: §218: »Zwangsberatung für Abgeordnete«
■ Friedrichshainer Frauenzentrum »Frieda« ruft zu Briefkampagne auf: Bonner Abgeordnete sollen bei der Gewissensentscheidung berücksichtigen, daß die Mehrheit der Bürgerinnen der Ex-DDR für eine Fristenregelung ist/ Heute Diskussionsveranstaltung
Friedrichhain. In Ost-Berlin formiert sich langsam eine Frauenfront gegen den §218. »Die Frauen der Ex- DDR lassen sich nicht die Brutter vom Brot nehmen und wollen kämpfen«, erklärten die Mitarbeiterinnen des autonomen Friedrichshainer Frauenzentrums »Frieda« gestern und riefen zu einer Briefkampagne »Zwangsberatung für Abgeordnete« auf: Bonner Bundestagsabgeordnete von CDU/CSU FDP, SPD, Bündnis 90/Grüne und PDS sollen in persönlichen Briefen damit konfrontiert werden, daß die Mehrzahl der Frauen aus der ehemaligen DDR, »die fast 20 Jahre mit einer relativ liberalen Fristenlösung gelebt haben, über den zynischen Gesetzesentwurf zutiefst empört sind«.
Bei ihren Gesprächen haben die Mitarbeiterinnen des Zentrums festgestellt, viele Frauen hätten noch gar nicht realisiert, daß sie von den Gesetzesentwürfen der Parteien zum §218 betroffen seien. Auch wenn die Fristenlösung in der DDR wegen mangelnder Beratungsangebote »nicht optimal war«, sei sie immer noch besser gewesen als das reglementierte Abtreibungsrecht in der alten BRD. Eigentlich sind die Frieda- Frauen für die ersatzlose Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch der Bundesrepublik. Weil sie diese Position allerdings nicht mehrheitsfähig halten, treten sie für die dreimonatige Fristenlösung und Erweiterung des Beratungsangebots ein. »Das«, so Kirsten Poutrus gestern, »wäre für die gesamte BRD ein Forschritt.«
Mit der Briefkampagne soll den Parlamentariern klargemacht werden, daß die Abstimmung zum §218, so wie bei der Hauptstadtfrage, eine Gewissensenscheidung sei. Es könne doch nicht angehen, daß die Abgeordneten bis hin zum Vertreter von Bündnis 90/Grüne, Konad Wolf, die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung der Ex-DDR völlig ignorierten. Zusammen mit dem Lichtenberger Frauenzentrum wollen die Frieda-Frauen die Bonner Abgeordneten ihres Wahlkreises auch zu einer Diskussion einladen.
Mit Ausnahme einiger Unterschriftensammel-Aktionen ist den Frieda-Frauen von anderen Aktivitäten in Ost-Berlin gegen den §218 bislang nichts bekannt. Doch die Mitarbeiterinnen sind optimistisch, daß sich dies bald ändern wird: »Solange es den §218 gibt, machen wir weiter, vielleicht fällt uns dann ja noch ein landesweiter Streik ein.«
Im dem Frauenzentrum, das in der Simona-Dach-Straße 9 in einer Parterrewohnung und in der Grünbergerstraße 24 Räume hat, geben sich nach Angaben der Mitarbeiterinnen wöchtlich bis zu 300 Frauen die Klinke in die Hand. Das Zentrum scheint für seine vielfältigen Angebote weit über die Bezirksgrenzen hinaus bekannt zu sein. In dem eingetragenen Verein sind 40 Frauen Mitglieder. Die Projekte, wie Café, Sozialberatungen, Gruppenabende, Vortrags- und Filmveranstaltungen, werden von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und 30 ABM-Kräften durchgeführt. Alleinerziehenden Müttern, die an Umschulungsmaßnahmen teilnehmen oder leicht erkrankt sind, bietet das Frieda-Zentrum eine kostenlose Kinderbetreuung an. plu
Wer an der Briefkampagne gegen den 218 teilnehmen will, kann die Adressen der Abgeordneten zwischen dem 23. September und 7. Oktober zwischen 10 und 12 Uhr unter der Ostberliner Nummer 2291753 oder 4392073 bzw. zwischen 16 und 18 Uhr unter 5884398 erfragen. Heute abend um 20.30 findet in der Simon-Dach-Straße 9 eine Diskussionsveranstaltung zum §218 statt.
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