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„Wo ist die äußerste Grenze?“

■ Talk im Turm: „Sex im Fernsehen“, Sat 1, Sonntag, 22.05 Uhr

Die Moderatoren waren in entzückende Dessous geschlüpft, um das heikle Thema angemessen diskutieren zu können. Darf man dem Publikum geben, was es will? Verderben die Medien den öffentlichen Geschmack? Gern gesehener Gesprächspartner zu diesen Fragen ist RTL-Chef Helmut Thoma, dem der Erfolg mit den Sexfilmchen aus den Siebzigern offenbar nicht gegönnt wird. Im knappen Tanga erschienen, begegnete er der allgemeinen Entrüstung über den „Schulmädchen- Hausfrauen-Krankenschwestern- Tanzstunden-Report“ als jovialer Tycoon. „Der Fisch muß den Köder mögen, nicht der Angler.“ Er persönlich halte die Filme für harmlos.

Das war das Stichwort für Martin Lohmann, einem katholischen Publizisten. Mit inquisitorischem Eifer stemmte er sich dieser „geistigen Umweltverschmutzung“ entgegen, denn „der Intimbereich muß geschützt werden“. Seine sensible Analyse, daß „Frauen mehr sind als ein Fleischkloß“, mündete konsequent in eine dringende Warnung vor Drogen, Gewalt und Nationalsozialismus. Die Runde zeigte sich empfindlich getroffen. „Kann man doch damit nicht vergleichen“, maulten alle auf.

ARD-Programmdirektor Schwarzkopf, ein freundlicher älterer Herr in einem aufreizenden Bikini, glättete die Wogen. Obgleich er sich mit seinem kulturell hochwertigen Kanal „nicht gerade brüsten will“ (hähä), wollte er Erotik doch lieber dramaturgisch sinnvoll in die Filmhandlung eingebettet sehen. Immer wieder kam er auf Maupassant zu sprechen, womit er wohl nicht auf der gegenwärtig schärfsten Welle der Branche surft. Waltraud Schoppe hingegen machte eine ganz andere Phase der Selbstfindung durch. Zunächst empört über Tutti Frutti, dem „Höhepunkt der Blödheit“, gestand sie dann mutig ein „Frauen sind geil, ich bin geil“, und forderte ganz offen, ihre Geilheit durch schöne Bilder angeregt zu bekommen. Kinder seien allerdings in dieser Frage oft alleingelassen. Es sei ja leider so, daß in unserer Gesellschaft viele Menschen vereinsamt seien, und sich deshalb die Sexfilmchen bei RTL anschauen müssen.

Teresa Orlowski, als einziger Profi durchaus fehl am Platze, mokierte sich über die Billigfilmchen, weil Sex dort ins Lächerliche gezogen werde. Damit spiegele das Fernsehen die Mentalität der Leute in diesem Lande wieder, die einfach schwach, unsicher und gehemmt seien. Sie hingegen biete mit ihren Produkten Qualität und Luxus, echtes Kino, Sex als Wunschvorstellung. Damit überschritt sie schon den Rahmen der Diskussion, die nur zwischen Erzengel Lohmann und Satana Orlowski munter und prickelnd wurde. Die eilfertige Beratung über ein längst vergessenes Genre soll ohnehin nur die eigenen Einschaltquoten pflegen. Wir warten gespannt auf die Talk-Show zum Thema Heimatfilme im Fernsehen. Und bis dahin denken wir über die Frage nach, die Moderator Gero von Boehm zuletzt in den Raum warf: „Was ist die äußerste Grenze?.“ Olga O'Groschen

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