: Wieso sollte Homosexualität nicht normal sein?
■ Betr.: "Homo-Aufklärer in Schulen unerwünscht", taz vom 30.5.91 * Brief an den Senator für Schule und Sport
Betr.: »Homo-Aufklärer in Schulen unerwünscht«, taz vom 30.5.91
[...] Der Antwortbrief der Senatsverwaltung für Schulen, Berufsbildung und Sport, unterzeichnet von einem Herrn Göing vom 28.2.91 läßt keine Illusionen offen (»abweichend« und »nicht normal«): WIR, Lesben und Schwule, sind nicht normal. Na gut, Herr Göing. Dann lassen Sie uns doch unsere »Unnormalität« darstellen: Wie wär's mit einer kleinen Ausstellung: »Abnormitäten der (hoch)entwickelten (He-Terror-)Gesellschaft«. Vielleicht haben wir dann, sozusagen als Freaks, die Chance gar als etwas Besonderes oder Wertvolles gesehen und nicht mehr beleidigt, gedemütigt und geschlagen zu werden.
[...] Daß der Sexualkundeunterricht und auch oft der Sozialkundeunterricht meistens wirklich »Werbeveranstaltungen« sind, nämlich für Heterosexualität und Kleinfamilie liegt mir als lesbischer Mutter schon lange im Magen. Aber bitte schön, wenn wir doch die Freie Marktwirtschaft haben, würde ich dann auch gerne ein bißchen werben und auch darüber berichten, wie es ist, wenn ich auf offener Straße angespuckt werde, weil ich mit meiner Geliebten Arm in Arm gehe, oder wie es ist, Angst vorm S-Bahn-Fahren zu haben. Dies und sexistische und faschistische Sprüche oder »ganz einfach« verprügelt zu werden, wird aber sicherlich keine große Werbewirkung entfalten!
Ich verspreche aber, daß ich möglichst viele lesbische, schwule und heterosexuelle Menschen versuchen werde zu verführen, noch mehr Mut zu haben, für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der Worte wie »biologisch normal« der Vergangenheit angehören. Chris für Lesbische Müttergruppe
An den Senator für Schule und Sport, Bretschneiderstraße 5, 1000 Berlin 19
Wir möchten zu Ihrem Brief an die GEW vom 28.2.91 Stellung nehmen.
Wir halten es für sinnvoll, die SchülerInnen in der Schule über Homosexualität aufzuklären. Wir haben selbst die Erfahrung gemacht, daß Homosexualität genauso in den Alltag gehört wie Heterosexualität.
Wir waren heute in einer Lesbenberatungsstelle und haben uns mit einer Lesbe über Vorurteile, Diskriminierung und Erfahrungen mit ihrer Sexualität unterhalten. Wir halten es nicht für Anleitung zur Homosexualität, wenn Schwule und Lesben in den Unterricht in die Schule kommen. Wir denken, daß dadurch der Abbau vorhandener Vorurteile gefördert wird oder diese gar nicht erst entstehen. In unserer Gesellschaft gibt es viele Homosexuelle, wir wollen und können diese Menschen nicht ignorieren, weil Sexualität etwas Alltägliches ist. Und wieso sollte Homosexualität nicht normal sein?
Wir lassen uns nicht mit mageren Argumenten wie »...Werbung für Homosexualität« abspeisen.
Wir fordern die Aufnahme der Aufklärung über Homosexualität in den Lehrplan! Wir fordern ebenso, daß Lesben und Schwule in den regulären Unterricht in die Schule kommen dürfen, um ihre Erfahrungen mit ihrer Sexualität zu schildern! Zehn Schülerinnen der Sophie-Scholl-Oberschule und Bobertal-Oberschule
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