: Die Nachbarn wußten alles
■ Ausstellung über das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen
Sie lebten hinter Stacheldraht in primitiven Verschlägen und Erdlöchern. Nicht weit vom Konzentrationslager Bergen-Belsen entfernt vegetierten im Herbst und Winter 1941 etwa 20.000 sowjetische Kriegsgefangene. 18.000 von ihnen überlebten diesen Winter nicht. In den Lagern von Bergen-Belsen, Wietzendorf, Fallingbostel und Oerbke starben zwischen 1941 und 1945 insgesamt 75.000 bis 100.000 sowjetische Soldaten. Ihr Leiden und Sterben wurde vergessen und verdrängt. Mit dem 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion erinnert von heute an eine Ausstellung im Dokumentenhaus von Bergen-Belsen an ihr Schicksal.
Rolf Keller und Winfried Wiedemann von der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildung sammelten Dokumente und Fotos über das Leben der Gefangenen und den „sauberen Krieg“ der Wehrmacht. Als Legende der Nachkriegszeit erwies sich dabei die Behauptung, niemand in der Umgebung des Lagers habe etwas von den unmenschlichen Bedingungen gewußt. Die Bilder der Ausstellung stammen überwiegend aus den Fotoalben der Wachmannschaften.
Diese sogenannten „Landesschützen“ kamen häufig aus der näheren Umgebung der Lager. Sie hielten auf ihren Bildern nicht nur Weihnachts-und Geburtstagsfeiern fest, sondern auch die zu Skeletten abgemagerten Toten, die in Massengräbern verscharrt wurden. Die sowjetischen Soldaten waren für die Deutschen „keine Kameraden“. Juden und Kommunisten galten ohnehin als Todeskandidaten, die „selektiert“ und der SS überstellt wurden.
Der Bevölkerung in den umliegenden Heidedörfern entgingen die Vorgänge in den Lagern nicht. Ein Schreiben des Lagerkommandanten von Wietzendorf berichtet von zahlreichen „schaulustigen Zivilisten“. Angesichts der ausgehungerten Gefangenen wurden Zigaretten über den Lagerzaun geworfen. Mitleid sollte nach Ansicht des damaligen Wietzendorfer Bürgermeisters bei diesen Besuchen aber nicht aufkommen: „Es kann nicht schaden, wenn sich die Bevölkerung diese Tiere in Menschengestalt ansieht“, urteilte er zynisch, als der Kommandant die Sonntagsausflüge zum Gefangenenlager verhindern wollte.
Nach dem Krieg wurden sowjetische Mahnmale teils mutwillig zerstört, die Massengräber auf dem als Truppenübungsplatz genutzten Gelände teils bei Manövern beschädigt. Eva Krafczyk/dpa
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