: Vom Druckmittel der Herrschenden
Zur Demokratisierung des Stempels/ Über die Flexografen-Tagung in Dresden ■ Von Werner Pieper
Der Abhängigkeiten des Menschen sind viele. Manche werden einem erst bewußt, wenn es zu spät ist. Zum Beispiel Stempel im Paß und auf Reisedokumenten. Kein korrekter Stempel — keine Identität. Auf dem Weg nach Dresden, zur ersten gesamtdeutschen Flexografen- Tagung, bemerke ich, daß mein Paß abgelaufen ist. Glücklicherweise kein Problem mehr, denn kein Vopo will mehr seinen zweifarbigen Abdruck in meinem Dokument hinterlassen. Flexografen sind Stempelmacher. Stempel waren seit Jahrhunderten Druckmittel der Herrschenden. Herrscher drückten dem Volk ihren Stempel auf, sie unterdrückten — früher mit Brandstempel, heute oft, indem sie Stempel unter Ausreisepapieren verweigern. Oder gar „Ausgebürgert“ in Personalpapiere stempeln und Menschen heimatlos machen. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Stempel — so der Volksmund. Entsprechend wichtig waren die Handwerker, die Stempel herstellen, eben die Flexografen. Nur sie konnten einen Rundsatz anfertigen, nur sie waren befugt, das Organisationsgerät Stempel zu fertigen. Das ist heute anders, wie wir gleich erfahren werden.
Während die Innung noch ihre ersten gesamtdeutschen Vorstandswahlen abhält, lese ich in der Tageszeitung einen Bericht über die erste deutsche Rauschgiftspürhund-Führerin: „Ich bin kein Mensch, der gern im Büro sitzt und Formulare abstempelt.“ Dabei werden viele Formulare heute gar nicht mehr abgestempelt, die rattern mit dem Zusatz „Auch ohne Stempel rechtsgültig“ aus dem Computerdrucker.
Zur Tagung. Geo Müller, Nachfahre eines der ältesten Stempelhäuser Deutschlands, redet über „Stempel von der Stange“, jene Billigdrücker mit einheitlichem, unpersönlichem Schriftbild: „Das ist Vergewaltigung der Schrift! Die Zahl der Sadisten wächst.“ Dabei habe man doch heute durch die neuen Satzcomputer so viele neue tolle Möglichkeiten. Mit Desk Top Publishing lassen sich wunderbare Rundsätze anfertigen, neue Formen, Raster et cetera. Das muß man sich von Elektronikfreaks mal vorführen lassen. Nachteil: viele der angebotenen Schriften eignen sich nicht für Stempel, das Um- und Innenfeld der Buchstaben ist für Stempel nicht stimmig. Wenn das nur das einzige Problem wäre.
Statt über Probleme zu reden, geht die Tagung erst einmal nett weiter. Großhändler Schmitz referiert über angewandte Verkaufsphilosophie. Positives Denken. New Age. Takt statt Technik. Fröhlicher Charme — sind die Stichpunkte. Von den Fröschen, die in die Milch gefallen sind, ist die Rede: der Pessimist ersäuft, der Optimist ersäuft ebenfalls, nur der Realist strampelt so lange, bis aus der Milch Butter geworden ist.
Inwieweit dies für die anwesenden Flexografen der Ex-DDR ein konstruktiver Rat ist, läßt sich nicht ermessen. Tatsache ist, daß die Kollegen große Probleme haben, auch mit den Westlern. Sind sie doch noch echte Handwerker, die mit Gummi und Holz arbeiten. Im Westen wird mit teuren Maschinen und Plastik gearbeitet. Zurecht beschwert sich da Karl Keßner, Ehrenobermeister des Stempelmacherhandwerks aus Löbau, daß bei der Neueinrichtung von Dienststellen in Handel, Verwaltung, Banken und Versicherungen alles aus dem Westen eingeführt wird: „Darf denn aber grundsätzlich zuvor nicht einmal gefragt werden, ob der Heimat treu gebliebene Handwerksmeister nicht in gleich guter Qualität und eventuell günstigeren Preisen liefern würde?“
Die neuen Stempelanlagen inklusive Computer und Fotopolymerherstellungsgerät werden nicht nur in der Ex-DDR offensiv verkauft. Auf der Tagung wird eine Anlage als „Investitionspaket für die Existenzgründung“ für rund 25.000DM angeboten, andere kosten erheblich mehr. Wenn man seinen Computer beherrscht und pro Tag mindestens hundert Stempel fertigt, kann dies auf Dauert rentabel werden. Aber: die Sache hat einen Haken, über den einen die Verkäufer nicht aufklären. Stempel darf nur herstellen und verkaufen, wer eine entsprechende Ausbildung (Lehrzeit: drei Jahre) und Mitgliedschaft in der Innung vorweisen kann. Diese Ausbildung hatte zu Kaisers Zeiten ihre Berechtigung, ist heute jedoch überholt, wo die Stempelherstellung nur etwas komplizierter ist als das Fotokopieren. Herr Flothmann, erster Vorsitzender der Innung, widerspricht mir: „Dann müssen Sie das Handwerk neu organisieren. Ich brauche mindestens dreißig Minuten, um Ihnen das zu erklären.“ Die Zeit hat er leider nicht. Er kann sich gar nicht vorstellen, daß es Geschäftemacherles gibt, die solche Anlagen verkaufen, ohne auf die Innunungsbestimmungen hinzuweisen. Ein Geneppter erzählt mir, daß ihm auf Nachfrage vom Hersteller geraten worden sei, anzugeben, er würde „flexible Hochreliefs“ anfertigen, um nicht „Stempel“ sagen zu müssen.
Solche Probleme gehören offiziell nicht zur Tagung. Stattdessen erzählt Diana Arsenau von der Firma Hein Design über alternative Stempelnutzungen in Kunst und Spiel. Sie ist eine Vertreterin der neuen Frei- Stempler-Bewegung, die aus den USA vehement zu uns herüberschwappt. „In der Alten Welt schlummert das prägende Instrument noch den amtlichen Schlaf des Funktionellen und Langweiligen auf ausgelaugten Stempelkissen. Neben der profesionellen ,Drucksache‘, neben ,Erledigt‘ und ,Zur Kenntnis genommen‘ gönnt man sich privat gerade den eigenen Namenszug, um die Schwiegermutter zu beeindrucken.“
Erst langsam setzt sich dieses Medium auch für Mitteilungen wie „Atomkraft Nein Danke“ und, wie jüngst im Golfkrieg, „Kein Geld für Öl“-Stempel auf Geldscheinen durch. In den USA geht der Nutzungsrahmen allerdings erheblich weiter. Da wird das eigene Briefpapier schmuck-gestempelt, da färbt man T-Shirts mit Stempeln ein, da gibt es zwölffache Regenbogenstempelkissen und eine eigene Fachzeitschrift, die 'Rubberstampmadness‘. Davon ahnt der deutsche Flexograf allerdings nichts. Noch nichts. Diana erhält den größten Applaus der Tagung. Warum? Weil sie einzige Frau unter den Vortragenden war? Weil sie neue Märkte verheißt? Weil sie als Amerikanerin einfach Stempel macht, ohne Innungsmitglied zu sein? Fragen an den Vorsitzenden ob der Legalität, werden mit einem „Solange ich das offiziell nicht weiß, interessiert es mich nicht“, beantwortet. Typisch. Da gibt es eine Interessenvertretung der Stempelmacher, die es nicht einmal für nötig hält, Strukturwandel durch neue Technologien zu diskutieren, die auf der Einhaltung überholter Bestimmungen besteht, die sich dann aber ihre neuen Ideen von außerhalb abkupfert und in so einem Fall auch „großzügig“ darüber hinwegsieht, daß sie an anderer Stelle solche Leute verfolgt. Nur keine schlafenden Hunde wecken, wird mir geraten.
Aber die sind schon wach: draußen kreisen Hubschrauber und heulen die Sirenen wegen demonstrierender Neonazis. Drinnen wird die neue Fotopolymer-Stempel-Herstellung angepriesen. Der Hersteller referiert über Fehlerquellen im Herstellungsprozeß. Dabei werden nicht mehr die traditonellen Gummistempel auf Holzgriffe angefertigt, sondern ein Plastikstempel mit einem Plastikgriff. Diese Stempel machen inzwischen sechzig Prozent der Herstellung aus. Es gibt auch noch wahre Liebhaber, die sich weigern, Plastikkrams zu verkaufen. Eine noch lebende Vergangenheit. Die neuen Stempelmacher, mit „Desk top publishing“ und Plastikstempeln sind eher eine aussterbende Zukunft als Innungsbewegung, denn das kann inzwischen jedes Grafikbüro mit einer entsprechenden Anlage.
Im Vorfeld der Tagung hatte ich wegen der Umweltverträglichkeit der neuen Stempelmaterialien angefragt. „Ein Material wie Plastiktüten“, erklärte mir der Hersteller. Auf der Tagung greift Herr Müller die Frage nach der Umweltbelastung auf. Er selber gibt jährlich etliche Hundert-Mark wegen Entsorgung aus, während die Kollegen meistens mit ihren Abfällen den Hausmüll anreichern. Selber schätzt er den anfallenden Müll als „ungeheuer hoch“ ein und die Aussprache „absolut unbefriedigend“. Kein Wunder, wird doch vor versammelter Mannschaft offiziell verkündet: „Die Frage wird uns in der Zukunft sicherlich beschäftigen.“ Außerdem sei es Sache der Kommunen, entsprechende Auflagen zu erlassen, wie das in Frankfurt schon geschehen sei.
Hier und heute ist das für die Innung kein Thema. Die Zukunftsgläubigkeit vieler Flexografen ist ungebrochen, ihre eigene Flexibilität gleicht jedoch eher der eines Metallstempels.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen