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Leichenschänder muß in die Psychiatrie

■ 28jähriger Metallarbeiter mit nekrophilem Hang wurde wegen Schuldunfähigkeit in die Psychiatrie eingewiesen/ Die Drogentherapie-Einrichtung Synanon war bereit, den Mann aufzunehmen

Moabit. Vor der 16. Strafkammer des Berliner Landgerichts mußte sich jetzt ein 28jähriger Metallarbeiter verantworten, der im vergangenen Jahr in zwei Krematorien eingebrochen war und sich an von ihm abgetrennten Körperteilen von Frauenleichen sexuell befriedigt hatte. Der Vorwurf: Störung der Totenruhe. Die Höchststrafe dafür beträgt drei Jahre. Das Gericht entledigte sich des tragischen Falles, in dem es den schuldunfähigen Mann in die geschlossene Abteilung der Karl-Bonhoeffer-Nervenklink (KBON) einwies. Die Alternative, für die sich der psychiatrische Sachverständige ausgesprochen hatte, wäre gewesen, den Beschuldigten »auf Bewährung« in der Drogentherapie-Einrichtung Synanon unterzubringen. Ein dementsprechendes Angebot von Synanon, wo der Angeklagte bis zu seiner Festnahme lebte und gern wieder hinwollte, hatte dem Gericht vorgelegen.

Der 28jährige Metallarbeiter Peter K. (Name geändert) hatte in seinem Leben niemals einem lebenden Menschen etwas zuleide getan, ausgenommen Prügeleien in der Schule. Der psychiatrische Sachverständige beschrieb seine Krankheit vor Gericht als eine Perversion mit fetischistischen, nekrophilen Zügen. Die Ursache liege vermutlich in der frühen Kindheit des Beschuldigten, der bis zu seinem vierten Lebensjahr im Heim unter ständig wechselnden Bezugspersonen ohne jegliche Orientierung aufgewachsen sei. Obwohl er dann von einem Bonner Ministerialbeamten und dessen Frau adoptiert wurde und »unter sehr günstigen Bedingungen« aufgewachsen sei, hätten die schweren psychischen Schäden nicht mehr ausgeglichen werden können. Im Alter von 17 Jahren habe der sehr gehemmte junge Mann sich das erste Mal in ein Mädchen verliebt. Als sie ihn zurückwies, so der Gutachter, sei dem Jungen zum ersten Mal der Gedanke gekommen, den Körper einer Frau an einer Leiche zu erforschen.

Wenig später brach Peter K., der damals schon schwer mit Alkoholproblemen zu kämpfen hatte, zum ersten Mal in ein Krematorium ein. Vor Gericht erklärte er, Neugier habe ihn dazu getrieben. Er habe viel über den Tod gehört, aber nie einen toten Menschen gesehen. Im Krematorium habe er einen Sarg geöffnet und einen jungen Menschen darin liegen sehen. »Gefühlsmäßig« sei er davon »sehr angerührt« gewesen. »Nach und nach«, so der Beschuldigte, »wurde es zum Trieb«.

Im März 1989 kam Peter K., der inzwischen auch heroinabhängig geworden war, nach Berlin zu Synanon. Er habe sich dort sehr wohl gefühlt, sein Leiden aber aus Angst vor einer Zurückweisung und Enttäuschung nicht offenbart, sagte er. Nach mehr als einem Jahr bei Synanon sei die »alte Neigung wieder hochgekommen«. Doch jedes Mal, wenn er ihr in einem Krematorium nachgegeben habe, habe er sich »schlechter als vorher gefühlt«. Darum habe er auch ganz bewußt begonnen, Spuren zu legen, um erwischt zu werden. Darüber, daß er von Synanon nicht fallengelassen und verstoßen wurde, sondern — im Gegenteil — regelmäßig Besuch nach seiner Festnahme bekam, zeigte sich der Angeklagte vor Gericht »freudig überrascht«. Als seinen größten Wunsch beschrieb K., der außer einigen homosexuellen Kontakten keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet hat, in die Drogentherapie-Einrichtung zurückzukehren und bei einem Therapeuten, den es noch zu finden gälte, eine zielgerichtete Therapie zu machen.

Auch der psychiatrische Sachverständige plädierte dafür, daß Peter K. zu Synanon zurückkehren könne. Dort habe er vielleicht die Chance, in einem relativ natürlichen Lebensumfeld, mit seiner schwer behandelbaren Perversion fertigzuwerden. Synanon könne auch Gewähr dafür bieten, daß den Sicherheitsansprüchen der Öffentlichkeit Rechnung getragen werde. Der Sachverständige betonte mehrfach, daß er es »für absolut unwahrscheinlich«, halte, daß sich Peter K. an lebenden Frauen vergreifen könne. Diese Frage hatte das Gericht während des Prozesses am meisten interessiert. Der Sachverständige verwies darauf, daß K. ein überaus friedlicher Mann sei und daß in seinen Taten seit 1982 keine Steigerung zu verzeichnen sei.

Das Gericht kam dennoch zu der Ansicht, daß K. in der geschlossenen Psychiatrie zu verwahren sei, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Für den Leiter von Synanon, Ingo Warnke, ist die Entscheidung Ausdruck für die Unfähigkeit der Gesellschaft, mit Tabuthemen umzugehen. »Wie«, fragte Warnke, »soll er denn in Bonnys Ranch (KBO- Nervenklinik, d. Red) wieder normal werden?« Plutonia Plarre

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