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„Früher oder später werden wir erschossen!“

Bericht aus dem Gaza-Streifen: Geheimes Treffen mit palästinensischen Untergrundkämpfern, die von der israelischen Armee gesucht werden/ Gespräch mit einem palästinensischen Polit-Prominenten und Geprächspartner von James Baker  ■ Aus Gaza Qassem Gidran

In dem Dorf im Gaza-Streifen herrscht eine friedliche Atmosphäre. Unser Ziel ist es, einen jener Aktivisten zu treffen, die schon seit mehr als zwei Jahren auf den Fahndungslisten der israelischen Armee stehen, einen der sogenannten Matlubiyyn, der „Gesuchten“, von denen es im Gaza-Streifen einige Hundert geben soll. Wir sind überrascht, als gleich mehrere der Untergrundaktivisten über den Dorfplatz auf uns zukommen. „Wir wissen genau, wer sich dem Dorf nähert. Wenn die israelische Armee ins Dorf kommt, dann sind wir bereits weg. Unser Geheimdienst arbeitet besser als ihrer“, erklären sie uns ihr offenes Auftreten.Als wir uns bei einem Glas Tee niederlassen, erzählen uns alle drei ähnliche Geschichten. Sie hatten Glück, daß sie nicht zu Hause waren, als die israelische Armee sie vor zwei Jahren abholen wollte. Seitdem verbringen sie jede Nacht außerhalb des Dorfes in den Orangenhainen. Sie alle wissen, was sie bei einer Verhaftung erwartet. Mehrmals wurden sie schon vor der Intifada festgenommen, tagelangen Verhören unterzogen und in israelischen Gefängnissen inhaftiert. Sie seien Aktivisten der Volksfront zur Befreiung Palästinas, PFLP, einer der linken Organisationen inneralb der PLO. Das sei ihnen damals zumindest vorgeworfen worden, erzählt einer grinsend. Kurz nach ihrer Freilassung wurden sie bereits wieder gesucht. Damit begann die Zeit, in der ihre Familien regelmäßig von der israelischen Armee besucht wurden. Manchmal wurden ihre Brüder mitgenommen, manchmal ihre Väter. Sie wurden bis zu 18 Tagen ohne Anklage festgehalten, um auf diese Weise die Selbstauslieferung der Gesuchten zu erzwingen.

Haider Abdel Shafi ist Treffen mit Journalisten gewöhnt. Als Mitglied der ersten beiden palästinensischen Delegationen, die US-Außenminister Baker nach dem Golfkrieg in Jerusalem trafen, gehört er zur palästinensischen Polit-Prominenz. Abdel Shafi ist der Vorsitzende des Roten Halbmondes in Gaza. Von Bakers Friedensinitiative ist Abdel Shafi enttäuscht. Das ganze Gerede über die Teilnehmer und Form einer möglichen Nahost-Friedenskonferenz anstelle einer Dikussion über Inhalte ist für ihn ein sicheres Zeichen, daß es dabei niemals um den ernsthaften Versuch ging, die Palästinafrage zu lösen. Nach dem zweiten Treffen mit Baker hat er dann aufgegeben. Er sei zwar nicht prinzipiell gegen solche Treffen. Sie sollten mit Zustimmung der PLO beweisen, daß die Palästinenser nicht diejenigen sind, die den Friedensprozeß blockieren, aber zu erreichen gab es nach Meinung Abdel Shafis dabei nichts.

Auch für die drei gesuchten Untergrundaktivisten waren die Baker- Reisen eine Farce. „Die Leute aus den Dörfern glauben, daß Baker nur kam, um sich mit Shamir über den Transfer äthiopischer Juden zu verständigen“, erzählt einer von ihnen. Sie glauben, daß die Politik des Steinewerfens neu überdacht werden müsse. „Die Intifada ist in einer Zwischenphase, die im bewaffneten Kampf münden muß“, verkündet er. Das Lager Rafah zum Beispiel, im südlichen Gaza-Streifen, in dem in letzter Zeit gehäuft Waffen aufgetaucht waren, sieht er als einen Beweis für den bevorstehenden bewaffneten Kampf. Ganz anders sieht Abdel Shafi die Perspektiven der Intifada. „Es gibt keine Ordnung im palästinensischen Haus.“ Die Intifada müsse beibehalten werden, um die Welt daran zu erinnern, daß es keinen Frieden im Nahen Osten geben werde, solange die Palästinenserfrage nicht gelöst sei. Welche Form die Intifada dabei annehmen solle, müsse überdacht werden. Er hoffe, daß die Gewalt nicht eskaliere. Der gewalttätige Aspekt hat für Abdel Shafi keinen Wert mehr, er könne sogar kontraproduktiv wirken, meint er. Sein Rezept ist es, weiter Druck für eine friedliche Lösung auszuüben. Shafi hofft dabei auch auf die Europäische Gemeinschaft. „Wie kann Europa ruhig bleiben, wenn ein zerstörerischer Krieg im Namen des internationalen Rechts gegen die Besetzung Kuwaits geführt wird, und die Palästinafrage anschließend vergessen wird“, fragt er.

„Die Leute, die sich mit Baker treffen, leben nicht unsere Realität“, erläutert einer der Matlubiyyn. Unser Leben ist unmittelbar mit der Intifada verbunden. „Wenn die Intifada keinen Erfolg hat, werden wir früher oder später verhaftet oder erschossen.“ Die israelische Armee habe beim letzten Besuch zu Hause einem Vater gedroht, daß sie seinen Sohn umbringen werde, wenn sie ihn fänden, bevor er sich freiwillig stelle.

Nervös blicken die Gesuchten plötzlich auf ihre Uhren. Im Hintergrund ruft der Muezzin zum Abendgebet. Es ist Zeit zu gehen. Nachts herrscht seit Beginn der Intifada Ausgangssperre im Gaza-Streifen. Die bevorzugte Zeit für die israelische Armee, die Häuser ihrer Familien zu besuchen. „Die oder wir“, sagt uns einer zum Abschied.

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