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Stumpf ist Trumpf

■ Der Anarchoklassiker »Themroc« in der Hasenheide

Huarrglmblh raulhrench grumblgrh!« grölten die Fans im Taumel. Wer mit diesem Gejaule nichts anfangen kann, hat wahrscheinlich die einzige Vorstellung von Themroc im Open-air-Kolosseum in der Hasenheide schon verpaßt. Die war nämlich schon am Mittwoch. Und natürlich hat es geregnet.

»Ich war hier schon letztes Jahr bei Themroc im Regen, naß bis aufs Feuerzeug«, vertraut mir mein Sitznachbar an, was auch der Grund ist, warum ich mit ihm unter einem zigarettenmarkengroßen Witterungsschirm Platz finde. Aber auch die anderen Hundertschaften Themrocfans haben sich häuslich eingerichtet zur einzigen Kollektivvorstellung ihres Kultfilms in diesem Sommer. Thermoskannen, Schlafsäcke, Rauchwaren und Plastiktüten werden herumgereicht oder auch benutzt. Das einzige, was man noch Hunderte von Metern weit hört, ist ein unglaublicher Grunz- und Winselchor, ein unbändiges Stöhnen und Jaulen, das nicht nur als ausschließlicher Soundtrack von der Leinwand kommt, sondern synchron von jeder einzelnen Zuschauerkehle mitverstärkt wird, und wer weiß, wieviel ungezogene Hündchen im umliegenden, dunklen Park mitgejault oder vielleicht sogar dabei ihr Herrchen angeknabbert haben.

Die wenigen Laien, die noch mitlesen, haben sicherlich spätestens jetzt gemerkt, daß es sich um einen ungewöhnlichen Film handeln muß. Michel Piccoli, sonst eher immer der böse S/M-Onkel oder Ehemann im Film, erscheint in Themroc gänzlich wortlos, lediglich mit der Primatensprache ausgestattet, mit der sich auch alle anderen in der tristen Handlangerwelt verständlich zu machen suchen. Nicht nur, daß das ständige Grunzen und Keuchen aufgenialste Weise alle Synchronisationsprobleme löst und die musikalische Untermalung bei dieser Lärmkulisse eh unter den Tisch fällt, das ununterbrochene Krächzen und Bellen erscheint in der stumpfen Maschinen- und Obrigkeitswelt sowieso als die einzige, adäquate Antwort auf das blinde Stampfen der Produktion, in der Piccoli als Anstreicher Themroc jahrelang stillgehalten hat. Nachdem er in einer engen Klokabine seiner Firma sein Schreicomingout hatte, stürzte er sich erst mal in die Schächte der Pariser Metro, um dort im Duell mit den kreischenden Waggons die Feuertaufe der Anarchie zu bekommen. Nichts kann ihm mehr etwas anhaben, er beherrscht jetzt die Sprache des Widerstandes. Und dreht nur noch durch.

Man könnte darüber (oder hat schon) einigen schlauen Dünkel zu Papier geben, über die Revolution, die Arbeiterbewegung, das Ich und die Maschine, aber genau das hieße ja an diesem Film von Claude Faraldo vorbeireden, denn der sprachlos gewordene Fortschritt ist nicht zu übersetzen. Ob nun Rambo in seinem einzigen lichten Momenten eine riesige Computeranlage als Feind erkennt und zerstört oder in Metropolis die Zerstörung des Maschinenkapitals den einzigen Weg ans Tageslicht der Wirklichkeit bedeutet, in Themroc bekommt man es in Reinform zu sehen. Michel Piccoli ist die Sabotage, und das Gejaule seines neuen Glücks steckt alle anderen an. Schon tönt es aus den tristen Betonburgen der Arbeiter, heult es in den Korridoren der Fabriken zum Auftakt dessen, was alle gleich tun werden: Wohnung demolieren, Polizisten braten und wild kopulieren.

Themroc ist genau der Stoff, der nicht heute, aber vielleicht schon morgen in Marzahn und anderen Elendsquartieren das Pulverfaß zünden wird, wenn je jemand auf die Idee kommt, ihn dort zu zeigen.

Die Horden jedenfalls, die naß aber glücklich das Freiluftkino verlassen, grölten brunftig und schwören sich feierlich, die nächsten Tage krank zu feiern, bevor sie sich am Ausgang des Parks zerstreuen, nicht viel, aber wenigstens etwas. Niedetzki

Themroc von Claude Faraldo, 110 Minuten, Frankreich 1972, farbig. Zur Nachbehandlung und für alle Erstseher zeigt das Beratungsteam im Sputnik Südstern Themroc seit gestern, Donnerstag auch in seinen Praxisräumen in der Hasenheide.

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