piwik no script img

Zivile Kommandos der israelischen Armee

Seit Anfang des Jahres haben zivil getarnte Kommandos der israelischen Armee wiederholt Bewohner des Gaza-Streifens auf offener Straße erschossen/ Für die Einsätze „leihen“ Armee-Angehörige Taxis und andere PKWs von Palästinensern  ■ Von Q. Gidran/ E. Anderson

Mit sichtlicher Anstrengung schafft es Duwad Mahmud Al-Braym, sich mit seinen dünnen Unterarmen im Krankenbett aufzurichten. Eine mehrere Zentimeter lange Narbe zieht sich über den Rücken des 14jährigen aus Bani Suhaila im südlichen Teil des von Israel besetzten Gazastreifens. Mit einer Mischung aus Neugier und Vorsicht im Blick, erzählt er die Geschichte seiner Verwundung: „Ich war am 27.März auf dem Weg zurück vom Abendgebet, als ein gelber ziviler Mercedes mit palästinensischem Kennzeichen unweit von mir anhielt“, beginnt er. Solche Autos werden im Gazastreifen als Sammeltaxis verwendet. Sieben Menschen in Zivil sollen nach Al-Brayms Aussage im Taxi gesessen haben.

„Drei von ihnen sprangen plötzlich aus dem Auto und erst, als sie zu schießen begannen, begriff ich, daß es israelisches Militär war“, fährt er fort. „Zuerst spürte ich etwas Heißes in meiner Brust, dann versuchte ich, wegzulaufen und fühlte diesen Schmerz im Rücken.“ Es waren Militärjeeps der israelischen Armee, die ihn anschließend abtransportierten.

Ob Al-Braym an illegalen Aktionen, wie zum Beispiel dem Sprühen von Graffiti beteiligt war, sei dahingestellt. Er ist fast noch ein Kind und er hat offensichtlich Angst, etwas Falsches zu sagen. Die ersten Tage hatte er in verschiedenen zivilen und militärischen Krankenhäusern verbracht. Etwas verwirrt erzählt er von Tritten und Schlägen während des Verhörs durch die israelische Armee. Jetzt, im Jerusalemer Maqased-Krankenhaus, fühlt er sich einigermaßen sicher, auch weil sein Zimmernachbar ein Junge seines Alters ist, der ebenfalls von der israelischen Armee angeschossen wurde. Doch auch wenn die Armee den Jungen in Zukunft in Frieden läßt, Al- Braym wird den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen. Durch die Schüsse in seinen Rücken ist er querschnittsgelähmt.

Immer wieder ist im Gazastreifen die Geschichte zu hören, daß die israelische Armee besonders in den letzten Wochen zivile palästinensische Autos anhielt und gegen Quittung für ein paar Tage „ausgeliehen“ hat, um sie für Aktionen wie diese, denen Al-Braym zum Opfer fiel, zu verwenden. Offiziell tauchte ein solcher Fall das erste Mal in einem Bericht des UN-Generalsekretärs an den UN-Sicherheitsrat im Januar dieses Jahres auf. Ein ähnliches ziviles Kommando hatte am Morgen des 29.Dezember letzten Jahres in Rafah zwei maskierte Jugendliche beim Sprühen von Graffiti erschossen. Die Soldaten bewegten sich ebenfalls mit Hilfe eines zivilen Autos unerkannt im Flüchtlingslager. Die darauf folgenden Auseinandersetzungen zwischen den Einwohnern Rafahs und der israelischen Armee gehören zu den schwersten seit Beginn der Intifada. 193 Verletzte mit Schußverletzungen durch scharfe Munition wurden am Abend laut UN-Bericht registriert. Die Armee hatte Steine und Tränengasgranaten von Helikoptern abgeworfen, um der Lage Herr zu werden.

Die damals angeschossenen Jugendlichen hatten diese zivile Kommandoaktion ebensowenig überlebt wie der 19jährige Mu'in Mahmud Muhammad Damu. Nach Berichten von Augenzeugen, die den Vorfall von mehreren Seiten aus beobachtet haben, gehörte Damu zu einer Gruppe von maskierten Jugendlichen, die am Morgen des 15.Mai Slogans auf die Wand eines Kindergartens in Rafah sprühten. Während der Aktion habe ein Peugeot 404, eine häufig in Gaza von Palästinensern benutzte Automarke, wenige Meter vom Kindergarten entfernt angehalten. Vier der Insassen in Zivil seien aus dem Auto gesprungen, zwei von ihnen hätten nach Aussagen der Augenzeugen, ohne Warnung das Feuer auf Damu eröffnet. Nach ein bis zwei Salven sei Damu zusammengebochen. Mehrere Augenzeugen berichteten, daß einer der „Zivilisten“ Damu anschließend von ein bis zwei Meter Entfernung in den Nacken geschossen habe. Die Leiche soll danach durch den Sand Richtung Auto gezogen und im Kofferraum verstaut worden sein. Am gleichen Abend konnten Damus Eltern dessen Leiche von der lokalen israelischen Zivilverwaltung abholen.

Am nächsten Morgen war in der 'Jerusalem Post‘ zu lesen: „Das Militär erschoß eine Person aus einer Gruppe von mit Äxten bewaffneten maskierten Jugendlichen im Rafah- Flüchtlingslager, nachdem die Gruppe den Befehl zum Anhalten ignoriert hatte, und das Militär das Feuer eröffnete.“

Ob Al-Braym maskiert war, bleibt offen. Die anderen erschossenen Jugendlichen trugen anscheinend Masken. Eine Methode, die meist von Palästinensern angewandt wird, um ihre Identität bei illegalen Aktionen, wie dem Sprühen von Graffiti, zu decken. Laut einem Bericht der israelischen Menschenrechtsgruppe B'sellem vom Juli 1990, hat die israelische Armee seit Februar 1989 die Erlaubnis, das Feuer auf solche maskierte Jugendlichen mit scharfer Muniton zu eröffnen, auch wenn diese unbewaffnet sind. Nach Armeeregeln muß zuerst auf Arabisch gewarnt, dann in die Luft geschossen und schließlich auf die Beine gezielt werden. Al-Braym und Damu hatten keine Chance. Sie erkannten das zivil getarnte Kommando der israelischen Armee erst, als das Feuer auf sie eröffnet wurde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen