Ehestreit statt Politik und Befreiungskampf

Der ANC hat Probleme, schwarze Arbeiter und weiße Intellektuelle in seinen Reihen unter einen Hut zu bekommen  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Ein Sonntag nachmittag in Johannesburg. Auf dem Rasen vor dem Koinonia-Konferenzzentrum der katholischen Kirche im Stadtteil Bezuidenhout Valley stehen ein Dutzend Leute im Kreis. Einige reden, aber die meisten treten schweigend von einem Fuß auf den anderen. Ab und zu fahren noch Autos vor, der Kreis wird größer. Ein paar Kleinkinder toben im Hintergrund. „Vielleicht sollten wir reingehen und anfangen“, schlägt ein hochgewachsener Mann mit rotem Bart vor. Mit einer halben Stunde Verspätung beginnt die monatliche Versammlung des ANC-Ortsverbandes Johannesburg- Ost.

Drinnen werden die Stühle in einen Kreis gerückt. Dann eröffnet der rotbärtige Tom Waspe, Vorsitzender des Ortsverbandes, die Diskussion über die Forderung des ANC nach einer demokratisch gewählten Versammlung, um eine neue Verfassung für Südafrika auszuarbeiten.

Diskutiert wird auf englisch. Aber nur die Hälfte der inzwischen etwa vierzig Leute sind Weiße, die in dieser Mittelklassegegend leben. Die andere Hälfte sind schwarze Hausangestellte und Arbeiter, die kaum Englisch verstehen. Deshalb muß laufend in Zulu und Sotho übersetzt werden. Und die Sprache ist nicht die einzige Kluft. Die meisten anwesenden Schwarzen können der Diskussion inhaltlich nicht folgen, auch wenn Grundbegriffe wie „Verfassunggebende Versammlung“ ausführlich erklärt werden.

Ein schwarzer Arbeiter meldet sich zu Wort. Er zieht einen Zeitungsartikel aus der Tasche, liest vor von einem Angriff von Mitgliedern der konservativen Zulu-Organisation Inkatha auf ANC-Mitglieder. „Was können wir tun, um uns gegen diese Gewalt zu schützen?“ fragt er dann. Waspe versucht, wieder zum Thema zurückzukommen. Aber eine schwarze Frau steht auf. „Meine weiße Madam hat mich gestern gefeuert. Was soll ich tun?“ — Waspe gibt ihr die Telefonnummer der Gewerkschaft für Hausangestellte. Die Besprechung der Verfassunggebenden Versammlung kommt nur schwer wieder in Gang.

Dieser Diskussionsverlauf ist typisch für ANC-Treffen in den weißen Vororten Johannesburgs. Von den 340 Mitgliedern im Ortsverband Johannesburg-Ost sind etwa 60 Prozent weiße Intellektuelle, darunter politische Aktivisten mit langjähriger Erfahrung. „Wenn wir die Diskussion auf dem Niveau der Arbeiter führen, langweilen sich die Intellektuellen“, meint Waspe. Die Intellektuellen wollen politisch mitmachen. „Sie sind von der ANC-Führung enttäuscht“, sagt Waspe. „Sie glauben, daß politische Entwicklungen zur Zeit auf einer ganz anderen Ebene stattfinden, daß die ANC-Führung irgendwo da oben agiert, ohne sich um die Meinung der ANC-Aktivisten vor Ort zu kümmern.“

Aber auch die einfachen ANC- Mitglieder, die keine politischen Aktivisten sind und sein wollen, sind von ihrer Organisation enttäuscht. Sie haben eine rapide Verbesserung ihrer Lebensumstände erwartet — und müssen sich immer noch mit Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und täglicher Gewalt abfinden.

In einer weißen Gegend wie Johannesburg-Ost ist diese Spaltung innerhalb der ANC-Mitgliedschaft sicher deutlicher sichtbar. Aber sie existiert auch in Ortsverbänden der schwarzen Townships. Alexandra, ein schwarzes Wohngebiet nördlich von Johannesburg mit einer jahrzehntelangen ANC-Tradition, hat einen der größten Ortsverbände im ganzen Land — mehr als 4.000 Mitglieder. Zu monatlichen Versammlungen erscheinen höchstens 300. „Das sind die Aktivisten, die Leute, die schon in Jugendgruppen oder Bürgerinitiativen aktiv waren“, erklärt Paul Mashatile von der Exekutive des Ortsverbandes. Der Rest der Mitglieder ist zufrieden, durch die Zahlung des Jahresbeitrags von zwölf Rand (etwa 7,50 Mark) konkrete Unterstützung demonstriert zu haben.

Aber in Krisenzeiten melden sich auch diese Mitglieder wieder zu Wort. Als in Alexandra im März schwere Kämpfe zwischen Inkatha- und ANC-Anhängern ausbrachen, stieg die Mitgliederzahl des ANC sprunghaft an. „Die Leute haben Schutz gesucht“, meint Mashatile. „Wir haben versprochen, Verteidigungseinheiten zu bilden.“ Die Kämpfe sind inzwischen beendet — und die Bildung von Verteidigungseinheiten ist keine Priorität mehr.

In fast allen Ortsverbänden suchen ANC-Aktivisten nach Möglichkeiten, die beiden Gruppierungen ihrer Mitgliedschaft zu integrieren. In Johannesburg-Ost wird in kleineren Treffen intensiv politische Bildungsarbeit betrieben. Denn die Führung des Ortsverbandes will die politische Funktion des ANC betonen. „Es gibt Organisationen, die sich um Probleme am Arbeitsplatz, um Behausungsfragen und so weiter kümmern“, meint Waspe. „Die Aufgabe des ANC ist es, politisch zu intervenieren.“

In Alexandra ist der ANC da flexibler und hilft auch mal bei der Schlichtung eines Ehestreits oder bei der Kontrolle einer Schlägerbande. Und Mashatile betont, daß die Organisation alle ihre Mitglieder ansprechen muß. „Die Leute kommen nicht zu langweiligen Versammlungen“, meint er. „Man muß kreativ denken, muß Veranstaltungen mit Musik machen, damit es den Leuten Spaß macht.“

Dabei sind die Möglichkeiten der Ortsverbände stark eingeschränkt. In Alexandra hat der ANC zwar ein Büro, aber die Leute dort arbeiten ehrenamtlich. Der Computer für die Mitgliederkartei wurde von einem weißen Geschäftsmann gestiftet.