: Definieren Männer, was normal ist?
■ Debatte um schwangere Frauen (5): Frauen können vor ihrem »Zustand« nicht weglaufen, Männer können es
taz-Redakteurin Martina Habersetzer forderte am 24. August im Beitrag »Schwangere Kühe von heute«, daß schwangere Frauen von Männern auch als sexuelle Wesen wahrgenommen werden. Der Leser Mock Hart lehnte das ab; er könne sich Schwangere nur als »rohe Eier« vorstellen, die nicht »gestoßen« werden dürften — und fing sich für diese Position herbe Kritik ein.
Ins Bild einer fortschrittlichen linken Frau paßt kein Kind und schon gar nicht eine Schwangerschaft, die für Männer Begriffe wie »zerbrechlich« und »hilfsbedürftig«, »krank« usw. impliziert. Schwangerschaft, Geburt und der Alltag mit Kind sind Privatsache. Frauen, die sich unbedingt ein Kind wünschen oder, ungewollt schwanger geworden, sich gegen eine Abtreibung entscheiden, haben glücklich zu sein oder es gefälligst bleiben zu lassen.
Wenn nun eine Frau schwanger wird und entscheidet, das Kind zu bekommen, wird eine Folge von Geschehnissen in Gang gesetzt, die mir manchmal vorkommen wie ein aufgezogenes Uhrwerk: die Rädchen greifen ineinander, der Ablauf ist vorherbestimmt, die Zeit vergeht. Die Frau sieht, erlebt und staunt. Staunt über ihre körperlichen Veränderungen, die ohne ihr Zutun in einem nie gekannten Maße vor sich gehen, staunt aber genauso über die Veränderung ihrer Beziehungen, vor allem die Beziehungen zu Männern, aber auch die zu Freundinnen, Eltern, Arbeitskolleginnen.
Martina Habersetzer geht in ihrem Ariktel hauptsächlich auf die Reaktion der Männer in ihrer Umgebung ein, ich denke aber, daß das nur einen (wenn auch wichtigen) Teil der Geschehnisse berührt.
Wie wichtig dieser Teil ist, zeigt der Beitrag von Mock Hart. Ein zentraler Punkt in seinem Artikel ist für mich die Feigheit der Männer, wenn es darum geht, klare Entscheidungen zu treffen, Konsequenzen zu ziehen, zu einem Menschen (zu einer Frau) zu stehen.
Er nimmt sich das Recht heraus, »eine Frau jederzeit verlassen zu könne«, »sich an das zu halten, was für ihn vorteilhaft ist«, was Schwangere betrifft, sexuell phantasielos zu sein.
Er läßt sich dabei bequem im Strom des Zeitgeistes treiben, in dem individuelle Verwirklichung um jeden Preis allemal wichtiger ist als Verantwortung und Engagement für etwas anderes als sich selbst. Er meint, definieren zu dürfen, was normal ist, was ungerecht sein darf und was nicht, trägt dabei Prämissen wie Eigenständigkeit und Freiheit wie ein Banner vor sich her und behauptet, Frauen hätten der Feigheit der Männer allenfalls Vorwürfe entgegenzusetzen.
Eine Frau, die sich entschließt, ein Kind zu bekommen und ohne den Vater zu erziehen, setzt dem alles entgegen, was entgegen zu setzen ist und darf dann nicht einmal Forderungen stellen?
Für eine Frau ist es, angenommen, sie wird ungeplant schwanger, unmöglich, sich aus der Situation zu stehlen, sie kann vor ihrem körperlichen »Zustand« nicht weglaufen, Männer können es und tun es auch, gerade in »links-fortschrittlichen Kreisen«. Sie beweisen damit ihre Unreife und, laut Mock Hart, ist das auch ihr gutes Recht. Ist es das?
Die meisten Männer kommen durch Feigheit und Unreife gesellschaftlich weiter als die meisten Frauen, warum sollten sie es also ändern! Aber es als ihr gutes Recht in Anspruch zu nehmen, ist die Frechheit der Frechheiten.
Vorwürfe nützen nix, darüber hat uns Herr Hart ja schon belehrt. Aber für die betroffenen Frauen gilt es, nach Kräften laut zu werden, ihre Situation nicht mit sich selbst auszutragen, den Mut und das Selbstbewußtsein zu haben, es anders zu wollen und dies auch zu fordern. Sie haben sich für ein Kind entschieden, die gesellschaftlichen und persönlichen Nachteile, die ihnen daraus erwachsen, können ihnen dabei nicht zur Last gelegt werden, auch wenn das die bequemste Lösung wäre. Karin Koch
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