: ANC-Konferenz hinter verschlossenen Türen
Große Polit-Show in Durban/ Begleitprogramm für über 400 Journalisten und 300 internationale Gäste des ANC ■ Aus Durban Hans Brandt
„Woher kommen Sie?“ fragte die nette weiße Stewardeß den jungen schwarzen Passagier in der Reihe neben mir. „Aus London“, kam die Antwort. „Wollen Sie Südafrika kennenlernen?“ Der Mann zwinkerte seinen beiden Nachbarn zu. „Ja“, rief er, „ich bin hier, um dieses wunderschöne Land zu besuchen.“ Dann lachten die drei laut auf und bestellten noch ein Bier. Die alte weiße Dame neben mir runzelte kritisch die Stirn.
Aus London kamen die drei Schwarzen nicht. Wohl eher aus Tansania. Am nächsten Tag, bei der Eröffnung der Konferenz des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), saßen sie in der ersten Reihe der Delegierten von „Umkhonto we Sizwe“ (Speer der Nation), der ANC-Armee. Damit gehören sie zu der Gruppe von ANC-Mitgliedern, die weiße Südafrikaner am leidenschaftlichsten hassen.
Das Begrüßen, das gegenseitige Wiederentdecken, hat auch nach drei Tagen noch kein Ende. Es ist fast unmöglich, in der Mittagspause im Gedränge der Riesenzelte, in denen das Essen verteilt wird, ein Gespräch zu führen. Ständig wird der Gesprächspartner unterbrochen, von einem fast vergessenen Freund umarmt, davongezerrt, um andere Genossen zu begrüßen.
Zum ersten Mal sind hier fast alle Bestandteile der weltweiten Anti- Apartheid-Bewegung versammelt: Kämpfer aus dem Exil, Unterstützer und Förderer aus aller Welt, Aktivisten auch aus den entlegensten Gebieten Südafrikas, ehemalige politische Gefangene. „Ich kann nachts nicht schlafen“, beschwert sich ein Delegierter. „Die Leute feiern bis nach Mitternacht, und dann geht's früh morgens schon wieder los.“
Simultanübersetzungen in Zulu, Sotho und Afrikaans sorgt dafür, daß jeder der 2.500 Delegierten der auf Englisch geführten Debatte folgen kann. Dank einer fünf Meter hohen Videowand ist auch in der letzten Reihe jeder Redner genau zu sehen. Gleichzeitig wird die Konferenz aufgezeichnet. Ein Videofilm wird später an alle ANC-Ortsverbände verteilt werden.
Doch kommt kaum ein Delegierter zufrieden zu dieser Konferenz. „Für mich gilt der Ausnahmezustand immer noch“, meint bitter ein Offizier der ANC-Armee aus Lusaka. „Ich brauche eine Sondergenehmigung, um zu diesem Kongreß einreisen zu dürfen. Hier bleiben darf ich nicht.“ Für ihn ist das ein Zeichen, daß der ANC von der Regierung ausgetrickst worden ist. Und immer wieder kommen die Vorwürfe undemokratischer Praktiken in der ANC- Führung. Da ist die Rede von weitreichenden Entscheidungen, die ohne Rücksprache mit der Basis gefällt werden — von der Suspendierung des bewaffneten Kampfes bis hin zu dem Versuch, die neue Verfassung des ANC, die von der Konferenz ratifiziert werden soll, im Interesse der derzeitigen Führung zu manipulieren.
Aber diese Debatten finden hinter verschlossenen Türen statt. Für 400 Journalisten und 300 internationale Gäste wird ein Begleitprogramm veranstaltet: Besuche der Gebiete bei Durban, in denen bei Kämpfen zwischen ANC-Leuten und Anhängern der Zulu-Partei Inkatha in den letzten fünf Jahren Tausende ums Leben gekommen sind; oder Vorlesungen von Akademikern, Politikern, Experten zu Verfassungsfragen.
Grosse Teile der beachtlichen touristischen Infrastruktur von Durban werden vom ANC-Kongreß in Anspruch genommen. Mehrere Hotels sind zu reinen ANC-Serviceeinrichtungen umfunktioniert. Aber am Wochenende wird es erst richtig eng werden. Tausende von schicken, weißen Gästen werden sich in die letzten noch freien Hotelzimmer drängen. Denn am Samstag erreicht hier, in der Hafenstadt am Indischen Ozean, wo es auch zu dieser Jahreszeit angenehm warm ist, das Winterprogramm der Oberen Zehntausend seinen HÖhepunkt: das „Rothmanns July Handicap“, das bekannsteste Pferderennen Südafrikas.
Das wichtigere Rennen — um die Führung des ANC — findet zweifellos bei der ANC-Konferenz statt. Immerhin werden die neuen ANC-Führer wahrscheinlich im nächsten südafrikanischen Kabinett sitzen. Aber das wird nur die wenigsten auf der Rennbahn interessieren — und dann nur, weil die ANC-Gäste zu viele Hotelzimmer belegt haben. Immerhin stellte eine diese Woche veröffentlichte Umfrage fest, daß fast 70 Prozent aller Schwarzen in Ballungsgebieten bei einer Wahl ihre Stimme dem ANC geben würden. Und kein einziger Weißer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen