piwik no script img

Bunt, laut, gemütlich — la dolce vita auf Berliner Art

■ Die Goltzstraße in Schöneberg/ Amüsiermeile zwischen der City und Kreuzberg/ Wer hier eine Kneipe aufmacht, kann nichts falsch machen

Die Straße fängt so an, wie sie aufhört: mit einer Kneipe. Nicht umsonst taucht sie in allen alternativen Reiseführern auf, und auch in »bürgerliche« Wegweiser durch den Großstadtdschungel hat sie bereits ihren Einzug gehalten — wegen der ungewöhnlichen Ansammlung von Kneipen und Antiquitätengeschäften auf engstem Raum. Die Schöneberger Goltzstraße ist jedem Nachtlicht in der Stadt ein Begriff, bildet sie doch als Verlängerung der Maaßenstraße über den Winterfeldtplatz hinaus die Amüsiermeile zwischen der City und Kreuzberg. Wer hier eine Kneipe aufmacht, kann fast nichts falsch machen — trotz der starken Konkurrenz.

Ihren Anfang nimmt die Goltzstraße nicht erst, wie viele glauben, südlich der Pallas-/Hohenstaufenstraße, sondern als westlicher Rand des Winterfeldtplatzes. Bis in die schwäbische Provinz bekannt sind seit vielen Jahren das »Slumberland« im Eckhaus am Winterfeldtplatz, das »Café M« und das »Niemandsland«. Das Slumberland hat seine besten Zeiten längst hinter sich, nachts nach ein Uhr trifft man hier hauptsächlich einsame Männer um die 40. Seine größten Umsätze verzeichnet das mit Sandboden und Palmen auf Südsee getrimmte Szenelokal am Samstag nachmittag: Dann stehen sich die Szene und was sich dafür hält, die Schickeria und ganz normale Marktbesucher — auch SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt ist dort schon gesichtet worden — auf dem Trottoir die Füße in den Bauch, um nach dem Bummel über den Winterfeldtmarkt ein Bier zu schlürfen. Vom traditionsreichen Markt, der mittlerweile Besucher aus ganz Berlin anzieht, lebt die gesamte Gegend, und nicht zuletzt ihm ist auch die enorme Kneipendichte in der Goltzstraße zu verdanken. Das Café M, etwa hundert Meter weiter gelegen, belegt seit Jahren, daß Trends auch sehr langlebig sein können. Die Urmutter aller Neonkneipen ist immer noch die definitive Adresse in der Goltzstraße — nicht gerade zur Freude der Anwohner. Von morgens bis in den Morgen hinein drängelt sich hier die Szene. Und wenn die Stühle, wie in der ganzen Straße, um 22 Uhr hineingeräumt werden müssen, steht man eben weiter auf der Straße — la dolce vita Berliner Art.

Schön ist die Straße eigentlich nicht, aber sie entspricht einem Lebensgefühl. Eine bunte, laute und immer noch erfreulich uneinheitliche, an Sonntagen gemütliche Mischung aus Wohnstraße, Kneipen, Imbissen, Trödlern, Galerien, Buch- und Comic-Läden — dazwischen ein Bestattungsunternehmen, ein Fachgeschäft für russische Ikonen, edle bis schrille Designer- und Schmuckläden, die Berliner Geschichtswerkstatt und Klempnerausrüstung. Viele Betriebe aus dem Alternativ-Milieu zeigen hier angehenden Jungunternehmern, wie man es machen muß, etwa der Designerladen Cami am südlichen Ende, den Michaela Goldschmidt seit vier Jahren erfolgreich betreibt. Auch das alternative Reisebüro Neue Reisewelle ist für die zwei GründerInnen so lukrativ, daß sie mitterweile eine Filiale in Wilmersdorf betreiben.

In den letzten Jahren hat sich die Goltzstraße äußerlich gemausert, kaum ein Haus ist heute noch unsaniert, und die Preise steigen. Der Kiez um den Winterfeldtplatz, wo Anfang der achtziger der Häuserkampf tobte, ist heute eine der begehrtesten Wohngegenden Berlins. Die Hausbesetzer von damals sind in die Jahre gekommen und können sich von ihren BAT-II-Gehältern teurere Wohnungen und alles, was das Leben angenehm macht, leisten. Der soziale Wandel ist unaufhaltsam, trotzdem hat sich eine höchst lebendige Mischung aus alternden Wohngemeinschaften, Lehrerehepaaren, Alten und ganz Jungen, ausländischen und deutschen Durchschnittsfamilien erhalten. Am Samstag lehnen sich die alten Damen scharenweise über die Brüstungen ihrer Balkone im Kardinal-von-Galen-Altersheim am Winterfeldtplatz, um dem Markttreiben zuzusehen. »Das bestgelegenste Altersheim in der Stadt«, schwärmt Klara W. (74), »hier hab' ich alles, seh' alles, was soll ich am Stadtrand?«

Die Matthias-Kirche, in der von 1919 bis 1929 Clemens August Kardinal von Galen arbeitete, zählt zu den wenigen katholischen Gemeinden im sonst protestantischen Berlin. Seit Beginn des Kaiserreichs entstand vom Nollendorfplatz bis zum Bayrischen Platz der sogenannte Alte Westen, eine Wohngegend für das gehobene Bürgertum und Offiziere. Wo 1879 noch unbebautes Land westlich des »Schwarzen Grabens« lag, ist auf zeitgenössischen Plänen nach der Jahrhundertwende bereits geschlossene Bebauung zu sehen. Die Goltzstraße wurde nach Friedrich Goltz, einem Geheimen Oberregierungsrat und »Förderer« Schönebergs benannt. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie stark zerstört, vor allem den südlichen Teil zieren heute Häuser aus dem Wiederaufbauprogramm der Fünfziger.

Geschichte hat die Hausnummer 43/44: Dort, wo heute die Fachhochschule für Sozialwesen liegt, gründete die jüdische Frauenrechtlerin Alice Salomon 1908 die Soziale Frauenschule, eine der ältesten und renommiertesten Ausbildungsstätten für soziale Berufe in Deutschland. 1932 nach ihrer Gründerin benannt, durfte sie den Namen nur ein Jahr tragen, dann setzten ihn die Nationalsozialisten auf den Index. Alice Salomon wurde 1937 von der Gestapo vor die Wahl Exil oder KZ gestellt und entschied sich für ersteres. In den Annalen des Bezirks wird sonst wenig über die Goltzstraße überliefert, ihr wird der Rang abgelaufen von den Prominenten wie der Motz-, der Kurfürsten- oder der Potsdamer Straße. Die Straße schert's wenig. Kordula Doerfler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen