: Lehrer sollen die Stadthälfte wechseln
■ Senat plant Austauschprogramm für LehrerInnen/ Schulsenator Klemann: »Keinerlei Verschlechterungen« an den Schulen, aber im Osten müßten bis zu 500 Lehrer entlassen werden
Berlin. Mit dem neuen Schuljahr, das am 1. August beginnt, will der Senat erstmals ein Austauschprogramm zwischen den Schulen im West- und Ostteil starten. Schulsenator Jürgen Klemann (CDU) will demnächst per Rundschreiben an die Berliner Lehrer appellieren, sich freiwillig für das Programm zu melden. Die Austauschlehrer sollten mindestens sechs Monate an einer Schule im anderen Teil der Stadt hospitieren und Unterricht geben. »Wir hoffen, daß sich jede Schule beteiligt«, sagte Klemann. Wenn von jeder Einrichtung auch nur ein Lehrer teilnehme, wären das fast 1.000 Menschen. Klemann räumte ein, daß es Schwierigkeiten gebe, die Lehrer zum Wechsel zu bewegen. »Daß ein Steglitzer nicht gerne nach Marzahn reist, ist nachvollziehbar«, meinte der CDU-Politiker. Trotzdem wolle er es zunächst mit dem »Prinzip der Freiwilligkeit« versuchen. Erst in etwa einem Jahr werde es möglich sein, Lehrer regulär aus dem Ostteil in den Westen zu versetzen.
Klemann versuchte Befürchtungen zu zerstreuen, der Standard an den Schulen könnte aufgrund von Sparmaßnahmen sinken. Es werde »keinerlei Verschlechterungen« geben, beteuerte der Senator. Trotz wachsender Schülerzahlen werde es keine überfüllten Klassen geben. Auch die gemeinsame Erziehung behinderter und nicht behinderter Kinder werde weitergeführt, ebenso die »zweisprachige Alphabetisierung« an einigen Grundschulen. Die Lernmittelfreiheit sei gesichert, die Angebote zur Lehrerfort- und Weiterbildung seien ausgebaut worden.
Die bereits beschlossenen Kürzungen der Stundentafeln für musisch-künstlerische Fächer in der Sekundarstufe I verteidigte Klemann als »pädagogisch vertretbar«. Die Berliner Schüler hätten in den betroffenen Fächern immer noch mehr Unterricht, als dreiviertel ihrer Altersgenossen in den anderen Bundesländern.
Im Westteil der Stadt sind nach Klemanns Angaben 500 zusätzliche Lehrerstellen notwendig. 269 neue Stellen habe der Innensenator bereits bewilligt. Weitere 189 Stellen könne man durch die Stundentafelkürzungen »erwirtschaften«. 40 Stellen will Klemann darüber hinaus auf rechnerischem Weg aus dem Ostteil »transferieren«.
Dort bestehe der »rechnerische Lehrerüberhang« fort, sagte der Senator. 400 bis 500 Lehrer müßten entlassen werden, weil sie fachlich ungeeignet oder politisch belastet seien. Andererseits sei beabsichtigt, Einstellungsmöglichkeiten für Lehrer zu schaffen, die unter dem SED- Regime nicht mehr unterrichten durften. Etwa 100 Betroffene hätten sich bereits gemeldet.
In den nächsten Jahren sei ein großes Schulbauprogramm im Umfang von einer Milliarde Mark nötig, kündigte der Senator an. Im Westen müßten neue Grundschulen errichtet werden, im Ostteil fehlten Gebäude für Oberschulen. Für 60 Millionen Mark würden zunächst mobile Klassenräume aufgestellt.
Im Ostteil der Stadt wird es mit Beginn des neuen Schuljahres 222 Grundschulen, 54 Gesamtschulen, 46 Gymnasien, 24 Realschulen und acht Hauptschulen geben. Die Eltern hätten damit ihre Wahl getroffen, sagte Klemann. Trotz der geringen Zahl von Hauptschulen wies Klemann den Vorwurf zurück, seine Bemühungen um eine Übertragung des westlichen Schulsystems auf den Osten seien gescheitert.
Kritik an Klemanns Äußerungen kam von der GEW und vom Bündnis 90/ Grüne. Der GEW-Vorsitzende Erhard Laube warf Klemann »Zweckoptimismus« vor. hmt
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