: George Bushs bester Mann
Schwarzer Konservativer Clarence Thomas soll Verfassungsrichter werden ■ Aus Washington Rolf Paasch
Die Konservativen sind von der Nominierung des 43jährigen Juristen Clarence Thomas als Richter für das oberste amerikanische Gericht ganz begeistert. Und die Liberalen werden große Mühe haben, den rechtskonservativen Kandidaten von US- Präsident Bush vor dem Ernennungsausschuß des Senats abzulehnen. Mit der Wahl des bisherigen Bundesrichters Thomas zum Nachfolger des am Donnerstag aus Altersgründen zurückgetretenen ersten schwarzen Supreme-Court-Richters Thurgood Marshall hat Präsident Bush erneut sein Gespür für eine politisch brillante Personalpolitik bewiesen.
Mit Thomas hat er einen Mann vorgeschlagen, der grundsätzliche Maßnahmen zur positiven Diskriminierung von Minderheiten („affirmativ action“) ablehnt; seine bisherigen strafrechtlichen Entscheidungen haben die Rechte des Staates gegenüber den Angeklagten gestärkt; sein Katholizismus bestärkt unter Abtreibungsgegnern die Hoffnung, daß das liberale Grundsatzurteil des Supreme Court aus dem Jahre 1973, das das Recht auf Abtreibung verfassungsmäßig garantiert sieht, nun gekippt wird. All dies paßt in das gegenwärtige innenpolitische Klima.
Nach der Berufung von Clarence Thomas zum 106. Obersten Richter in den USA bliebe auf den Bänken des Verfassungsgerichts mit dem Rechtspragmatiker Byron White nur noch ein einziger von einem demokratischen Präsidenten berufener Richter übrig. Mit dem 43jährigen Thomas wäre die konservative Gegenrevolution im Obersten Gerichtshof abgeschlossen und auf Jahrzehnte hinaus gesichert.
Thomas, 1948 in der ländlichen Armut des noch rassengetrennten Südens in Savannah, Georgia, geboren, hatte nach dem Besuch einer von weißen Nonnen geführten schwarzen Jungenschule ursprünglich Ambitionen auf das Pristeramt gehegt, wechselte jedoch als Student vom Priesterseminar an die juristische Fakultät der Yale-Universität. Danach arbeitete er für den Staatsanwalt von Missouri und späteren republikanischen Senator John Danforth.
Als Ronald Reagan ihn 1982 zum Vorsitzenden der „Equal Employment Opportunity Commission“ (EEOC) ernannte, war Thomas längst vom Malcolm-X-Leser zum strammen Konservativen geworden. Mit seiner kontroversen Selbsthilfe- Philosophie, die nur individuelle Entschädigung für rassistische Benachteiligung, aber keine positive Diskriminierung von Minderheiten erlaubte, schuf er sich in seiner siebenjährigen Amtszeit als Chef der EEOC zahlreiche Feinde. Clarence Thomas, so der liberale Rechtsprofessor Derek Bell von der Harvard- Universität, erinnere ihn an seinen Onkel, der für all diejenigen Schwarzen, die es im Gegensatz zu ihm „nicht geschafft hätten“, nur Verachtung übrig habe.
Im Gegensatz zu Thurgood Marshall — zunächst Bürgerrechtsanwalt und später erstes schwarzes Mitglied des Obersten Gerichtshofs — steht sein 43jähriger Nachfolger für eine ganz andere Rechtsphilosophie. Unter den konservativen Schlagworten der wörtlichen „Verfassungstreue“ und des „Föderalismus“ tritt er für die Stärkung des Staates im Strafprozeßrecht, aber für den Abbau der staatlichen Gestaltungsfunktion in der Sozialpolitik ein. „Affirmative action“, so Thomas, sei für die Schwarzen und andere Minderheiten nur ein „Schmerzmittel gegen die Abhängigkeit“.
Dennoch werden sich die demokratischen Senatoren lange überlegen, ob sie seine Ernennung bei der Anhörung im September verhindern wollen. Zum einen, weil sie vor 14 Monaten der Wahl von Thomas zum Bundesrichter mit zwölf zu eins Stimmen zugestimmt hatten. Zum anderen, weil hinter dem schwarzen Kandidaten nur weiße oder hispanische Konservative darauf warten, von George Bush nominiert zu werden.
Da seine bisherige juristische Karriere keine Schlüsse auf seine Haltung in der Abtreibungsfrage zuläßt und Thomas seine Position auch in der Anhörung nicht offenbaren dürfte, werden auch seine Kritiker das Abtreibungsargument kaum gegen ihn vorbringen können. Und dies, obwohl die Erziehung und Lebensgeschichte des zukünftigen Verfassungsrichters eindeutig auf eine Haltung „pro life“ schließen läßt.
Mit Clarence Thomas auf der Richterbank des Supreme Court könnte die im Fall „Roe versus Wade“ von 1973 enthaltene Verfassungsgarantie der Abtreibungsfreiheit schon innerhalb des nächsten Jahres widerrufen werden. Ob dies allerdings den Interessen der Frauen längerfristig mehr schaden wird als die derzeitige Erosion des Abtreibungsrechtes durch Einschränkungen auf Bundesstaatsebene, ist noch unklar. Am Ende könnte gerade eine verfassungsrechtliche Aufhebung der Abtreibungsfreiheit zur Politisierung all derjenigen führen, denen die noch abstrakte Abtreibungsdebatte gleichgültig ist, solange das Recht auf Abtreibung noch gilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen