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Schreiben nach der Vereinigung

■ DDR-Autorinnen lesen im Frauenkulturzentrum Begine

Alles begann mit ziemlicher Heftigkeit und Empörung. Vor allem der Film Westfrauen sehen Ostfrauen von Sybille Plogstedt, der Anfang April eine Reihe von Lesungen und Diskussionsveranstaltungen mit DDR-Autorinnen im Frauenkulturzentrum Begine einleitete, sorgte für Zündstoff. Der Film, 1990 gedreht, dokumentiert westliche Vorurteile von Frauen aller Couleur. Egal, ob es sich um die Ladenbesitzerin im ehemaligen Grenzdorf handelt, die die »Ossis« schon am Geruch ausmachen kann oder um Vertreterinnen der Berliner FrauenFraktion, die feministisch- freundlich-offensiv letztlich in eine vergleichbare Schiene der Rassismen verfallen.

Die anschließende Diskussion in den Räumlichkeiten der Begine hatte es in sich. Ostfrauen hatten den Film kaum ertragen können, waren empört und entsetzt. Westfrauen — ganz unter dem Eindruck des soeben Gesehenen — verneinten diese krasse Form des Rassismus und der Vorurteile, entschuldigten sich stellvertretend und zwischen den Zeilen, gestanden ein. Sowohl Ost als auch West fanden sich in Windeseile in der Verteidigungsposition wieder. Verhaltene Aggressivität wurde spürbar, sobald Vorwürfe laut wurden. Ostfrauen mokierten, den »Wessis« wäre es doch gut gegangen, zu Zeiten, wo sie selbst in der (Halb-) Illegalität gewirkt hätten.

Eine westdeutsche Besucherin zeigte sich beeindruckt von den »Abgründen, die sich da zwischen Frauen aus Ost und West« auftaten. »Im Münsterland kriegen wir von der ganzen Problematik gar nichts mit. Ich hab immer gedacht, in Berlin wäre die Annäherung schon längst vollzogen, allein aufgrund der räumlichen Nähe.«

Ihr Fazit der Veranstaltung und letztlich der Diskussionsrunde war dann auch, daß Ost- und Westfrauen enorme Schwierigkeiten haben, eine gemeinsame Sprache zu finden. Frau redete stets haarscharf aneinander vorbei. Eine Basis der Verständigung wurde damit erschwert, wurde unmöglich.

Um sie dennoch in Gang zu bringen, um eine Sprache, die von einer durch den »Eisernen Vorhang« getrennten 40jährigen Entwicklung geprägt ist, für Westfrauen zugänglich zu machen, folgten dem Eröffnungsabend Lesungen und Diskussionen unter dem Motto Wir haben keine Macht, aber Spielraum.

Historische Blicke auf die Entwicklung der Lesbenbewegung in der DDR, dargestellt von Christina Schenk, mit gleichzeitiger Reflexion ihrer derzeitigen Arbeit als einzige Abgeordnete des UFV (Unabhängiger Frauenverband) im Gesamtdeutschen Bundestag, verdeutlichten, daß sich die Lage letztlich von einer »illegalen« teils »tolerierten Untergrundbewegung« hin zur offiziellen restriktiven Politik innerhalb der »neuen« Demokratie entwickelt hat. Aber Illusionen hatte frau sich nach dem Mauerfall eh nicht mehr gemacht.

Allen Autorinnen, die bisher in der Begine ihre Texte vorstellten, ist die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Mauerfalls auf Lebenszusammenhänge und Lebenswirklichkeit gemeinsam. Mal so offensichtlich wie bei den Gesprächen, die Petra Lux aufzeichnete (»Ohne uns ist kein Staat zu machen«) oder dem nach der Wende entstandenen Briefwechsel zwischen den Autorinnen Maja Wiens und Anett Gröschner. Ein andermal wesentlich verdeckter und hintergründiger in den Romanauszügen von Kerstin Hensel oder Kerstin Gutsches »Lesbenprotokollen« mit dem Titel Ich ahnungsloser Engel.

Die Auswirkungen der »Wende« spüren die Autorinnen nicht selten am eigenen Leib. Als verantwortliche Redakteurin für die Frauenseite arbeitete Petra Lux bei der 'DAZ‘ ('Die andere Zeitung‘) in Leipzig. Seit Anfang des Jahres flossen die Gehälter nur noch zögerlich oder gar nicht. Wenige Tage nach ihrer Lesung meldete die Zeitung Konkurs an. Auch Helga Königsdorf befaßt sich sehr intensiv in Briefen, Gedichten und Erzählungen mit der Thematik des Mauerfalls:

»... vielleicht

Fragt man uns

Später

Nach diesem Herbst

Als auf den Straßen

Bevor der Winter nahte

Die Zukunft gewann

Ach wir

Wie wir dann

Im Gegenlicht die Augen schließen

wie werden wir müde sein.«

In der Begine las sie Auszüge einer noch unveröffentlichten Erzählung mit dem Titel Auf der Suche nach dem eigenen Schatten oder: Gleich neben Afrika. Ihrem Text war Sprach- und Fassungslosigkeit angesichts der Entwicklung eigen. Auf dem PC-Bildschirm der Protagonistin, einer Autorin mit SED-naher privilegierter Vergangenheit, drängen sich nur noch Floskeln, platte plakative Sprüche, die den Sinn des Lebens wie Werbeslogans erfassen. Die freie Marktwirtschaft hält Einzug ins Denken.

Gabriele Kachold brachte es auf den Punkt: »Was mich dieses Jahr vom Schreiben abgebracht hat, war die deutsche Vereinigung und der Abbau der DDR-Kiste...« Sie schreibt dennoch, provokativ und knapp. Die jüngste im Bund der Autorinnen, die 61 geborene Kerstin Hensel, zeigte sich von der politischen Wende nicht so beeindruckt wie ihre Kolleginnen. Diese Aufarbeitung der Geschehnisse, diese neue Form der »Betroffenheitsliteratur« ist nicht ihr Ding. Das Aufkommen der ganzen feuilletonistischen Literatur, die sich ständig auf das direkte Zeitgeschehen bezieht, ist für sie im eigentlichen Sinne keine Literatur mehr. Ihr neuer Roman, an dem sie zur Zeit arbeitet, ließ dennoch in den Motiven von Auflösung und Veränderungen, die die ProtagonistInnen im »Auditorium Panoptikum« erleben, deutliche Einflüsse des Zeitgeschehens spüren. Karin Flothmann

Veranstaltungen in der Begine, Potsdamer Straße 139: Dienstag, 25. 6. um 20 Uhr: Schönfließer Oval , Lesung mit Annette Simon, Anne Herzberg und Gundel Seidler; Donnerstag, 27. 6. um 20 Uhr: Lesung mit Daniela Dahn.

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