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Die christkatholische Nachtigall

■ “Die Vögel“, eine leider vergessene Oper von Walter Braunfels, ausgegraben von Klaus Kirschner fürs Goethetheater

Ein Jahr nach dem grausigen Abmetzgern der Münchner Räterepublik kam an Ort und Stelle eine sonderbare Oper heraus. Zwei entlaufene Künstler stacheln darin Amsel, Drossel, Fink und Star zu politischen Sperenzchen an. Und was hat man am Ende davon? Ein Strafgericht, wo die göttlichen Hoheiten dreinfahren mit Donnerkeil und Doria!

Seit 1913 hatte Walter Braunfels „Die Vögel“ in Arbeit. Als die Oper 1920 in München uraufgeführt wurde, war der Komponist schon dem Katholizismus beigetreten. Und sein Werk feiert entschlossen dieses rougewangige Kunstgespenst, welches man schlußendlich aus den Wonnen der Entsagung destillieren kann. Der lange Weg zum Ziel aber ist, auf gut christkatholisch, in den schönsten Farben gemalt.

Ein zauberhafter Schmarrn also. Zu welchem höheren Zweck aber hat Klaus Kirschner das bunte Spiel fürs Goethetheater mit so grämlich trüben Gedanken verdunkelt? Gegen die Partitur kommt er sowieso nicht an. Da hören wir Taubengurren und lustiges Tschilpen, und ordnungsgemäß knarzt der Rabe. Das ganze luftige Revier ist Musik geworden. Wunderleichte Klänge sind das, und manchmal zu homöopathischer Raffinesse verdünnt. An wen erinnern diese Sweeties gleich wieder? An einen Puccini, mit Likör abgefüllt? An einen kindisch gewordenen Wagner? Wir aber sehen, weil Kirschner sich keinesfalls rühren läßt, die ganze Vogelschar als erbärmlich gerupften Haufen.

Schon beim alten Aristophanes, von dem Braunfels den komödischen Rohstoff bezog, hat die Geschichte ein Schwungrad, und ohne das kommt sie nicht in Gang: die reizend lästerliche Idee nämlich, die Kunst könnte sich mit herumflatternden Gedanken verbünden und ein „Wolkenkuckucksheim“ (Aristophanes) bauen, eine Art Zollschranke zwischen Menschen unten und Göttern droben, die den Strom von Opfergaben abriegelt und damit die Steuereinnahmen der Hoheiten empfindlich mindert.

Ein freches, verstiegenes Unternehmen, und ganz unmöglich für Kirschners flügellahmes Geschwader, wo immerzu ein Vogel den anderen bandagiert und, zur lebhaftesten Musik, eine Depression herrscht wie in der Tierheims-Volière. So katholisch war nicht einmal Braunfels, daß er selbst die Möglichkeit der Versuchung getilgt hätte. Nun gut, der entlaufene Künstler Ratefreund synchronisiert also, in dem er beständig den Stock schwingt, aus der elenden Schar sowas wie einen Spielmannszug (totalitär! ). Und Freund Hoffegut macht die Nachtigall an, worüber diese erstirbt (Besitzgier!).

Das alles ist (volle Regie voraus) so ziemlich gegen die Oper gestemmt. Die Anstrengung ergab eine Folge von Bilderrätseln, die man entziffern mag oder eben nicht. Weil aber Libretto und Partitur als Schmierpapier für Botschaften ein bißchen unterbewertet sind, hätte eine konzertante Aufführung eher Sinn gemacht. Stattdessen lernen wir: enthalte dich des Machtdünkels, o Mensch, und enthalte dich vor allem der Nachtigall!

Die Musik, wie gesagt, wirkt als ein verläßliches Antidepressivum. Zwar war sie schon damals nicht eben neu, aber Braunfels hat aus aus dem Nachlaß der entschlafenen Spätromantik ein herzerfrischend eigensinniges Werk gemacht. Um so leichter fiel es dem Philharmonischen Staatsorchester unter Ira Levin, bei der Premiere am Sonntag das Publikum in die Tasche zu stecken. Begeisterung am Ende über die muntere, farbsichere Interpretation. Jede Klangmischung akkurat, jeder Tupfer sicher gesetzt. Daß das rhythmische Gerüst manchmal wie Pudding wackelte, will man da nicht weiter krumm nehmen.

Jeanine Thames als Nachtigall ließ liebliche Koloraturen herniederschlängeln von dort droben, wo sie saß wie eine Reminiszenz in güldenem Bilderrahmen — ein witziger Einfall (Bühnenbild: Maren Christensen). Das Duett zwischen der Unnahbaren und dem Verehrer Hoffegut (Tadeusz Galczuk) war eine der stärksten Passagen: sie mit virtuos gearbeiteten musikalischen Bögen, deren Temperatur beständig zwischen Wärme und Kälte zwittert, und von unten der lyrische Tenor mit der süchtigen Einfalt, der zurecht nie was gelingt.

Für Karsten Küsters war die Baßbuffo-Rolle des Ratefreund der richtige Posten. Dem vital ausschreitenden Gesang des Oberpragmatikers gab er den nötigen schulterklopperischen Charme. Ein besonderes Fleißbildchen schließlich steht dem allgegenwärtigen Chor zu. Die huschigen, sprunghaften Flatterwesen bieten gesangstechnisch jede Menge Hürden. Der Chor hat sie genommen, ohne aus der Puste zu kommen. Lebhafter Applaus am Ende, Buhs für den Regisseur. Manfred Dworschak

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