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Wie Sandra Laing ihr Lachen verlor

Südafrikas Minderheitsparlament wird heute über das Herzstück der Apartheid, die Trennung der Bevölkerung nach Hautfarbe, entscheiden/ Die Leben vieler Menschen wurden ruiniert/ Auswüchse muten heute manchmal tragikomisch an  ■ Aus Geluksdal Willi Germund

Schüchtern senkt Sandra Laing den Kopf, knetet ihre Schürze in den kräftigen Händen und sagt kaum hörbar: „Nein“. An ihrem Rockzipfel hängt der dreijährige Sohn Steven. Hilfesuchend blickt Sandra Laing zu ihrem hellbraunen Ziegelsteinhaus, weicht dem Blick des Besuchers aus und wiederholt noch einmal: „Nein, ich möchte nicht mit Ihnen reden.“ Weiße, das wird mehr als deutlich, fürchtet sie, Weiße bringen schlechte Erinnerungen zurück. Als der Besucher geht, schnappt sie sich Steven und eilt ins Haus. Die 36jährige Sandra Laing gehört zu den Personen, mit denen sich jahrzehntelang eine spezielle Abteilung des südafrikanischen Innenministeriums beschäftigte. Am 6. August 1967 meldete die Zeitung 'Sunday Times‘: „Die elf Jahre alte Sandra Laing, die weiß war, dann als ,Coloured‘ (Farbige) eingestuft und jetzt wieder als Weiße klassifiziert wurde, versteht nicht so recht, was mit ihr geschehen ist.“ Sandra hatte eine seltene Hautkrankheit, die die Pigmente dunkel färbte.

Am heutigen Montag will Südafrikas Regierung den seit 1950 bestehenden „Population Registration Act“ abschaffen, mit dessen gesetzlicher Hilfe das weiße Minderheitsregime jahrzehntelang die Bevölkerung am Kap nach Hautfarbe separierte. Eine Aufteilung, die über das weitere Leben entschied. Denn von der Einstufung durch die Regierung hing ab, wer wo wohnen, wo zur Schule gehen, wer wo arbeiten, ja selbst wer mit wem schlafen durfte. Letzteres kontrollierte der „Immorality Act“ (das „Amoral-Gesetz“), der verfolgte und bestrafte, wer mit Menschen einer anderen Hautfarbe ins Bett ging. Spezialeinheiten observierten „Verdächtige“ und nahmen Sperma- und Bettwärmeproben, um Beweismaterial für Prozesse zu sammeln, die die Angeschuldigten nicht selten in den Selbstmord trieben. Erst Mitte der 80er Jahre wurde der „Immorality Act“ aufgehoben.

Dem Apartheidregime war in seinen Hochzeiten kein noch so absurdes und heute lächerlich anmutendes Testverfahren zu schade. Etwa die Fingernagelprobe: Angeblich sei bei farbigen Personen der Nagel einfarbig und habe nicht den üblichen helleren Fleck am Ende des Nagelbetts. Bei Neugeborenen wurde bei „zweifelhaften Fällen“ zudem die Haut am Steißbein überprüft: Eine schwarzblaue dunkle Färbung galt ebenfalls als Kriterium für die Einstufung als „Non-white“. Der häufigste und beliebteste Test aber war der Bleistifttest. Blieb ein solcher Stift in der lockigen Haarpracht hängen, war der Beweis erbracht: kein Weißer. Noch Anfang des letzten Jahrzehnts stufte ein Richter eine Frau als „farbig“ ein, weil „sie welliges Haar, blasse Hauttönung und hohe Backenknochen“ aufwies.

Schon in den 50er Jahren sorgten sich führende südafrikanische Weiße um die möglichen Folgen hochmoderner Technik. Wie etwa könne garantiert werden, daß bei „Babies aus der Retorte“ eine weiße Frau nicht an das Sperma eines Schwarzen gerate, fragte sich ein Politiker. Die Antwort: durch ein Verbot von Retortenbabies. Oder etwa das Thema Bluttransfusionen. Die zuständigen Behörden beruhigten das Parlament: Blutkonserven würden getrennt nach Rassen aufbewahrt und verabreicht. Auch die erste Herztransplantation, enthüllte Halbgott in Weiß Chris Barnard in den 80ern, hätte früher vorgenommen werden können, wäre das Spenderherz nicht „schwarz“ gewesen. Man befürchtete den Skandal und wartete. Die nach der Klassifizierung erfolgte Trennung der Welten bewirkte, daß etwa Patienten starben, weil etwa die „falschen“ Ambulanzen kamen und den Transport verweigerten. Postämter richteten separate Eingänge nach Hautfarben und teilweise gar getrennte Briefkästen ein, ja selbst der südafrikanische Blindenverein strukturierte sich neu nach Hautfarben.

Selbst im Himmel, so kann man der 1991 erschienenen Anthologie Apartheid — The lighter side entnehmen, die die Auswüchse von 40 Jahren Rassentrennungspolitik auf der Basis von Zeitungsartikeln dokumentiert, sei nicht „ein großes Haus“, sondern „viele Häuser“ vorgesehen — Apartheid also auch noch nach dem Tode. Das jedenfalls meinte der Fachmann Dr. N.P.J. Steyn über die biblische Verankerung der Apartheid. Die „Nederduitse Gereformeerde Kerk“, der fast alle führenden weißen Politiker in Südafrika angehören, bestand noch bis Ende 1990 auf der Rassentrennung.

Seit den 50er Jahren verschärfte die Gesetzgebung die Kriterien der Rassentrennung zunehmend — und zerstörte Leben wie das von Sandra Laing. Selbst in Geluksdal, einem Township für „Kleurlinge“, so die Afrikaansbezeichnung für Farbige, lebt sie abgeschottet. Die „weiße Frau mit den schwarzen Kindern“, wie sie in dem kleinen Ghetto 35 Kilometer außerhalb von Johannesburg bekannt ist, wohnt in einem alten Farmhaus an der Straße nach Brakpan. Am Horizont erheben sich die Abraumhalden der Minenbergwerke. Sandra Laing will ihre Ruhe haben. Nicht einmal über ihre Eltern weiß die Mutter von fünf Kindern Genaueres. Der Vater, so schilderte sie vor einigen Wochen einer südafrikanischen Zeitung, sei offenbar 1987 gestorben. Ihre Mutter und Geschwister würden in Pretoria leben. „Ek worry nie meer“, antwortete sie den Zeitungsreportern, „darum sorge ich mich nicht mehr.“

Als kleines Kind, so schilderte sie, habe sie oft geweint. Die Leute seien böse zu ihr gewesen. Sie habe sich gefragt, warum sie eine braune Hautfarbe habe, ihre damaligen Klassenkameradinnen hingegen weiß waren. Der Vater sei die einzige Stütze gewesen. Er habe ihr versichert, daß sie seine Tochter sei. Bis Sandra Laing dann Petrus traf und sich verliebte. Sandra Laing war 15, Petrus war schwarz. „Weiße Jungen wollten mich nicht, da habe ich mich in Petrus verliebt“, sagt Sandra Laing. Der Vater warf sie daraufhin aus dem Haus. Fünf Kinder hat Sandra Laing heute, 20, 19, elf, acht und drei Jahre alt. Zunächst ging sie mit Petrus ins Nachbarland Swaziland. Dann kehrte das Paar zurück — und geriet sofort in Schwierigkeiten. Denn Petrus war schwarz, Sandra Laing aber galt als „Kleuring“ — laut den südafrikanischen Rassengesetzen durften sie nicht zusammenleben. Noch 1988, so der jüngste Bericht des „Institute of Race Relation“ beantragten aus diesem oder ähnlichem Grund 1.142 Südafrikaner ihre „Reklassifizierung“. 867 waren erfolgreich. So schafften 376 von 514 Personen ihre Umstufung von „Farbig“ in „Weiß“. 13 Weiße dagegen verzichteten auf ihre Privilegien und nahmen den Status von „Farbigen“ an. 1989 waren 1.223 von 1.229 Personen mit ihrem Antrag erfolgreich. Und auch im März 1991 veröffentlichte die Kommission ihren — vielleicht letzten — Bericht.

Das südafrikanische Minderheitsparlament will zwar nun mit dem „Population Registration Act“ einen der Grundpfeiler der Apartheid abschaffen. Ab dem 30. Juni werden dann Neugeborene nicht mehr „klassifiziert“. Aber die Gleichberechtigung für alle Südafrikaner ist damit längst noch nicht erreicht, denn die Erwachsenen bleiben alle nach Hautfarbe erfaßt, das heißt sie tragen Vermerke in ihren Ausweisen. Schließlich plant Staatspräsident Frederik der Klerk, die Weißen noch einmal separat abstimmen lassen, ob sie mit einer neuen Verfassung einverstanden sind.

Sandra Laing glaubt ohnehin nicht, daß die Abschaffung der Gesetze für sie persönlich etwas ändern wird. Sie kann kaum schreiben, hat keine Berufsaubildung. Längst lebt sie nicht mehr mit Petrus zusammen, sie hat einen neuen Gefährten gefunden. Sie lache nie, schildert eine südafrikanische Zeitung das Gespräch mit ihr. Vergessen hat Sandra Laing ihre Familie nicht: „Manchmal denke ich an meine Mutter. Es tut weh, daß sie ihre Enkel nicht kennt. Ich frage mich, wie sie aussieht.“ Die Mutter, sagt Sandra Laing doch noch, bevor sie im Haus verschwindet, habe sich bisher nicht gemeldet — ungeachtet des Appells, der im Mai in einer Zeitung stand.

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