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Bittere Niederlage der Volksarmee

Auch nach dem Ablauf des Ultimatums werden die slowenischen Grenzübergänge weiterhin von der Bürgerwehr kontrolliert/ Jugoslawischer Verteidigungsminister will Kampf um Slowenien aufgeben  ■ Aus Ljubljana E. Rathfelder

Die entscheidenden Sätze fielen schon am Samstag abend. „Dem Generalstab würde es nicht schwerfallen eine Operation auszuführen, durch die Slowenien in die Knie gezungen würde. Doch warum sollten wir dies tun? Warum sollen wir Offiziere und Mannschaften anderer Nationalitäten nach Slowenien schicken, wenn die Slowenen uns als Ausländer und Besatzer empfinden? Wir wollen auch nicht irgendwelche Slowenen töten, weil sie Jugoslawien verlassen wollen.“ Und sie sind dem Chef des Generalstabs der jugoslawischen Volksarmee, dem Verteidigungsminister Velijko Kadijevic, sicher nicht leichtgefallen. Die Armee hat den Kampf mit Slowenien aufgegeben. Sie hat resigniert. Es wird keinen Kampf um die Zollstationen mehr geben, der Streitpunkt um die Aufteilung der Zölle zwischen Slowenien und der jugoslawischen Bundesregierung wird dem Verhandlungsprozeß der nächsten drei Monate vorbehalten bleiben. Das Ultimatum ist ohne dramatische Entwicklungen verstrichen. Es sieht nun tatsächlich so aus, als könnten weitere Schritte in Richtung Unabhängigkeit unternommen werden. Slowenien, die kleinste der jugoslawischen Republiken hat einen gewaltigen Schritt hin zur Unabhängigkeit getan.

Auf den Straßen der Stadt Ljubljana hat sich das Leben bereits wieder normalisiert. Die meisten Barrikaden sind abgebaut und nach Informationen aus dem Verteidigungsministerium schon über 10.000 Mann der Territorialeinheiten demobilisiert. Die Bilanz der bewaffneten Auseinandersetzungen liest sich wie folgt: 56 Tote haben die Kämpfe gekostet, 280 Soldaten und Zivilisten wurden verwundet. Von den 2.144 „Kriegsgefangenen“, wie jetzt die Definition heißt — die meisten davon sind Überläufer — sind viele schon in ihre Heimatrepubliken zurückgebracht worden. Doch einige Gefangene überlegen in Slowenien um Asyl nachzusuchen, denn nach der Rückkehr könnte ihnen ein Prozeß vor dem Kriegsgericht drohen. „Wir wollten auf niemandem schießen“, sagt ein Albaner, der zu jenen 111 Albaner gehört, die hier in Slowenien bleiben möchten. „Niemand wollte das, doch wenn wir jetzt zurück in den Kosovo gehen, haben wir das Schlimmste zu befürchten.“

Zu seltsamen Szenen kam es, als die serbischen Mütter ihre Jungs in Slowenien abholen wollten. Sie verweigerten jegliche Kontaktaufnahmen mit den slowenischen Elternkomitees, die sogar für Schlafplätze gesorgt haben, aus Angst, sie könnten belästigt oder gar vergiftet werden. Die Hysterie der serbischen Eltern wurde erzeugt durch übertriebene Berichte über Diskriminierungen von Serben in Slowenien. So sprach ein Militärsprecher sogar von Konzentrationslagern für Serben in Slowenien. Einige Serben sollen nach diesen Schauergeschichten sogar lebendig begraben worden sein. Tatsache aber ist, daß der Druck auf Serben in Slowenien wächst, es kam vereinzelt zu unschönen Szenen gegenüber Offiziersfrauen, es tauchten in Stadt und Land Graffitis auf wie: „Hängt die Serben auf!“ Viele Slowenen sehen diese Aktionen als Provokationen an, Menschenrechtler und Intellektuelle zeigen sich aber besorgt über den ansteigenden Nationalismus und hoffen auf eine Verringerung der Spannungen mit der Beendigung der Kriegshandlungen. „Wir müssen wieder zu zivilen Umgangsformen zurückfinden, auch die Slowenen sind nicht gefeit vor nationalistischen Ausbrüchen, es muß öffentlich über diese Probleme diskutiert werden“, forderte der Professor für Philosophie Rado Riha gegenüber der taz.

Die serbischen Mütter erreichten zwar nicht, daß sie ihre Söhne mit nach Hause nehmen durften, doch werden die meisten dienenden Soldaten jetzt zurückgeschickt. Sie sollen 14 Tage Urlaub erhalten und ihren Wehrdienst dann woanders weiter ableisten. Das gibt den Militärs aber auch die Möglichkeit, frische und besser trainierte Truppen in Slowenien zu stationieren. „Die ganze Aktion hat offensichtlich auch diesen Sinn, professionelle Soldaten hierher zu bringen“, erklärte ein slowenischer Offizier, der die Aktion beobachtete. Anders deutet eine Anthropologin die Aktion der Mütter: „In der serbischen Geschichte sind es die Mütter, die nach verlorenen Schlachten nach Verwundeten suchen. Die Aktion hat einen tiefen symbolischen Gehalt, denn sie zeigt, daß in Serbien die Schlacht um Slowenien als verloren gilt.“

Bei den slowenischen Politikern herrscht Verärgerung über den kroatischen jugoslawischen Staatschef Mesic, der in den letzten Tagen eine undurchsichtige Rolle spielte und dem die Verschärfung der Krise seit letzten Donnerstag abend zur Last gelegt wird. Dem Kroaten, der sich im Staatspräsidium einer Mehrheit der proserbischen Stimmen gegenübersieht und damit in seinem Spielraum eingeschränkt ist, wird ein Doppelspiel vorgeworfen. Mesic hat nämlich dem Acht-Punkte-Plan der Armee zugestimmt, in der das Ultimatum für Sonntag 12 Uhr enthalten war. Noch am Mittwoch, bei seinem Besuch in Ljubljana hatte der Kroate Slowenien unterstützt, kurz darauf jedoch in Belgrad Stellung gegen Slowenien bezogen. Von slowenischer Seite wird ihm vorgeworfen, daß er der an sich schon toten Institution des Staatspräsidiums wieder zu neuem Leben verholfen habe. „Der kroatisch-slowenische Honeymoon ist beendet“, schrieb die slowenische Tageszeitung 'Delo‘.

Doch gerade in Kroatien kam es an diesem Wochenende erneut zu schweren Kämpfen. Bei der Eroberung eines von Serben bewohnten Dorfes bei Osijek soll nach Berichten des Zagreber Rundfunks die Bundesarmee versucht haben, sich als Riegel zwischen die kroatische Nationalgarde und serbischen Nationalisten zu legen. Der Panzervormarsach habe allerdings wegen heftigem Mörserfeuer unterbrochen werden müssen, ein Teil der Truppen der Volksarmee sei zu den Serben übergelaufen. Bei dem mehr als zehnstündigen Feuergefecht habe es fünf Tote gegeben. Hinter dem Einsatz der nationalistischen serbischen „Tschetniks“ bei Kämpfen in Kroatien in den vergangenen Tagen soll nach Angaben der kroatischen Regierung der neue Oberkommandierende des 5. Militärbezirks Avramovic stehen. Dieser befehligte die Bundesarmee auch bei ihren blutigen Einsätzen im Kosovo 1989 und 1990.

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