: Einsamkeit hat viele Namen
■ Dieter Kunzelmann, eine kulturhistorische Ausstellung des Werkbund-Archivs, der Streit um richtige Werbemaßnahmen und die Form-Inhalt-Problematik in der Subversionskunst
Das Werkbund-Archiv im Martin-Gropius-Bau, Museum der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts, bereitete seit Monaten die Ausstellung »spuren ins dritte jahrtausend« (Situationistische Internationale, Gruppe Spur, Subversive Aktion, KommuneI) vor. Mittlerweile haben sich die Beteiligten in Sachen Lotto- Geld und Gute-Worte allerdings miteinander überworfen. Pluralistisch dokumentieren wir hier den Gang der Dinge aus der Sicht verschiedener Charakterdarsteller.
Katia zerrt an Kindermanns Ohr am andren Ende der Telefonleitung, als zwänge sie einen müden Hund zum Spaziergang über ein vermintes Feld.
(Aus Judith Kuckart: »Wahl der Waffen«)
Dieter Kunzelmann:
Da ich in all diesen kulturrevolutionären Bewegungen von 1960 bis 1970 aktiv mitgewerkelt habe, lag der Gedanke des Ausstellungs-Verantwortlichen und geschäftsführenden Vorstandsmitgliedes Eckhard Siepmann nahe, mich bei kargem Lohn als Mitarbeiter mit Beratervertrag für diese Ausstellung zu gewinnen. Seit über drei Monaten bereiten Herr Siepmann, Dr. Wolfgang Dreßen, Helmut Höge, HP und Vera Zimmer, meine Wenigkeit und MitarbeiterInnen des Museums Konzeption, Katalog, die Ausgestaltung der Räume und das Begleitprogramm intensiv vor.
Alle Beteiligten verband die Überzeugung, keine nostalgisch-museale Ausstellung zu inszenieren (wie in den vergangenen Jahren in Paris, London oder Boston), sondern eine Ausstellung zu wagen mit der Intention, die künstlerische Kreativität, den Gedankenreichtum und existentiellen Wagemut in die Wiege der Antiautoritären Bewegung unseren Brüdern und Schwestern aus den FNL wg. diesbezüglichen Nachholbedarfs näher zu bringen;
—eine Ausstellung zu wagen mit dem Impetus, allen umherschweifenden SituationistInnen Anstöße/Anschläge für eine urbanistische Gegenkultur zu vermitteln als produktiver Widerpart zur drohenden funktionalistischen Zerstörung der Hauptstadt Bärlin;
—eine Ausstellung zu wagen, deren »Ausgangspunkt die Erkenntnis ist, daß mit den entbehrungsreichen Kämpfen für eine befreite Zukunft nichts zu gewinnen ist, wenn nicht mit der Veränderung der Wirklichkeit hier und jetzt, mit dem destruktiven Raumschaffen für unsere Wünsche, mit dem Zerreißen des schlechten Alten an Ort und Stelle begonnen wird.« (E. Siepmann/Kindermann im neuen »Berliner Museums-Journal«)
Aufgrund dieser Konzeption sollten nicht nur parallel zur Ausstellung spielerische Aktionen auf dem Potsdamer Platz, im Preußischen Landtag, auf dem Gestapo-Gelände und anderswo stattfinden, die Ausstellung sollte auch nach Leipzig, Dresden, Dessau, Wien, Zürich weiterwandern. Selbstverständlich wollten wir auch entsprechend der Ausstellungsinhalte eine phantasiereiche nonkonformistische PR-Arbeit kreieren.
»Kindermann läßt das Bohren nicht, bevor er sich kein Bild gemacht hat, das er unermüdlich mit neuen Irrtümern übermalt.« (dito)
II.
Als erste PR-Aktion schalteten wir in mehreren Zeitungen und Zeitschriften unter der Rubrik »Kontakte« folgende Kleinanzeige:
030/84925486908 Jetzt Sex- Fernsprecher für Frauen von Männern — auch für FeministInnen und LehrerInnen geeignet. spuren ins dritte jahrtausend
Auf dem Anrufbeantworter sollte als erster Beitrag von laufend wechselnden Musik- und Text-Collagen das folgende Gedicht von mir ablaufen, lyrisch-einfühlsam vorgetragen vom Rezitator Hanspeter Krüger (SFB):
noch ein gedicht
zu anfang
ward meuchlings gemordet
ein gewisser carsten detlef
rohwedder
zu viel
viel zu viel
wußte der herzensgute mann
die herrin sei mit ihm
dann begab es sich
daß der statthalter
brutal
aussandte einen reitenden boten
ein foliant
für hanno klein
markant
dreißig silberlinge
doch das seinige war gethsemane nicht
gnädig sei doris der schönen glücklichen seele
jetzt
beginnen zu versumpfen
die stätten der rast
im schwarzen regen aus
mesopotamien
aus dem hades des pinatubo
wehe
o wehe
regierender dieb
moni
o moni
der herr wird dich verlassen
aller schlechten dinge sind drei
dk/26.6.91
»Kindermann und Neumann kamen untergehakt, bemerkten nicht, daß sie nicht allein waren hier. Kindermann schwärmte vom Boule-Spielen, als gäbe es nichts Wichtigeres weltweit, holte eine kleine gelbe Kugel aus der Tasche, die er in der hohlen Hand kreiseln ließ.« (dito)
III
Trotz vehementer Fürsprache von Helmut Höge (W. Dreßen betrachtete die konträren Standpunkte philosophisch, war erstaunt über meine Naivität und bezog deshalb keine Position bei der »Messersitzung« im Rosengarten der Hasenheide), trotz meiner presserechtlichen Verantwortlichkeit sperrte mit autoritärem Machtgehabe der Herr Oberzensor Kindermann alias Siepmann, aus Angst vor dem Verlust von Lottogeldern Telephon und Gedicht.
Mein erstes Gedicht in der Zeitschrift 'SPUR‘ löste 1961 in München einen 14 Jahre währenden Prozeß gegen die Gruppe Spur aus. Damals nahm Kardinal Döpfner (oder war es Kardinal Faulhaber?) Anstoß, heute nicht Kardinal Sterzinsky, sondern Herr Kindermann. Mein zweites Gedicht nach dreißig Jahren läßt bereits vor Veröffentlichung die Alarmglocken der sattgestellten Kulturscene schrillen. Ich bin beileibe kein Puritaner wg. Einsacken von Staats- und anderer Knete (D.K., Postgiroamt Bln. 79205-105), doch wenn diese dazu verführt — was ja nicht selten der Fall sein soll — die Schere im eigenen Kopf zu schleifen, diesen verkommenen Parteienstaat zu bejubeln, die eigene Existenz in biederen Bahnen versumpfen zu lassen, dann beginnt, zumindest bei mir, ein Rest von Selbstachtung aufzuschimmern. Keine einzige Zeile wäre diese tragikomische Story wert, wenn sie nicht ein Schlaglicht werfen würde auf die verrottete, an Senatströpfen hängende Kultur von Kleinkleckersdorf.
Eine Ausstellung, die sich an den Aufgeregtheiten über Provokation und Subversion von gestern und vorgestern labt, und deren Obermacker gleichzeitig vor dem spielerischen Beackern heutiger Wirklichkeiten zittert, ja zurückschreckt wg. möglicherweise drohenden finanziellen und strafrechtlichen Sanktionen der Tropfkultur — eine solche Ausstellung muß bereits vor ihrer Eröffnung wieder geschlossen werden. Lapidar ist also zu konstatieren: Für »spuren ins dritte jahrtausend« trage ich keine Mitverantwortung mehr, bin ausgestiegen aus dem Projekt. Den neuentdeckten Krempel eines Teils meiner Geschichte überlasse ich dem bewährten Niveau der Mittelmäßigkeit irgendwelcher Zwerghuhnarchive zum Behufe ewiger Verstaubung. Dieter Kunzelmann
(Lebensarchivar, z.Z. auf Trebe, suche Zelle)
1. Juli 1991
Eckhard Siepmann
Immer radikal, niemals konsequent (Walter Benjamin)
lieber dieter, bevor unsere rechtsanwälte miteinander ins gespräch kommen — von dir angepeilt, nicht von mir —, möchte ich dir einige gedanken mitteilen aus diesem trüben regnerischen sommertag (freitag nacht). ich hoffe dabei kaum, dich umstimmen zu können, so schön das auch wäre, eher geht es mir darum, dir vor augen zu führen, daß deine vermeintliche konsequenz eine inkonsequenz ist, deine vermeintliche radikalität ein manko, das nach der ginseng- wurzel schreit.
du folgst einer linearität des verhaltens, die zu einem toten ast zu werden droht. du siehst den lebensatem eines breit angelegten projekts, das ebenso poetisch wie subversiv sein könnte, einzig und allein in der linearen verlängerung deiner vor zwei jahrzehnten mit erfolg praktizierten dynamisierung durch provokation. sicherlich hast du recht, wenn du eine historische sicht aus »des vetters eckfenster« ablehnst — dabei sind wir aber alle d'accord. was uns unterscheidet, ist die einschätzung, auf welche weise wir der puren betrachtungsebene einen tritt geben können. niemand von uns will sie — aber die ebene, die du vorschlägst, gefährdet nicht nur völlig überflüssig unsere arbeit, sondern sie ist das eingeständnis einer wendung zur sterilität. um nicht im sumpf einer historisierung zu versinken, dazu sind andere qualitäten von künstlerischer und gedanklicher potenz verlangt innerhalb des gesamtprojekts als die erregung eines skandals à la '67. um diese potenz erreichen zu können — gerade dafür war uns deine mitarbeit wichtig. um so größer ist meine enttäuschung darüber, daß dir nichts zeitgemäßeres einfällt als »die machtfrage zu stellen« nach schlechter alter gewohnheit und die mitarbeit einzustellen, wenn dir nicht zu kreuze gekrochen wird. mit diesem privaten terrorismus hast du lange zeit erfolg gehabt. nicht immer zum wohl der beteiligten, wie du weißt — aber es wird höchste zeit für dich zu begreifen, daß diese zeiten objektiv wie subjektiv vorbei sind. der situationistische impetus ist heute nicht zu retten, indem wir die musik von damals nachmachen, auch nicht durch einen rückfall dahinter, sondern nur, wenn wir die neuen horizonte ins auge fassen. daran arbeitet das werkbund-archiv unspektakulär seit vielen jahren, und wir verspüren keine lust, diese arbeit aufs spiel zu setzen. so long,
eckhard siepmann, 2. Juli 1991
P.S.: auf einem anderen blatt steht die persönliche geschichte. wir haben uns, trotz alter bekanntschaft, erst mit diesem projekt näher kennengelernt. die zusammenarbeit mit dir war sehr amüsant, zum teil auch eindrucksvoll. sie wurde aber auch unübersehbar stressig. meine hoffnung war, daß sich eine freundschaft entwickeln würde, schätzenswert in den zeiten zunehmender erkaltung. du machst aber alles zunichte durch dein starres festhalten an positionen, die nur im persönlichen, keineswegs, wie intendiert, im politischen bereich destruktiv wirken. ich kenne deine einsamkeit, sie unterscheidet sich kaum von der meinen. wir erheben uns aus ihr, wie mir scheint, nur in dem maße, wie wir auf die gewaltigen herausforderungen der gegenwart eine zeitgemäße subversive antwort zu geben wissen. dabei ist es genauso unausweichlich, die ebenen zu differenzieren, auf denen wir agieren. eine existentialistische destruktivität mag einigen groupies noch heroisch erscheinen, aber sie hilft uns nicht aus der klemme.
falls es dir möglich ist, setze dich noch in dieser woche mit zimmern, edith und mir zusammen, damit wir einen produktiven ausweg aus der blöden situation finden.
Helmut Höge
An Siep- und Kunzelmann,
ihr einigt euch wahrscheinlich — auf halber Strecke, auch finanziell (was Dieter auch wirklich sehr nötig hätte)... Aber ich steh jetzt dumm da! Schon bei der ersten PR- Aktion fällt der Hammer (in dieser sanierten Lottowirtschaft). Grad daß ich es zu einem kleinen Arbeitsessen mit H.P. Krüger und einem GrePo- Schnellboot-Ausflug zum Seddin- See gebracht habe.
Und dann habt ihr euch auch noch für diesen blöden Titel »Spuren ins dritte Jahrtausend« entschieden, statt meinen Vorschlag (in Anspielung auf die Vorsokratiker) »Wir sind 4.000 Jahre nur betrogen worden«.
Es ist die Aufgabe der Ästhetik, Aufruhr anzuzetteln, meinte einst Ansgar Jorn. Und deswegen erlaube ich mir, für diesen knapp einseitigen Artikel das entsprechende taz-Zeilenhonorar inkl. Fotohonorar einzustreichen, wir sind damit quitt. Helmut Höge, 3. 7. 1991
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