: Ein Kronprinz schielt zum Thron
Miguel Induráin, langjähriger treuer Helfer PedroDelgados, trat mit seinem Sieg beim Zeitfahren auf der 8. Etappe der Tour der France endgültig aus dem Schatten/ Greg LeMond übernahm das Gelbe Trikot ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) — Als der Däne Rolf Sörensen nach der fünften Etappe der 78. Tour de France wegen eines Schlüsselbeinbruchs aufgeben mußte, weigerte sich der dadurch auf den ersten Platz gerückte Greg LeMond, das Gelbe Trikot auf diese Art zu übernehmen; nach dem ultralangen 73-Kilometer-Zeitfahren von Argentan nach Alen¿on jedoch zog er es sich mit größtem Vergnügen über. Spitzengeschwindigkeiten über 70 Stundenkilometer hatte er auf dieser 8. Etappe erreicht, war mit gleichmäßigem Tritt durch das dichte Spalier der an den Straßenrändern postierten Radsportfans gebraust, hatte am Schluß die zweitschnellste Zeit gefahren und im Gesamtklassement einen Vorsprung von 1:13 Minuten vor dem Niederländer Erik Breukink erkämpft.
Doch trotz der Parforcejagd LeMonds war der große Sieger des Tages ein anderer: Miguel Induráin. Im letzten Jahr hatte er seine Kräfte noch als braver Adjutant seines Teamchefs Pedro Delgado verpulvern müssen, diesmal scheint nur er in der Lage zu sein, einen vierten Sieg LeMonds verhindern zu können. Der Spanier war der einzige, der am Schluß der 73 Kilometer noch im Vollbesitz seiner Kräfte war, und er gewann die Etappe in beeindruckender Manier mit acht Sekunden Vorsprung vor LeMond.
Schon vor Jahresfrist in den Pyrenäen war es Induráin gewesen, der LeMond beim gemeinsamen erfolgsgekrönten Ausreißversuch den Etappensieg vermasselte, der eigentlich zum Pflichtprogramm eines jeden Toursiegers gehört. So gewann der smarte US-Bursche die „große Schleife“, ohne eine einzige Etappe für sich zu entscheiden, und handelte sich dafür böse Worte seiner großen Vorgänger Eddy Merckx, Francesco Moser und Bernard Hinault ein.
In der Gesamtwertung rückte Miguel Induráin auf den vierten Platz, 2:17 Minuten hinter dem Amerikaner und ist damit der Beste jener Fahrer, die auf der ersten Etappe den Anschluß an die Ausreißergruppe um LeMond verpaßt hatten. Damals hatten LeMond, Erik Breukink, Djamolidin Abdushaparow, Sean Kelly und einige andere einen Vorsprung von fast zwei Minuten herausgefahren, von dem vor allem LeMond nach wie vor zehrt. Induráin hat im vergangenen Jahr bewiesen, wie stark er in den Bergen sein kann und bei dem Stehvermögen, das er im Zeitfahren bewies, ist ihm durchaus zuzutrauen, daß er den ebenfalls in Topform befindlichen Mann aus Colorado noch gehörig ärgern kann.
Einer der Verlierer der 8. Etappe war trotz seines vierten Platzes Erik Breukink. Sechzig Kilometer lang war er geradelt wie eine Maschine und sah wie der überlegene Sieger des Zeitfahrens aus. Doch auf den letzten zehn Kilometern ging ihm die Puste aus, und er verpaßte die Chance, endlich mal ins Gelbe Trikot schlüpfen zu dürfen, das ihm so oft in seiner Karriere greifbar nah, aber immer wieder entglitten war. So auch diesmal. „Ich bin überrascht, daß ich Breukink im Finale noch schlagen konnte“, wunderte sich LeMond nachträglich.
Mit großen Ambitionen war auch Uwe Ampler ins Rennen gegangen. Bei der Tour des letzten Jahres hatte der Leipziger lange Zeit vorn mitgemischt, mußte dann der Mannschaftsdisziplin Tribut zollen und schließlich in den Alpen wegen einer Verletzung sogar aufgeben. Diesmal hatte er die Rundfahrt als unbestrittener Kapitän seines Teams begonnen, erklärtes Ziel war ein Spitzenplatz. Aber ausgerechnet beim Zeitfahren, eigentlich eine seiner Stärken, erlitt er einen bitteren Einbruch. Mit über fünf Minuten Rückstand auf Induráin kam er nur als 29. der 194 verbliebenen Fahrer ins Ziel und mußte zudem die Schmach ertragen, daß der Schussenrieder Rolf Gölz als 13. bester Deutscher war. Dabei hatte Gölz bei seinem kurz vor dem Ziel gescheiterten Alleingang auf der 7. Etappe, die im Spurt der Niederländer van Poppel gewann, jede Menge Kraft verschleudert.
Zufrieden war Jean-Fran¿ois Bernard, die einstige große Hoffnung des französischen Radsports, der durch viele Verletzungen immer wieder zurückgeworfen wurde. Mit seinem dritten Platz von Alen¿on schob er sich auf den fünften Rang der Gesamtwertung vor, dürfte aber in den Bergen, ebenso wie Pedro Delgado, vorwiegend damit beschäftigt sein, sich für seinen Teamkollegen Induráin aufzuopfern. In jedem Fall hat das Zeitfahren der 8. Etappe, das bereits das letzte dieser Tour war, die Verhältnisse weitgehend geklärt. Für Leute wie Bugno, Chiappucci, Delgado, Fignon dürfte diese Tour gelaufen sein, sie bräuchten schon ein Übermaß an Glück und Kraft, um LeMond noch abfangen zu können. Das sieht der neue Träger des „Maillot Jaune“ nicht anders: „Meine Hauptkonkurrenten heißen jetzt Induráin und Breukink“, sagte LeMond in Alen¿on.
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