: Gleitflüge auf Bananenschalen
Das Ehrengericht und Aktionen zur Uni-Säuberung/ Variationen eines Fallbeispiels ■ Von Michael Bonitz
„Ehre, wem Ehre gebührt“, sagte der Bauer und warf den Küster die Treppe hinab.
Endlich wird ausgemistet an den Universitäten der Ex-DDR! Wer will denn heute noch bestreiten, daß alle, die dort Unterschlupf fanden, dies nur ihrer Linientreue und SED-Hörigkeit verdanken! Leider ist es (aus verwaltungstechnischen Gründen) nicht möglich, alle Hochschulangehörigen sofort durch bewährte Kader aus den alten Bundesländern zu ersetzen. Die Auswahl des ersten Schubes (der am meisten verkommenen Elemente) obliegt überall den Ehrenkommissionen, die bereits phantastische Arbeit leisten, wie das folgende, nicht völlig frei erfundene Beispiel belegt:
Es begab sich in den finsteren Zeiten des SED-Regimes, in den finsteren Gemäuern einer stalinistischen Universität, daß eines Morgens Student A. verschlafen über den Flur seiner Sektion schlenderte. Natürlich bemerkte er weder die Bananenschale vor seinen Füßen, die ein Reisekader wahrscheinlich demonstrativ fallengelassen hatte, noch den Wassereimer der Reinemachefrau dicht dahinter. Und so kam, was kommen mußte: Ein dumpfer Aufprall, ein Schrei, ein Scheppern und ein sattes Klatschen gab später Forschungsstudent B., dessen Labor an den Gang grenzt, zu Protokoll. Student A. erlebte seinen Gleitflug auf dem Rücken liegend, in völliger Dunkelheit, da der Wassereimer seinen Kopf umhüllte. Um sich vor dem Ertrinken zu retten, suchten seine Hände verzweifelt nach einem Halt, den sie in einem an der Wand herabhängenden Strick auch fanden. Doch dieser riß noch im selben Moment. Denn es war auch gar kein Strick: Bei seiner Rutschpartie hatte A. nämlich gerade die Wandzeitung der SED- Parteiorganisation passiert und sich in einem wegen seiner Überlänge weit herunterhängenden Zeitungsausschnitt verkrallt. Dabei handelte es sich um nichts Geringeres als die 31. Version von Erich Honeckers Rede „Mit dem Volk für den öffentlichen Verkehr“, gehalten auf der VIII. Konferenz der Straßenbahn- Fahrkartenkontrolleure der DDR!
Nach seinem Aufprall auf die Wand am Ende des Ganges brauchte A. geraume Zeit, bis er begriff, was er da soeben abgerissen hatte. Doch da öffnete sich auch schon eine Tür, und das Unheil nahm seinen Lauf: Der parteilose Forschungsstudent B. kam aus seinem Labor gestürmt. Er sah noch A. um die Ecke verschwinden und erblickte sofort die immer noch schaukelnde, grausam mißhandelte Wandzeitung. Intelligent wie er war, erfaßte er sofort die Situation. Er eilte schnurstracks zurück ins Labor und informierte — sicherheitshalber — seinen Betreuer Dozent C. Der unterrichtete telefonisch den Parteisekretär der Sektion, den FDJ- Sekretär, den Gewerkschafts- und den DSF-Vorsitzenden sowie den Sektionsvorsitzenden des Anglerverbandes, während B. den Tatort sicherte. Aus ihren Vorlesungen bzw. Seminaren herausgerufen, eilten alle unverzüglich zur Wandzeitung. Der Parteisekretär gab spontan eine politische Wertung des Vorgefallenen (angesichts der schwierigen internationalen Lage), deren es aber gar nicht bedurft hätte. Zu klar lag der Fall. „Mindestens Exmatrikulation“, murmelte der DSF-Chef, während alle erschüttert zum Sektionsdirektor schritten.
In diesem Moment ahnte jedoch niemand, daß es sich bei der Reinemachefrau in Wirklichkeit um den verkleideten Stasi-General W. im besonderen Einsatz handelte! Kein anderer als er hatte die Bananenschale und den Wassereimer in Stellung gebracht und die Katastrophe ausgelöst. Keiner der Beteiligten ahnte auch, daß sich derselbe Vorfall gleichzeitig noch in elf weiteren Sektionen der Universität abspielte.
Es häuften sich nämlich in letzter Zeit an zwei Sektionen politisch bedenkliche Vorkommnisse (die Sektionsdirektoren hatten vor der letzten Maidemonstration die Winkelemente nicht persönlich in Empfang genommen, 3 (drei) Studenten waren bei der letzten Wahl erst nach dem Frühstück zur Abstimmung gegangen usw.), daher sollte General W. in einer unauffälligen Aktion die politische Zuverlässigkeit der Sektionsleitungen auf die Probe stellen.
Die Aktion erwies sich als voller Erfolg und unerwartet aufschlußreich. Drei Verhaltensweisen der Sektionsdirektoren konnten beobachtet werden:
Variante 1 (achtmal registriert)
Der Sektionsdirektor informiert sofort den Rektor und ordnet ein außerplanmäßiges Parteilehrjahr für die gesamte Sektion an. Er erhält eine Prämie für sein umsichtiges Handeln. Student A. wird auf Weisung des Rektors exmatrikuliert.
Variante 2 (zweimal registriert)
Der Sektionsdirektor (telefonisch vorgewarnt) nimmt sofort unbezahlten Urlaub. Er erhält eine leichte Rüge wegen nicht vorschriftsmäßiger Schlüsselübergabe an den Stellvertreter. Student A. wird auf Weisung des Rektors exmatrikuliert.
Variante 3 (zweimal, genau in den verdächtigen Sektionen registriert)
Der Sektionsdirektor eröffnet sofort ein Disziplinarverfahren und verpaßt A. eigenhändig einen strengen Verweis. Wegen Verstoßes gegen die Dienstvorschrift erteilt der Rektor dem Sektionsdirektor eine strenge Mißbilligung. A. konnte nicht exmatrikuliert werden.
Da zufällig alle Dokumente noch erhalten sind, hat die Ehrenkommission leichtes Arbeiten. Den Sektionsdirektoren der Gruppen 1 und 2 konnte Beteiligung an der politischen Verfolgung des Studenten A. nicht nachgewiesen werden. Die Exmatrikulation hatte der Rektor unterzeichnet. Den beiden Sektionsdirektoren der dritten Kategorie wurde politische Hexenjagd zweifelsfrei nachgewiesen. Ihre Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst wird als untragbar bezeichnet.
PS: Die Reinemachefrau wurde seinerzeit fristlos entlassen und ist heute als Opfer des Stalinismus anerkannt.
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