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Töpfer forciert den Ausstieg auf dem Balkan

■ Der deutsche Reaktorminister hatte nach Wien geladen. Die Mängelliste des bulgarischen AKW Kosloduj im Kopf, drängte er auf sofortiges Abschalten - und errang einen Teilerfolg...

Töpfer forciert den Ausstieg — auf dem Balkan Der deutsche Reaktorminister hatte nach Wien geladen. Die Mängelliste des bulgarischen AKW Kosloduj im Kopf, drängte er auf sofortiges Abschalten — und errang einen Teilerfolg. Ganz verzichten kann und will Bulgarien auf den Strahlerstrom nicht, so Vizepremier Tomow, denn vier der sechs Meiler würden benötigt, um den Winter zu überstehen.

Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) kämpft gegen die Atomkraft — im östlichen Ausland. Mit einigem Verve legte sich der Minister in den vergangenen zwei Wochen für die Abschaltung von vier 440-Megawatt- Schrottmeiler des bulgarischen AKWs Kosloduj ins Zeug. Und am Wochenanfang konnte er in Wien einen ersten Teilerfolg verbuchen. Die bulgarische Regierung stimmte zu, die im Augenblick noch laufenden ältesten beiden Meiler sowjetischer Bauart innerhalb etwa eines Monats stillzulegen. Mindestens einen der 440-Megawatt-Meiler wollen die Bulgaren aber im Winter wieder betreiben, hieß es am Dienstag abend. Töpfer dagegen sagte, er hoffe daß das Kraftwerk Kosloduj überhaupt nicht wieder ans Netz gehe.

Kaum war die Konferenz zu Ende, zeigten sich die Bulgaren wieder beinhart: Gestern morgen verlangte der stellvertretende bulgarische Ministerpräsident Alexander Tomow 50 Mio. Dollar Direkthilfe für die „notwendigsten Reparaturen“ von zwei 440-MW-Reaktoren. Außerdem will er im Winter die beiden stillstehenden 1.000-MW-Reaktoren in Kosloduj in Betrieb nehmen. Sonst könne man den Winter nicht „normal überstehen“. Bulgarien erzeugt rund 35 Prozent seines Stroms in dem AKW.

Töpfer hatte die bulgarische Regierung sowie sowjetische und westliche Experten zu der Wiener Konferenz am Wochenbeginn gedrängt. Der eigentliche Gastgeber, die Internationale Atomenergiebehörde IAEA stellte nach Angaben ihres Sprechers Hans-Friedrich Meyer nur die Plattform bereit. IAEA-Chef Hans Blix habe das Fingerhakeln um die vier Risikomeiler lediglich „moderiert“. Dabei war es ein IAEA-Report, der die hektischen Aktivitäten der vergangenen zwei Wochen ausgelöst hatte. Die IAEA-Experten hatten die Reaktoren im Juni in einem „sehr schlechten Zustand“ vorgefunden und — völlig außergewöhnlich — Sofortmaßnahmen bei der bulgarischen Regierung angemahnt. Töpfer hatte von den nichtöffentlichen Ergebnissen erfahren und dann öffentlich die bulgarische Regierung zur Abschaltung gedrängt.

Tröpfchenweise sickerten in den folgenden Tagen Einzelheiten des 141 Seiten starken Reports durch. So sind die Elektroinstallationen in Kosloduj in einem sehr schlechten Zustand: Stromleitungen sind nicht geerdet, vielen Sicherungskästen fehlt die Abdeckung — und das in der gefährlichsten Industrieanlage, die Menschen je ersonnen haben. Öl- und Wasserleitungen sind zum Teil undicht, Holzplanken stehen auf den Gängen herum. Es besteht reale Feuergefahr im AKW. Seit Wochen fehlen auch noch die sowjetischen Spezialisten, die bislang den Reaktorbetrieb begleitet hatten. In den vergangenen Monaten habe sich der Zustand in den bulgarischen Meilern „rapide verschlechtert“, war in der IAEA-Zentrale in Wien zu vernehmen.

Töpfers erklärtes Ziel sei nach wie vor die Stillegung aller Reaktoren in Kosloduj, so seine Pressesprecherin Marlene Mühe gestern. Er habe Zweifel, daß die Reaktoren auf westliche Sicherheitsstandards gebracht werden können. Diese Zweifel teilen zwar hinter der Hand auch die westlichen Betreiber. Doch bei der Abschaltungsforderung sind sie still, während die Bulgaren auf stur schalten. Töpfer habe also in Wien nach Alternativen suchen müssen, denn „erstens können wir die Bulgaren nicht zwingen, und zweitens muß natürlich auch eine Lösung für ihre Energieprobleme im kommenden Winter her“, so Mühe. Ob die mit Ersatzstromlieferungen bewerkstelligt werden könnten oder eine der Himmelfahrtsmaschinen doch nachgerüstet werde, sei bislang unklar. Töpfers Ziel sei jedenfalls die Stillegung. Schon zu Beginn der Auseinandersetzung hatte Töpfers Ministerium betont, daß technische Hilfe von deutscher Seite nur bei der Abschaltung der Reaktoren gewährt werden würde. Der Kompromiß in Wien wurde im Ministerium mit zusammengekniffenen Zähnen als „durchaus erfreulich“ gewertet. Die bulgarische Regierung habe endlich eingesehen, daß die Reaktoren eigentlich abgeschaltet gehörten. Auch die IAEA wertete diese Einsicht gestern als „Fortschritt“.

Die Kompromißlinie des Ministers wird vor allem bei den Atomwerkern im stillgelegten Staats- AKW Greifswald auf Interesse stoßen. Sie spekulieren seit Monaten relativ offen auf eine neue Aufgabe bei der sicherheitsmäßigen Auf- und Nachrüstung der baugleichen bulgarischen AKWs. Der technische Leiter des AKWs fuhr in der vergangenen Woche auf dem Ticket der WANO, des Zusammenschlusses der Reaktorbetreiber (World Association of Nuclear Operators) nach Bulgarien. Der Weiterbetrieb in Kosloduj ist eine Chance für sie, und sie geben sich zuversichtlich, daß er technisch sicher machbar ist. Der Ruf dieser russischen 440-Megawatt-Druckwasserreaktoren sei „eigentlich schlechter, als sie es verdienen“, so Bernd Volkmann, Chef der Anlagentechnik in Greifswald (siehe Interview). Der Reaktortyp sei „eher gutmütig“. Die gutmütigen Reaktoren, von denen Volkmann sprach, stellen nach einer kürzlich vorgelegten Störfallstudie für Greifswald besonders hohe „Anforderungen an Bedienhandlung sowie die Personalqualifikation“.

Töpfers Sprecherin Mühe betonte gegenüber der taz, daß man auch in Sachen AKW-Nachrüstung „nicht an einem Strick“ mit der Atomindustrie ziehe. Nachrüstung sei keinesfalls die „vorrangige Lösung“. Dennoch wollte sie die Lieferung von Ersatzteilen aus Greifswald nicht ausschließen. Dies wiederum bezeichneten die Grünen im Europaparlament gestern als „zynischen Deal“. Sie warfen Töpfer vor, mit den Teilelieferungen bereite er die „Kolonialisierung der osteuropäischen Energiemärkte“ vor, statt „massive und langfristige Hilfen beim Ausstieg aus der Atomindustrie“ zu gewähren.

So gesehen bleibt im kommenden Winter nur die Auswahl zwischen Skylla und Charybdis. Kolonialisierung durch westliche AKW-Teile oder durch westlichen Atomstrom: Der stellvertretende sowjetische Industrieminister Erik Pozdysbew bedauerte nur, daß sein Land die Stromleitungen nach Bulgarien zu fast 100 Prozent ausgelastet habe. Er könne maximal 100 bis 200 Megawatt mehr versprechen. Hermann-Josef Tenhagen

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