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DEBATTEDer Linken letztes Gefecht

■ Der Osten ist mithin unangenehm — da ist Bonn allemal näher

Der Hauptstadtstreit hat inzwischen alle Züge eines Glaubensstreites. Die Welt der Begriffe gerät in den Sog der Bonn-Berlin-Alternative. Zu den eher komischen und erheiternden Elementen der Debatte gehört, daß nun auch gerade einstige Stimmführer der 68er Bewegung Bonn wie eine Bastion verteidigen; natürlich nicht im Namen von Bonn, sondern im Namen der „Bonner Republik“. Joscha Schmierers Plädoyer gegen Berlin in der gestrigen Ausgabe gehört dazu. Es ist schon eine Art objektiver Ironie, daß Angehörige jener Generation ausgerechnet dann ihren Frieden mit der Bundesrepublik machten, als sie politisch verschwand. Vielleicht bin ich aus alter Bekanntschaft zu empfindlich: Aber mir scheint, als ob jetzt in der Bonn-Verteidigung der alte Begriffsfuror fortwirkt, der einst zum Kampf gegen den Staatsapparat aufrief.

Irgendwie taucht in Joscha Schmierers Text das auf, was in Italien „dietrismo“, das Hinter-den- Worten-Suchen, genannt wird. Auf deutsch-links hieß das: Genosse, wenn du das sagst, meinst du eigentlich... So „entlarvt“ er die wahren, finsteren Beweggründe der Berlin- Befürworter am Schluß. Es sei das „tiefe Ressentiment“ gegen die „Bonner Republik“. Als ob man nicht für Berlin sein könnte, gerade weil die Demokratie in Westdeutschland bewahrt und lebendig gehalten werden muß! Als ob man nicht aus demokratischer Überzeugung eine Menge Wut haben kann auf die Vorstellungs- und Phantasiearmut der Bonner Politik.

Bewegungen kamen nie aus Bonn

Natürlich ist das linke Bekenntnis zur Demokratie zu begrüßen. Auch, weil es ein Bekenntnis zur Realität nach allen weltrevolutionären Gedankenwirren ist. Aber wie beschreibt Schmierer diese Demokratie, die er durch den Umzug nach Berlin für gefährdet hält? Er nennt drei Grundelemente: die Westbindung, den Föderalismus und die repräsentative Demokratie. Aber er behandelt sie nicht als historische Begriffe, sondern als Entitäten. Gibt es nicht seit Jahrzehnten eine erhebliche verfassungstheoretische Kritik am repräsentativen System? Gibt es nicht das Wort des ehemaligen Verfassungsrichters Simon vom „repräsentativen Absolutismus“? Gibt es denn keine Verfassungsdebatte?

Man kann den demokratischen Nutzen der Westbindung beschwören in Kritik linker Ideologien von der Nato als Instrument des Imperialismus; man kann den Föderalismus ins Felde führen gegen einen linken Begriff vom Staat als Repression, gegen die Vorstellung einer Identität von Stammheim und Verfassungsschutz. Aber als Affirmation taugen diese Begriffe nicht. Diese heilige Dreifaltigkeit von Föderalismus, Westbindung und repräsentiver Demokratie hat nichts zu tun mit der tatsächlichen Geschichte der Bonner Republik.

Vor allem unterschlägt Schmierer seine eigene Geschichte: Es war doch die 'Spiegel‘-Affäre, es war 68 und all die späteren Bewegungen, die unsere durchaus verteidigenswerte Demokratie erzeugt haben. Sie kamen aus den Metropolen, aus Frankfurt und Berlin und nicht aus Bonn. Um an dieser Stelle ganz klar zu sein: um Himmels willen nicht zurück zu den linken Weltbildern, auch nicht zu den 68er Ideologien. Aber den kritischen Impetus, den sollte man sich doch bewahren. Die Rede von der „funktionierenden Demokratie“ ist selbst nicht sehr demokratisch. Die bloße Bonn-Apologie ist da das Papier nicht wert, auf dem sie erscheint.

Bewältigung eines historischen Bruchs

Was hat das nun mit Berlin zu tun? Mit der Geschichte liegt da Schmierer auch im argen. Für Bonn hat man sich bei der Gründung der Bundesrepublik keineswegs aus föderalistischer Gesinnung entschieden. Nicht nur Adenauer, sondern auch Berlins Bürgermeister Ernst Reuter hat für Bonn eben als Provisorium votiert. Dann insinuiert Schmierer, mit Berlin werde „Preußens Gloria“ auferstehen. Preußen-Kenner sind immerhin der Meinung, daß Preußen schon mit dem Wilhelminismus untergegangen ist. Bei der Entscheidung für Bonn oder Berlin geht es außerdem nicht um Fortschreibung deutscher Traditionslinien, sondern um einen — für deutsche Geschichte nicht untypischen — historischen Bruch, mithin um die Frage, wie er bewältigt wird.

Aber vor allem fürchtet Schmierer, daß durch Berlin der Föderalismus gefährdet und der Zentralismus bzw. die Zentralbürokratie heraufbeschworen werde. Ich habe den Föderalismus immer als eine Struktur der politischen Willensbildung, als einen Teil der checks and balances verstanden und nicht als Emanation des genius loci. Auch der Zentralismus ist eine Sache der politischen Entscheidung. Deutschland hat keine Zentralstaatsgeschichte wie Frankreich. Warum sollte sie mit Berlin beginnen? Überhaupt wird da die Idyllik Bonns, der Bonner Kußmund ideologisiert. Entsprechend werden auf Berlin abstruse Gefahren projiziert. Berlin heiße Nationalstaat, und der werde Europa sprengen. Als ob Bonn die kleinstädtische Hauptstadt sei, durch die eine Nation von 80 Millionen die Probleme ihrer neuen Machtrolle gelöst habe!

Natürlich ist die Vorherrschaft einer zentralistischen Ministerialbürokratie eine große Gefahr für die Demokratie. Die Einigungspolitik mit ihrem Primat der Exekutive, das eines der Ministerialbürokratie war, hat das gezeigt. Sie wurde aber in Bonn gemacht, und sie war auch möglich, weil es überhaupt keine intervenierende Hauptstadtöffentlichkeit gibt. Ich glaube, daß in Berlin die Chancen für eine kritische Öffentlichkeit viel höher sind.

Vor allem wirft mir Schmierer vor, ich würde für Berlin plädieren, weil da die Repräsentanten dem Problemdruck der Vereinigung ausgesetzt seien. Das aber widerspräche dem Geist der repräsentativen Demokratie. Er verwechselt Abstand und Distanz. Natürlich sind die distanzierenden Mechanismen einer demokratischen Willensbildung zu verteidigen. Ich habe nie die Betroffenendemokratie verfochten. Aber Schmierer muß mir schon beweisen, daß es gut ist für die Demokratie, wenn die politischen Repräsentanten möglichst wenig mitbekommen von den Folgen ihrer Entscheidung. Und in Berlin gibt es eben kurze Wege zur Realität des gespaltenen Landes. Der Schritt nach Berlin könnte ein Schritt zur Verwestlichung des Ostens sein, gerade weil er die Nähe zu den Problemen des Ostens schafft. In Bonn zu bleiben würde eher die Verostung des Westens heraufbeschwören. Vor allem aber könnte Berlin als Stadt zum Symbol der Vereinigung als Versöhnung werden. Denn Ost- und West-Berlin müssen sich um jeden Preis versöhnend vereinigen, sonst wird das Leben in der Stadt unerträglich werden. Daß es sich um eine Entscheidung symbolischer Politik und nicht um Strukturpolitik handelt, meint auch Schmierer. Aber was soll denn dann Bonn für die Ostdeutschen symbolisieren?

Keine Öffnung der Debatte in Sicht

Das Fatale an diesem Glaubensstreit um die Hauptstadt ist, daß die Debatte sich nicht öffnet. Das hat seine Gründe. Schmierer redet nicht über Ostdeutsche. Bei seiner Fetischisierung der Westbindung kommt ihm gar nicht in den Blick, daß die osteuropäische Revolution ein paar Demokratievorstellungen hervorgebracht hat, über die man sich wenigstens auseinandersetzen könnte. Er schreibt da: „Über die europäische Integration sollte (sollte?) schließlich die deutsche Spaltung überwunden werden. Jetzt ist die deutsche Vereinigung in der EG das erste Ergebnis des Weges, der über Budapest, Prag und Warschau führte.“ Da sind einige europäische Geschichtszüge mit ihren Fahrplänen durcheinander geraten. So einen glatten Weg von Bonn über Brüssel nach Ost-Berlin gab es nicht. Es gab jedenfalls nur zwei politische Ansätze zur deutschen Vereinigung: die Rollback- Politik von Dulles und die Ostpolitik. Realiter haben Westdeutschland und die westdeutsche Linke eine Diktatur auf deutschem Boden, die immer absurder wurde, hingenommen und praktisch unterstützt. Es gab keine Initiative im Prozeß der Vereinigung, sondern nur das Leiden an zerstörten Weltbildern. Der Osten ist mithin unangenehm. Da ist einem Bonn allemal näher. Darüber müßte diskutiert werden. Das aber betrifft nicht die Hauptstadtfrage. Klaus Hartung

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