: Zahnarzt-Muffel verlieren zehn Prozent
■ Nur wer einmal pro Jahr zum Zahnarzt geht, bekommt den vollen Krankenkassen-Zuschuß
Der Zahnarzt zieht die Zellstoff- Polster aus meinem Mund. Gerade hat er mir eine alte Amalgam-Plombe herausgebohrt und durch einen Keramikpropfen ersetzt. „Bis zum nächsten Besuch“, sagt er, „und lassen Sie sich den Termin in Ihr Bonusheft eintragen.“ Das Bonusheft habe ich nicht dabei, erinnere mich aber dunkel, davon schon einmal gehört zu haben. Der Arzt klärt mich nochmals auf: „Wir tragen die Untersuchungen ein, damit Sie von der Krankenkasse 60 Prozent für ihr zukünftigen Zahnkronen bekommen.“
Seit Januar dieses Jahres verteilen die ZahnärztInnen die kleinen, weißen Falthefte an ihre PatientInnen. Das hat sich der ehemalige Bundesgesundheits-Minister Norbert Blüm bei seiner Gesundheitsreform ausgedacht. Die Krankenkassen zahlen ihren Versicherten in Zukunft nur dann den vollen Zuschuß für Zahnersatz (Kronen, Brücken, dritte Zähne), wenn sich anhand der Einträge im Bonusheft regelmäßige Zahnuntersuchungen nachweisen lassen.
Doch ab wann ist es notwendig, sich regelmäßig auf den Zahnarztstuhl zu setzen? Und wie oft? Und vor allem: Wieviel Geld bekommen die Vergesslichen, die nur alle drei Jahre zum Zahnarzt gehen?
Für alle, die 20 Jahre und älter sind, gilt: Einmal pro Jahr zur Zahnuntersuchung gehen, auch wenn die Beißer nicht schmerzen. Wer das fünf Jahre lang durchhält, bekommt einen 60prozentigen Zuschuß von der Krankenkasse. Wer gar zehn Jahre oder länger keinen der jährlichen Zahnarzt-Termine verschlampt, bekommt noch einen Extrabonus von fünf Prozent: macht 65 Prozent Zuschuß.
Wird auch nur ein Jahr ausgelassen, sackt der Zuschuß auf 50 Prozent der Zahnarzt-Rechnung ab. Bei den horrenden Kosten für Kronen und anderen Zahnersatz können zehn Prozent leicht 1.000 Mark oder mehr ausmachen.
Die gesetzlich festgelegte Fünfjahres-Rechnung hat am 1. Januar 1989 begonnen, und ab 1991 müssen die Termine ins Bonusheft eingetragen werden. Für die ersten fünf Jahre bekommen alle PatientInnen automatisch ihre 60 Prozent. Doch Obacht: Das Jahr 1994 ist das Jahr der Wahrheit — zahntechnisch betrachtet. PatientInnen, die für 1991, 1992 und 1993 nicht jeweils einen Eintrag im Bonusheft nachweisen können, stehen auf dem Schlauch: Ab 1994 bekommensie nur noch 50 Prozent von der Krankenkasse.
Die Unglücklichen müssen
KeinEntrinnenmehr:RegelmäßigzumZahnklempner Foto:TristanVankann dann erst wieder fünf Jahre Termine sammeln, bis sie in der Anerkennung ihrer Krankenkasse soweit gestiegen sind, daß sie 60 Prozent bekommen.
Jugendliche im Alter von zwölf bis 19 Jahre müssen ihreN ZahnärztIn sogar zweimal im Jahr aufsuchen, um den Zahnbonus zu bekommen. Für Kinder unter zwölf gilt das alles nicht, weil die SchulzahnärztInnen ihnen sowieso regelmäßig in den Mund gucken.
Eigene Bemühungen um den Zahnkostenzuschuß sind auch nur bei Zahnersatz von Bedeutung, normale Zahnreparaturen wie Plomben sind davon nicht betroffen.
Für viele PatientInnen verspricht das Bonusheft zum Ärgernis zu werden: Im Zeitalter der Ausweisflut kann es schnell und spurlos zwischen den häuslichen Unterlagen verschwinden. Schwer nachzuvollziehen bleibt, warum das Heft als zusätzlicher Nachweis überhaupt notwendig ist: Schließlich haben die Krankenkassen durch die bei den ZahnärztInnen abzugebenden Krankenscheine ohnehin einen Überblick über Art und Häufigkeit der Untersuchungen. Dazu ein Mitarbeiter der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Bremen: „Ohne Bonushefte könnten wir uns nicht rechtzeitig einen Überblick verschaffen, weil die Krankenscheine oft erst ein hal
bes Jahr nach der Untersuchung bei uns eingehen.“
Für Ausnahmefälle verspricht die AOK eine kulante Handhabung. Wer zum Beispiel länger im Ausland lebe und den Arzt, der wahrscheinlich noch nie etwas vom Bonusheft gehört hat, nicht
zu einem Eintrag ins Heft habe überreden können, müsse nicht mit dem Verlust der zehnprozentigen Gratifikation rechnen. „Wir
entscheiden zugunsten unserer Versicherten“, beteuert der AOK-Mitarbeiter. Hannes Koch
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