: FOTOSVONÉRICVAZZOLER
EINANDERERBLICK ■ »KERLE UND CHRYSALIDE«
Kommentare aus dem Gästebuch: Bilder fordern zum Nachdenken. Man sieht uns mal anders. Die Ausstellung ist super./Bilder ähneln Pornos. Alles Scheiße./ Denken ist Glückssache./Great!/xxx/War heimlich hier. R./Ich sollte auch mal wieder Sport treiben./Teilweise sehr geile Bilder!/Zum Teil stimmen Bilder sehr nachdenklich. Habe ich meinen gesunden Körper verdient?
Gästebuchkommentare zu Ausstellungen haben den Vorzug, daß mit relativ wenigen Worten erfaßt ist, was in Bewegung kommt durch das Ausgestellte oder auch nicht. Éric Vazzoler (27) versucht mit seinen Fotografien (1986-1990) den »anderen Blick auf Sportler«. Sein so formuliertes Anliegen trifft einen Nerv, der reizbar ist, trotz der massenhaften Bilder im Kopf von Gesichtern und Körpern der Heldenmachermaschine »Sport«. Neugierde macht aufmerksam für diesen anderen Blick und weckt Erwartungen. Wie sich herausstellen wird, zu hohe.
Der »andere Blick« ist nicht immer selbstverständlich der interessantere. Vazzoler interessieren nicht die Momentaufnahmen des Sieges oder der Niederlage, nicht die List der Kamera, die die Anstrengung eines Kampfes gegen die Zeit oder die Kraft des Gegners einfrieren kann. Vazzoler zeigt nicht Schmerz oder Freude in ihren äußersten Gesten, nicht den Ausbruch oder Einbruch einer Emotion. Er sucht sich den statischen Moment gegen den dynamischen: die Pose. Er fotografiert Schwimmer, Ringkämpfer, Turnerinnen, sporttreibende Häftlinge und Körperbehinderte. Vazzoler interessiert — ja, was eigentlich?
Irgendwas außerhalb von Reportagefotografie. Die Körper — die »Schönen«, die sich inszenieren zu den Geräten und an den Maschinen oder vom Fotografen inszeniert werden vor der Kamera? Die Körperbehinderten, für die Sport eine andere Auseinandersetzung bedeuten wird? Häftlinge, die ihren Körpern Energien abtrotzen, um sich auszuhalten in der Leere? Es bleibt offen. Ich entdecke nicht »... die zutiefst gleichen Wesen, die hervortreten, gleich in ihrer sinnlichen Animalität, gleich in ihrer Würde.« (Vazzoler) Ich sehe eine seltsam stille Gewalt in den Fotos und irgendwie scheint es, als hätte jemand den Fotografierten das Lachen verboten. Spannung entsteht da, wo in der Unschärfe des Hintergrundes etwas auftaucht, was den Vordergrund in die Bedeutung rückt oder wo Beziehungen zwischen den abgebildeten Personen fühlbar werden — das sind die Fotos, vor denen man länger stehen bleibt. Vazzoler bewegt sich mit seiner Auswahl für diese Ausstellung auf einem Seil und es entsteht der Eindruck, daß er dies nicht bemerkt. Spätestens beim Betrachten von zwei der wenigen Farbfotografien — »Marianne Aeschbacher, Europameisterin im Synchronschwimmen, Arcachon, 1989« und » LAMIA: Motorisch Behinderte, Hyéres, 1989« wird klar, er schneidet sich das Seil durch. Der »andere Blick« gerät zu Beschaulichkeit, flächiger Neugierde, Unentschiedenheit und zu Langeweile da, wo die Kamera zu häufig den gleichen Bildausschnitt erfaßt.
Beim Verlassen der Ausstellung bedrückt mich das Gefühl, durch ein Wachsfigurenkabinett gewandelt zu sein. In diesem Dumpfsinn treffen Éric Vazollers Sätze: »Mein Vorgehen kann ich nur damit begründen, daß ich diese Sportlerporträts als ein schamhaftes Spiel betrachte, als eine Art Schmetterlingsjagd. Die entstandene Sammlung unterstreicht das Gefühl der Mehrdeutigkeit, doch bleiben Alter, Geschlecht, körperliche Eigenschaften und Nationalität irrelevant...«. Schmetterlinge tötet der Sammler, spießt sie auf und bestaunt ihre toten Farben. Objekte der Anschauung unter Glas. Kerstin Süske
BIS21.6.IMFRANZÖSISCHENKULTURZENTRUM
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