderverbots in der Ostkirche war eine Scheu vor der materiellen Verkörperung (Plastik) und vor detailgetreuem Realismus geblieben. Die Ikonenmalerei entwickelte eine von allem Anekdotisch-Subjektiven befreite vergeistigte Auffassung des Bildgegenstandes. „Ich bin geborener Russe. Meiner russischen Seele war immer nahe die altrussische Kunst, die russischen Ikonen, die byzantinische Kunst, die Mosaiken von Ravenna, Venedig, Rom und die romanische Kunst. Alle diese Künste hatten meine Seele immer in eine heilige Vibration gebracht, da ich dort eine tiefe geistige Sprache fühlte.“

Sein Leben hatte wenig Spektakuläres. „Da sie von mir selbst Näheres wissen wollen, so kann ich sagen, daß ich 1864 im Gouvernement Twer (Moskau) geboren bin. Bis 1896 Offizier war, dann meinen Abschied nahm, nach München ging und mich der Kunst vollständig widmete. Ich habe viele seelische Umwälzungen durchgemacht, die alle ein Werdegang waren, und bin somit an dem künstlerischen Standpunkt angelangt, von dem meine letzten Arbeiten Zeugnis tragen.“ Sicher, da war der große Realist Ilja Repin, bei dem Jawlensky lernte. Da waren Marianne von Werefkin, die von sich behauptete, Jawlensky „gemacht“ zu haben, und Helene Nesnakomoff, mit denen er Jahrzehnte in einer anstrengenden Dreierbeziehung lebte. Da waren seine treu ergebenen Helferinnen Lisa Kümmel und Emmy Scheyer, die sein Werk ordneten und — praktisch erfolglos — zu verkaufen suchten. Da war die Bekanntschaft mit fast allen großen Künstlern der Zeit und die enge Freundschaft zu Kandinsky.

1909 begründete Jawlensky mit Kandinsky, Kubin, Münter und Werefkin die „Neue Künstlervereinigung“, aus der dann der „Blaue Reiter“ hervorgehen sollte und 1924 die „Blaue Vier“ mit Klee, Feininger und Kandinsky. Und doch blieb er Einzelgänger, in keiner Künstlervereinigung dauerhaft engagiert. „Sammler hatte er so gut wie keine; wenn jemand kaufte, dann eher aus Mitleid, die Kunst, die er machte, wurde nicht verstanden... Er blieb arm und verlor dennoch nie seine Haltung und seine überwältigende Liebenswürdigkeit.“ (W. Grohmann)

Seit seiner Münchner Zeit bereiste Jawlensky Westeuropa und machte sich mit der zeitgenössischen Kunst vertraut. Seine Vorbilder waren Cézanne, van Gogh, Matisse. Um 1905 entwickelte er erste Ansätze zu einem eigenständigen Farbkonzept: „Die Bilder waren glühend in Farben. Und mein Inneres war damals zufrieden, zum ersten Mal habe ich damals verstanden zu malen, nicht das, was ich sehe, sondern das, was ich fühle.“ Seit dieser Zeit arbeitete Jawlensky an der formalen Reduktion seiner Motive und an der Steigerung der Leuchtkraft seiner Farben. 1909 malte er mit Kandinsky in Murnau, zuweilen dieselben Motive. Doch während Kandinsky bald in eine Malweise mit flockig gesetzten weißlichen Farbfeldern verfiel, trieb Jawlensky sein Prinzip des Cloisonné, der schwarzen Umrandung starkfarbiger Flächen, zu einer glühenden Verdichtung.

Um 1911 fand Jawlensky zu der von ihm angestrebten „Synthes“, zu jener kompakten Intensität und Konzentration seiner „Genie-Zeit“. Dunkel umrandete Farbflächen verspannte er zu Energiebündeln. Die Früchte seiner Stilleben wurden zu glühenden Bällen auf satt ultramarinem oder kadmiumrotem Grund, die Büsche und Bäume seiner Landschaften zu sanftgrünen Kugeln und Kegeln inmitten vielfarbig schimmernder Hügelformationen. Doch hauptsächlich malte er Menschen, zunächst noch im Halbporträt, später nur noch die Köpfe, in quadratische Formate gezwungen, in strahlendem Rot, Grün, Gelb und Blau. Die Köpfe sind zunächst noch ähnlich, noch individuell und häufig mit folkloristischen Accessoires versehen. In dieser Phase von 1911 bis 1914 entstanden — fast schon als Serie — die schwarzhaarigen Russinnen mit den schrägstehenden Augen, den runden Kappen, dem Kopfschmuck von Barbarenfürstinnen, den asiatischen Turbanen, die Spanierinnen mit Schleier, mit Fächer und all die Porträts von Bekannten mit Rosen am Busen, Kamelien im Haar, mit phantastischen Hüten und Federn.

Als Hauptwerk aus dieser Zeit ist in Wiesbaden Der Buckel zu sehen, eine ins Quadrat gezwängte verwachsene Frauengestalt. Über dem gedrungenen leuchtendroten Oberkörper sitzt halslos und schwer der melancholische Kopf, leuchtendgelb mit lila umrandetem mißtrauischem Blick. Der Hintergrund vibriert in unruhigem Preußisch-Blau. Trotz des zurückgenommenen Gesichtsausdrucks ist die kleine bucklige Gestalt Ausdruck geballter Kraft und geladener Vitalität.

Jawlensky hat einen ersten Höhepunkt seines Schaffens erreicht. Durch die Steigerung seiner Farben entwickelte er eine sinnliche Strahlkraft von kaum zu übertreffender Lebendigkeit. Es war der Endpunkt einer Entwicklung. Schon in diesen Stilleben und Köpfen zeichnete sich die Tendenz ab, die Darstellung über das Zufällige und Individuelle hinaus in eine transzendentale Dimension zu heben. „Das Gesicht ist für mich nicht ein Gesicht, sondern der ganze Kosmos“, sagte Jawlensky über seine späteren Köpfe. Doch er traf damit bereits den Kern seiner früheren Früchte-, Blumen- und Menschenbilder. Damit gelangte Jawlensky auf zwei fundamental unterschiedlichen Wegen zu transzendentalen Aussagen: Der erste war die Übersteigerung des Gegenständlich- Sinnlichen in eine kosmische Allgemeingültigkeit, der zweite die Reduktion des Gegenständlich-Sinnlichen zu meditativer Strenge in den „abstrakten“ Serien seines Spätwerks.

Jawlenskys Ausweisung aus Deutschland mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges war ein Schock: Von einer aufgehetzten Menschenmenge beschimpft und bespuckt verließ er das Land, in dem er für die Durchsetzung neuer Ideen gekämpft hatte, und gab alles auf. Im Schweizer Exil in St. Prex, wohin er sich mit Werefkin, Nesnakomoff und Sohn Andreas zurückzog, schien er zunächst wie gelähmt. Nie wieder wollte und konnte er zum optimistischen Stil der Vorkriegsjahre zurückfinden. Stattdessen malte er — der Mann im Exil — über Jahre hauptsächlich den Blick aus seinem Fenster. Variationen nannte er seine erste Serie, die an die 400 Blatt umfaßt. Immer neu, in pastellig abgeschwächten Tönen und dünnem Farbauftrag, versuchte er unter fortschreitender Abstraktion das Thema zu fassen, die Formen der Bildgegenstände — Gesträuch, Bäume, im Hintergrund aufblitzender See und Horizontlinie — in wechselnde Bezüge zu setzen und zu systematisieren.

Um 1917 kehrte er zum Thema des menschlichen Kopfes zurück, es entstand die Serie der mystischen Köpfe und Heilandsgesichter. Die Gesichter rücken ganz nah an den Betracher heran, sie erhalten die Suggestionskraft altrussischer Ikonen.

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Die Farben sind zart, die Gesichtszüge häufig androgyn, mit dem leuchtenden Zeichen der Weisheit zwischen den Brauen — lichtvolle, schwebende Antlitze von fast entmaterialisierter Durchlässigkeit.

Stofflicher, flacher und „konstruktivistisch“ gebaut wirken hingegen die Abstrakten Köpfe, Jawlenskys nächste Serie. Er hat zwar nunmehr einen noch höheren Abstraktionsgrad erreicht — die Gesichter zergliedern sich in fein hingetupfte vibrierende Farbflächen — doch wirken viele von ihnen maskenhaft starr und zu „gedacht“ (Paul Klee).

Arthritis deformans

1921 kehrte Jawlensky nach Deutschland zurück. Seine Wahl fiel auf Wiesbaden, wo eine seiner Ausstellungen besonders erfolgreich gewesen war. Doch der Erfolg wiederholte sich nicht. Im Gegenteil — die Familie verarmte mehr und mehr. 1929 erkrankte Jawlensky an Arthritis deformans, erste Lähmungserscheinungen traten an den Händen auf. Die Sammlerin Hanna Bekker vom Rath gründete im gleichen Jahr eine Jawlensky-Gesellschaft, um den Künstler finanziell zu unterstützen. 1933 erhielt Jawlensky Ausstellungsverbot, 1937 wurden 72 seiner Werke aus deutschen Museen entfernt. Der Künstler lebte am Existenzminimum, die Krankheit schritt ständig voran. 1934 hatte er die Meditationen, seine letzte Serie, begonnen, kleinformatige abstrahierte Köpfe, von denen er bis zu seiner vollständigen Lähmung 1938 über tausend schuf.

Dieser letzten Formel des menschlichen Gesichts gab Jawlensky die lebendige Durchlässigkeit seiner Heilandsgesichter und die zurückgenommene Distanz der Abstrakten Köpfe. Ein neuer — letzter — Höhepunkt war erreicht. Die äußere Gesichtsform löste er vollends auf, setzte nur noch lebendige schwarze Pinselstriche, die die Querbalken der Brauen, Augen und des Mundes und den Längsbalken der Nase markierten. Die Zwischenfelder leuchten in sanften warmen Tönen.

Tränen in den Augen

Jawlenskys Krankheit war 1934 bereits so weit fortgeschritten, daß man ihm die Pinsel zwischen die verkrümmten Finger stecken mußte. Er malte mit beiden Händen, später mit dem ganzen Oberkörper: „Ich arbeite für mich, nur für mich und meinen Gott. Oft bin ich wie ohnmächtig vor Schemrz. Aber meine Arbeit ist mein Gebet, aber ein leidenschaftliches, durch Farben gesprochenes Gebet. Ich arbeite mit Ekstase und Tränen in den Augen. Ich arbeite so lange, bis die Dunkelheit kommt und mich umhüllt. Und von allen Wänden fließen Farben.“

Bei den Zeitgenossen stießen Jawlenskys Serien weitgehend auf Unverständnis. Seine Vorkriegsbilder wurden bis zu einem gewissen Grad von der Avantgarde akzeptiert, aber seine Serien-Arbeiten sollen noch in den fünfziger Jahren einen Museumsdirektor aus Mönchengladbach fast um seine Stellung gebracht haben. Unzweifelhaft haben sie, zusammen wohl mit den Serienbildern von Piet Mondrian, die Kunst der Gegenwart entscheidend beeinflußt. Die Serie, wie etwa Warhol sie begriff, war die endgültige Entthronisierung des einzelnen, authentischen Meisterwerks, der platte Verweis darauf, daß Kunst technisch und en masse hergestellt werden kann. Nichts lag aber Jawlensky ferner als das. Für ihn war jede seiner tausend Meditationen ein Kunstwerk für sich, das weder des Kommentars der Restserie bedurfte noch etwa — durch die bloße Existenz ähnlicher Bilder — an Authentizität einbüßte.

Jawlensky hat niemals „rein theoretisch“ gedacht. „Dann war mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, daß die große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll. Und das konnte ich nur in das menschliche Antlitz bringen. Ich verstand, daß der Künstler durch Formen und Farben sagen muß, was in ihm Göttliches ist.“ Die Methode der Serie, die Wiederholung des Gleichen in ewiger Wiederkehr, ist für Jawlensky Instrument meditativer Versenkung und spirituellen Erkennens.

Alexej von Jawlensky zum 50. Todesjahr, Museum Wiesbaden, bis 4. August 1991; danach Münster und Paris. Der Katalog in englischer und deutscher Sprache umfaßt 325 Seiten und kostet 48DM.

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