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Zehn Blaue darf's schon kosten

■ Weil es in der Bike-Branche boomt, ist mancher Fahrradhändler auf dem Weg zum Millionär

Der amerikanische Mythos vom Tellerwäscher, der Millionär wurde, ist also doch bloß Wahrheit. Auch Willi L.s Karriere begann in einer Küche. Vor elf Jahren operierte der heute 42jährige zwischen Spüle und Spaghetti zusammen, was zusammen gehört — und verscheuerte die zu neuem Leben erweckten Drahtesel. In drei Jahren konnte er sich 10.000 Mark zusammenbasteln, lieh sich dann 20 Riesen und tauschte die Küche seiner Freundin gegen einen Laden in der Steglitzer Rheinstraße. Schon damals ahnte der Fahrrad-Freak, daß man vom Fahrradverkauf leben kann, doch daß es wenig später in der Bike-Branche derart boomen wird, daß der Umsatz in 50-Prozent-Schritten springen würde, »damit habe ich nicht gerechnet«.

Alle denken deshalb, man verdiene viel, beschwert sich Willi L., aber da auch das Finanzamt zulangt, würden ihm im Monat nur 3.000 Mark bleiben. Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, daß er seine Gewinne sofort wieder investiert — vor 14 Tagen hat der Radchef seine Filiale »FTL-Special« um die Ecke in der Saarstraße 7 eröffnet. Das Styling und die Ware des Triathlon-Fachgeschäfts für Zweiräder in der Luxuspreisklasse kostete den Unternehmer eine Viertelmillion.

Auch Sebastian R. ist ein winner. Seine Karriere begann vor acht Jahren. In einer Garage zog er Speichen auf. Inzwischen erwirtschaftet der 31jährige Aufsteiger mit seiner »Fahrradkoppel« am Britzer Damm 115 eine dreiviertel Million jährlich. Auch er hatte nicht an Tellerwäschermärchen glauben wollen, »aber ich habe aus Scheiße Gold gemacht«. In vier Jahren will er vielleicht aussteigen. Daß er Ware und Ersatzteile für den Einkaufspreis von 300.000 Mark losschlagen könnte, bezweifelt er. Die ersten, die die Marktnische entdeckten, waren vier Mitglieder der Bürgerinitiative Westtangente. Nach der Uni drohte den Studenten die Arbeitslosigkeit, da gründeten sie 1979 in Schöneberg das »Fahrradbüro« — mit zehn Billigrädern vom Großhandel. Letztes Jahr verkaufte das »Büro« 1.200 Räder. Während der Saison arbeiten bis zu 12 Leute in dem Laden, der in der Hauptstraße 146 beginnt und erst wieder in der Crellestraße 48 endet. Sie machten zwei Millionen Mark. Der letzte, der ausstieg, weil ihm die Arbeitszeiten zu lang und der Job zu stressig gewesen sein soll, bekam über 60.000 Mark mit auf den Weg, erzählt der einzig übriggebliebene Gründer Bernhard H. (40).

Dieses Jahr bleibt das Riesengeschäft mit den Velos allerdings aus. Zweiradmechaniker Alexander Oberhoff (26) von FTL-Special führt die Umsatzeinbuße auf das Wetter zurück. »Wenn jetzt aber zwei Tage Sonne scheint, würden die Kunden den Laden verstopfen«, glaubt er und guckt dabei gelangweilt auf die Eingangstür, die niemand öffnen will.

Axel von Blomberg, aktives Mitglied beim Allgemeinen deutschen Fahrrad Club (ADFC) und Berlins aufdringlichster Laufrad-Lobbyist, glaubt allerdings nicht an die Illusion all jener, die auf Grund solcher Umsätze an einen gesellschaftlichen Umstieg vom Auto aufs Rad glauben. In die Pedale werde zunehmend in der Freizeit am Wochenende, aber weniger im Alltag getreten. Zwar würden Innenstädter ihre Automobile immer häufiger stehenlassen, dafür aber die Randgebietler ihre Drahtgestelle. Der Funktionär glaubt dennoch an die Zukunft der Felge: »Das Rad wird innerstädtisches Verkehrsmittel werden.«

Natürlich werden mit Mountain- Bikes nicht nur Mäuse gemacht, vorausgesetzt, daß sich keine dunklen Wolken vor die Sonne schieben. Gerade weil das Rad vom vulgären Transportmittel zum Freizeitgefährt für Modebetonte avancierte, schaffte es den Durchbruch. »Heute muß der Porsche-Fahrer ein 21-Gänge-Rad mit X-Press-Schaltung und Power-Gripp in der Garage stehen haben«, behauptet R. Allerdings habe bei seinen Kunden auch das Qualitätsbewußtsein zugenommen — der Durchschnittskäufer lege bei ihm zehn Blaue auf die Theke. Geht es nur ums »Prinzip Fahrrad«, reicht dem Fachmann aber auch schon die Hälfte: In der Fahrradkoppel gibt es ein Markenrad mit Dreigangschaltung bereits für 500 Mark.

Dennoch scheint es bei den Fahrradpreisen keine Grenze mehr zu geben. Immer wieder überschwemmen japanische und amerikanische Firmen den Velo-Markt mit kostspieligen Innovationen. Der neueste Schrei: ein 85 Gramm leichtes Klick- Pedal (Paar 450 Mark), in das der Fahrer — wie bei einem Ski — mit seinem Schuh fest einrastet. Über so etwas Selbstverständliches wie Servobremsen und Bremskraftverstärker spricht keiner mehr. Es fehlen nur noch das Schiebedach und vier Türen. Ohnehin kommen Käufer eines Luxusrades selten nur per pedes.

In der Saarstraße passiert es, daß ein gutgekleideter Endvierziger in den Laden spaziert und »ein Rad in Anthrazit« will. »Ist das auch wirklich gut«, fragt der Krawattenträger den Verkäufer Oberhoff noch kurz, und dann wird geprüft, ob das »Cannondale« in den Kofferraum des 500 SEL paßt, den der Geschäftsmann frech auf dem engen Radweg vor dem Fachgeschäft geparkt hat. Nach dem Preis (6.750 Mark) hat der Käufer nicht einmal gefragt. Jetzt interessiert einen nur noch, ob der SEL- Fahrer sein erstes Geld mit Tellerwaschen verdiente. Dirk Wildt

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